3. Untersuchungsausschuss

Bundesanwalt Herbert Diemer: Gewaltiges Stück Arbeit geleistet

Ein Porträtfoto eines weißhaarigen Mannes mit roter Robe und weißer Krawatte

Als letzten Zeugen vernahm der NSU-II-Ausschuss den Bundesanwalt Herbert Diemer. (dpa)

Für Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer waren die bisherigen Ermittlungen zu der Verbrechensserie der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ein Erfolg. „Es ist ein ganz gewaltiges Stück, was wir da geleistet haben“, lobte Diemer am Donnerstag, 9. März 2017, als Zeuge vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU/CSU) die Arbeit seiner Behörde, des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof (GBA), und des Bundeskriminalamtes (BKA) in dem Fall.

Diemer übernahm im November 2011, kurz nachdem der NSU aufgeflogen war, als zuständiger Referatsleiter in der Abteilung Terrorismus beim Generalbundesanwalt die Ermittlungen in dem Fall. Seit Prozessbeginn im Mai 2013 vertritt er federführend die Anklage im Gerichtsverfahren gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer am Oberlandesgericht München. Der Prozess steht kurz vor Abschluss der Beweisaufnahme.

„Sicher, dass wir die richtigen Täter haben“ 

Zschäpe wird der Mittäterschaft an insgesamt zehn Morden, 15 Raubüberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen beschuldigt, die der NSU zwischen 1998 und 2011 begangen haben soll. Als Haupttäter gelten laut Anklageschrift Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die alle 27 der im Münchner NSU-Prozess verhandelten Taten alleine ausgeführt und sich im November 2011 kurz vor einer möglichen Ergreifung durch die Polizei selbst getötet haben sollen.

Diemer ließ keinen Zweifel daran, dass er die Schuld der drei bekannten NSU-Terroristen als erwiesen ansieht. „Wir sind uns sicher, dass wir die richtigen Täter haben“, sagte er. Er und seine Kollegen könnten mittlerweile „mit strafprozessualen Mitteln“ beweisen, dass zumindest Böhnhardt und Mundlos bei den Verbrechen vor Ort waren. Zschäpe habe zugleich „den Laden aufrecht gehalten“, so Diemer. Sie habe das jahrelange Leben im Untergrund mitorganisiert, die bürgerliche Scheinexistenz des Trios aufrechterhalten und zugleich die rassistische Ideologie des NSU voll mitgetragen.

„Keine Hinweise auf weitere Täter“ 

Auf die Frage, ob es womöglich noch weitere bisher unbekannte Mittäter oder Helfer gab, antwortete Diemer: „Wir haben bis heute nichts ausgeschlossen, haben aber keine weiteren Hinweise, die auf weitere Täter schließen lassen.“ Wie die Ausschussmitglieder mit ihren Fragen nach und nach herausarbeiteten, ist die Kenntnislage über das Unterstützerumfeld und einen Großteil der Aktivitäten des NSU-Trios nach wie vor dünn.

Auf die Nachfragen etwa, warum die NSU-Mordserie nach 2007 plötzlich abbrach und wo sich Böhnhardt und Mundlos danach die meiste Zeit aufhielten, räumte Diemer ein: „Da haben wir nichts.“ In der letzten gemeinsamen Wohnung des Trios hat laut Zeugenaussagen hauptsächlich Zschäpe gewohnt. Eine weitere konspirative Wohnung wurde zugleich nie gefunden, bestätigte Diemer. Ungeklärt bleibt auch, wie der NSU seine Tatorte und Mordopfer auswählte oder was genau vor und nach der Enttarnung des Trios am 4. November 2011 geschah.

„Begründeter Anfangsverdacht nötig“ 

CDU-Obmann Armin Schuster kritisierte, aus den Ermittlungsakten heraus sei ein Bestreben, das Unterstützerumfeld aufzuklären, nicht zu erkennen. Er äußerte aber auch Verständnis dafür, dass Fragen wie diese nur eine Nebenrolle im laufenden Münchner Strafprozess spielen. 

Obmann Uli Grötsch (SPD) wollte wissen, wie überhaupt entschieden werde, ob ein Hinweis auf eine Person im Umfeld des NSU relevant für den Strafprozess sei oder nicht. „Das machen wir, indem wir den Hinweisen nachgehen“, antwortete Diemer. Den Vorwurf, einige Hinweise seien nur lapidar oder gar nicht geprüft worden, wies Diemer entschieden zurück. Er könne allerdings auch nicht bei jedem Hinweis auf eine Person gleich ein Ermittlungsverfahren einleiten, dafür sei zumindest ein begründeter Anfangsverdacht nötig. Den sah er bei den meisten der noch offenen Spuren, die die Ausschussmitglieder ihm in der mehrstündigen Befragung vorhielten, nicht.

„Keine Einflussnahme des Verfassungsschutzes“ 

Bei diesem Thema kam auch die durch zahlreiche Skandale geprägte Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex erneut zur Sprache. Obfrau Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) fragte Diemer, ob er jemals in Erwägung gezogen habe, dass V-Personen des Verfassungsschutzes in Taten des NSU involviert seien. Hierzu lägen ihm keine Erkenntnisse vor, entgegnete Diemer. Zugleich betonte er, wenn zutreffend, wäre das ein sehr schwerwiegender Strafbestand, der sich womöglich strafmildernd auf das Urteil gegen die Angeklagte Zschäpe auswirken könnte.

Obfrau Petra Pau (Die Linke) monierte, sie habe nach wie vor den Eindruck, dass in Bezug auf mehrere V-Männer im Umfeld des NSU lediglich mit angezogener Handbremse ermittelt worden sei. Diemer sah das freilich anders. Für den Verfassungsschutz zu arbeiten, sei keine Freikarte, Straftaten zu begehen, sagte er. Der Umstand, dass es sich bei einer verdächtigen Person womöglich um einen V-Mann handle, sei grundsätzlich kein Gegenstand für eine prozessuale Entscheidung. Zugleich versicherte er dem Ausschuss: Zu keinem Zeitpunkt habe der Geheimdienst versucht, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen.

„Kein neuer Ermittlungsansatz“ 

Die Abgeordneten konfrontierten Diemer ebenfalls mit der immer länger werdenden Reihe an Skandalen um vernichtete Beweise im NSU-Komplex. Eine Frage war beispielsweise, warum der Generalbundesanwalt die Aussage eines ehemaligen Verfassungsschützers, der nur wenige Tage nach der Enttarnung des NSU im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mehrere womöglich sensible V-Mann-Akten schreddern ließ, nicht an die zuständige Staatsanwaltschaft Köln weiterleitete.

Wie erst spät herauskam, hat der Verfassungsschützer in einer Befragung, bei der auch ein Bundesanwalt anwesend war, zugegeben, die Akten vorsätzlich vernichtet zu haben, um möglichen Schaden vom BfV abzuwenden. Ob die Akten einen Bezug zum NSU hatten, konnte bisher nicht vollständig geklärt werden. Diemer sagte hierzu nur: Aus der Aussage des Verfassungsschützers habe sich kein neuer Ermittlungsansatz für den Generalbundesanwalt ergeben. Die Staatsanwaltschaft Köln hat allerdings nach Bekanntwerden der Aussage doch noch ein Ermittlungsverfahren gegen den mittlerweile versetzten BfV-Mitarbeiter eingeleitet.

Böhnhardt und Mundlos gelten als Haupttäter

Der Ausschussvorsitzende Binninger hakte unter anderem nach, welche Hinweise dem Generalbundesanwalt vorlägen, die zweifelsfrei beweisen würden, dass Böhnhardt und Mundlos bei allen Straftaten des NSU die alleinigen Täter waren. Laut Anklageschrift des GBA bestand der NSU einzig aus dem Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. 

Als Haupttäter gelten Böhnhardt und Mundlos. Sie sollen die insgesamt zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge, die dem NSU aktuell zugerechnet werden, allein ausgeführt haben. Der Untersuchungsausschuss hat daran in der Vergangenheit mehrfach Zweifel geäußert und weitere Ermittlungen gefordert.

„Bekennervideo wichtigstes Beweismittel“ 

Diemer nannte als wichtigstes Beweismittel das Bekennervideo des NSU. Dieses beinhalte Aufnahmen der Mordopfer, die nur die Täter unmittelbar nach den Mordtaten hätten machen können. Auch mehrere Beweisstücke, die in der Wohnung des NSU-Trios in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden wurden – so etwa die Tatwaffe der sogenannten Česká-Mordserie – seien „hieb- und stichfeste Hinweise“ auf die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos. Hinweise darauf, dass auch Zschäpe oder womöglich weitere Personen bei den Tatausführungen dabei waren, gebe es dagegen nicht. Wie Binninger ausführte, wurden allerdings auch an keinem der NSU-Tatorte DNA oder Fingerabdrücke von Böhnhardt und Mundlos gefunden, auch an den Tatwaffen nicht. Es gebe zudem keine Augenzeugen, die die beiden als Täter identifizieren könnten.

Thema waren unter anderem einmal mehr die anonymen DNA-Spuren, die an Mordtatorten des NSU sichergestellt, aber bisher keiner Person zugeordnet werden konnte. Insbesondere ging es dabei um zwei DNA-Spuren an der Kleidung des Polizisten Martin Arnold, der gemeinsam mit seiner Kollegin Michèle Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn vom NSU überfallen worden sein soll. Die mutmaßlichen Täter Böhnhardt und Mundlos schossen aus kurzer Distanz auf die beiden Polizisten und stahlen danach unter anderem ihre Dienstwaffen. Kiesewetter starb noch am Tatort, Arnold überlebte schwerverletzt. Laut Binninger gab es bei dem bis heute rätselhaften Überfall einen „massiven körperlichen Kontakt“ zwischen den Tätern und ihren stark blutenden Opfern.

Keine belastbaren Hinweise durch Zeugenaussagen

Experten hätten bestätigt, dass sich die Täter dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Blut ihrer Opfer beschmierten. Dies decke sich im Übrigen mit den Aussagen von Zeugen, die unabhängig voneinander mehrere blutverschmierte Personen in der Nähe des Tatorts gesichtet hatten. Auf Grundlage dieser Zeugenaussagen war die Polizei zwischenzeitlich von bis zu sechs Tätern ausgegangen. Die zwei anonymen DNA-Spuren an Arnolds Kleidung – eine weibliche und eine männliche – seien zwar mit den Tätern sowie mit Arnolds privatem Umfeld und tatortberechtigten Personen, die den Tatort untersucht haben, abgeglichen worden. Treffer hat es laut Binninger dabei keine gegeben, was die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass die Spuren von weiteren, bisher unbekannten Tätern stammen.

Diemer wehrte sich gegen die Kritik der Abgeordneten, diesen und anderen Hinweisen sei nicht gründlich nachgegangen worden. Die offenen DNA-Spuren habe man unter anderem mit der DNA-Datenbank des BKA abgeglichen, ohne Erfolg. Wie genau die Polizei mit den Spuren im Einzelnen umgegangen sei, könne er nicht sagen, gab Diemer an. Die fraglichen Zeugenaussagen in Heilbronn seien letztendlich nicht kongruent gewesen und hätten ebenfalls zu keinen belastbaren Hinweisen geführt.

„Das lass' ich mir nicht unterstellen“

Den Vorwurf, Diemer und seine Kollegen hätten Beweise nicht oder weniger beachtet als andere, um die Anklage im NSU-Prozess zügig voranzutreiben und um etwaige Verstrickungen der Geheimdienste in dem Fall zu verheimlichen, wies Diemer scharf zurück. „Das kann man uns und lass' ich mir auch nicht unterstellen“, sagte Diemer. Zwar sieht er die für den aktuellen Münchner Strafprozess relevanten Ermittlungen für abgeschlossen an, neuen Hinweisen werde aber nach wie vor nachgegangen. Neben laufenden Ermittlungsverfahren gegen weitere bekannte Verdächtige würden in einem zusätzlichen Ermittlungsverfahren aktuell noch 37 weitere Ermittlungen gegen Unbekannt bearbeitet, die künftig zu weiteren Anklagen führen sollen.

Der 3. Untersuchungsausschuss soll offene Fragen zur Arbeit der staatlichen Behörden bei den Ermittlungen im Umfeld der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) klären und Handlungsempfehlungen erarbeiten. Mit der Befragung Diemers hat er seine öffentliche Beweisaufnahme beendet. In den kommenden acht bis zehn Wochen wolle der Ausschuss nun seinen umfangreichen Abschlussbericht fertig stellen, kündigte Binninger abschließend an. Eine Veröffentlichung des Berichts ist nach derzeitigem Zeitplan für Anfang Juni geplant. (fza/10.03.2017)

Geladener Zeuge

  • Dr. Herbert Diemer, Bundesanwalt

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