Parlament

Abgeordnete aus Weißrussland zu Gast im Bundestag

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, Igor Zhuk, (re), Tatiana Kononchuk, (2.v.li), Botschafter Denis Sidorenko, (li), Republik Belarus

Botschafter Denis Sidorenko, Abgeordnete Tatiana Kononchuk, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und der Abgeordnete Igor Zhuk im Reichstagsgebäude (DBT/Melde)

Erstmalig war vom 20. bis 23. November 2018 eine Delegation mit Parlamentariern aus Weißrussland (Belarus) zu Besuch im Deutschen Bundestag. Dort trafen die Gäste Abgeordnete der Deutsch-Belarussischen Parlamentariergruppe und wurden von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) empfangen. 

Auf dem Programm standen außerdem Gespräche im Auswärtigen Ausschuss sowie in den Ausschüssen für Landwirtschaft und Ernährung und für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Besucher erhielten auch Einblick in die zweite Kammer des Parlaments, den Bundesrat, und den deutschen Föderalismus, machten einen Abstecher in die Landeshauptstadt Erfurt und trafen Vertreter der Bundesregierung.

„Wichtige und besondere Begegnungsarbeit“

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Weißrussland zu pflegen und auszubauen sei „eine wichtige und besondere Begegnungsarbeit“, sagt Oliver Kaczmarek (SPD), stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Belarussischen Parlamentariergruppe, anlässlich des Besuchs der Abgeordneten Igor Zhuk und Tatiana Kononchuk

Zhuk ist stellvertretender Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Rates der Republik für Regionalpolitik und lokale Selbstverwaltung und Leiter der Arbeitsgruppe der Nationalversammlung für die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag (Leiter der Delegation).

Tatiana Kononchuk ist Vorsitzende des Ständigen Ausschusses des Repräsentantenhauses für Ökologie, Naturschutz und Tschernobylkatastrophe und stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe der belarussischen Nationalversammlung für die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag.

Fortgesetzte Hilfe für die Tschernobyl-Opfer

Im März 2018 hatte sich die bereits in den vorigen Wahlperioden bestehende Deutsch-Belarussische Parlamentariergruppe im Bundestag erneut konstituiert. Das Parlament in Minsk hat ein ähnliches Gremium eingerichtet, die „Arbeitsgruppe der Nationalversammlung für die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag“.

Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen beschäftigen sich hierzulande zudem mit dem östlichen Nachbarn der Europäischen Union und leisten für das Land wertvolle, ja unersetzliche Unterstützung, so Oliver Kaczmarek. Das gelte vor allem immer noch für die Bewältigung der Spätfolgen der Reaktorkatastrophe von 1986 im ukrainischen Tschernobyl, bei der weiterhin qualifizierte medizinische Hilfe für die Opfer gefragt sei. Weißrussland war das von der Reaktorkatastrophe am stärksten betroffene Land. Deutschland leistet seit Jahren erhebliche Beiträge, um Betroffenen zu helfen.

Intensive Erinnerungsarbeit

Darüber hinaus betont Kaczmarek die intensive wissenschaftliche Kooperation zwischen beiden Ländern sowie die Städtepartnerschaften. „Mit Belarus verbindet uns in besonderer Weise auch die Geschichte“, spannt Kaczmarek den Bogen noch weiter und erinnert daran, dass die damalige Sowjetrepublik eines der am stärksten von den nationalsozialistischen Verbrechen betroffenen Ländern war. Der Bundestag begreife dies als eine besondere Verantwortung und pflege auch eingedenk der Ereignisse des Zweiten Weltkrieges die Beziehungen zu Minsk.

Das Gedenken und die Angebote der Zusammenarbeit von deutscher Seite reichten weit über offizielle Delegationsbesuche und das Engagement einzelner Abgeordneter der Parlamentariergruppe hinaus und geschähen in enger Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, erklärt Kaczmarek. So betreibe das Internationale Begegnungswerk (IBB) aus Dortmund seit den 1990er-Jahren gemeinsam mit weißrussischen Partnern und gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Begegnungsstätte in Minsk, die Überlebenden und Besuchern Raum biete, sich auszutauschen und sich gemeinsam zu erinnern. Vom IBB sei außerdem die Initiative für eine gemeinsame deutsch-belarussische Gedenkstätte in Belarus ausgegangen, die an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus erinnern soll.

Minsk als Mittler zwischen Ost und West

Dem Land bei der Verarbeitung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe weiter beizustehen und es darüber hinaus insgesamt, in sämtlichen Politikbereichen, zu unterstützen und zu stabilisieren, liegt laut Kaczmarek im Interesse Deutschlands. Weißrussland wolle sich international einbringen, einen Beitrag leisten, um Konflikte in seiner Nachbarschaft, auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, beizulegen. Durch Minsks Vermittlung im Ukraine-Konflikt hatte sich die Staatengemeinschaft 2015 auf das sogenannte Minsker Abkommen geeinigt, mit dessen Hilfe der Konflikt zwischen Kiew und Moskau entschärft werden soll.

Berlin baue auf die Bereitschaft Minsks, sich auch in Zukunft für Frieden und Stabilität in der Region einzusetzen, so das Vorstandsmitglied der Parlamentariergruppe. Mit seiner ambitionierten Vermittlerrolle unterstreiche das Land an der östlichen Peripherie der EU, dass es Verantwortung übernehmen und zu Europa gehören wolle, sagte Kaczmarek.

Deutsches Know-how in Minsk gefragt

Um auf die europäischen Ambitionen des Nachbarlandes der EU einzugehen, gebe es zahlreiche Anknüpfungspunkte. Zu den weiteren Vorhaben der bilateralen Zusammenarbeit gehöre beispielsweise, dass die Bundesregierung Weißrussland beim Beitritt zum europäischen Hochschulraum, dem so genannten Bologna-Prozess, unterstütze.

Das Programm des Delegationsbesuchs spiegelte noch weitere Interessen Minsks, berichtet Kaczmarek. So wolle die dortige Führung vom deutschen Know-how in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit lernen, beispielsweise was die Reinigung von Gewässern sowie die Vermeidung und das Recycling von Müll betrifft. Auch die Energiewende mitsamt dem Atomausstieg habe die Neugier der Verantwortlichen in Minsk geweckt.

Und natürlich wolle man wirtschaftlich mit Deutschland und der EU zusammenarbeiten und erhoffe sich von der Zusammenarbeit Impulse. Momentan sei die wirtschaftliche Lage in dem Land prekär, aber keinesfalls aussichtslos, urteilt Kaczmarek. Schließlich sei Belarus ein Technologiestandort mit Tradition und verfüge über zahlreiche ausgebildete Leute – ein Potenzial, an das Investoren anknüpfen könnten.

Dialog auch über die kritischen Fragen

Bei der Zusammenarbeit mit Weißrussland weiß Deutschland das außenpolitische Engagement der Minsker Führung zu schätzen, unterstreicht der stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Bei Treffen der Parlamentarier bringe man aber nicht nur Anerkennung zum Ausdruck und gehe auf die Wunschthemen der Partner ein. „Wir haben auch kritische Fragen gestellt“, berichtet Kaczmarek, und Themen angeschnitten, bei denen man mit der Entwicklung nicht zufrieden sei und auf Veränderung dringe. Diese reichten von der Abschaffung der Todesstrafe bis hin zur Verbesserung der Investitionsbedingungen.

Dabei trete man keinesfalls schulmeisterlich-belehrend auf, sondern versuche, die Gesprächspartner aus Osteuropa auf Augenhöhe und mit Argumenten von den Vorteilen der Rechtsstaatlichkeit zu überzeugen. So sei Weißrussland nicht Mitglied des Europarates, weil in dem Land weiterhin die Todesstrafe verhängt werden könne, mahnt der SPD-Politiker Kaczmarek. Und die wirtschaftliche Dynamik bleibe unter anderem auch deshalb aus, weil vom Staat keine optimalen Rahmenbedingungen geschaffen worden seien. Verwaltungsabläufe seien nach wie vor zu kompliziert, dauerten zu lange und es gebe zu wenig Rechtssicherheit. Das schrecke ausländische Investoren ab. Dabei werde deren Kapital und Know-how für die Entwicklung der Volkswirtschaft dringend gebraucht.

Wichtige Rolle der Parlamentariergruppe

In den bilateralen Beziehungen, die auf Regierungsebene, vom Auswärtigen Amt, gepflegt werden, haben die Kontakte auf parlamentarischer Ebene eine eigene, wichtige Funktion, erläutert Kaczmarek. Einerseits hätten sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als auch Außenminister Sigmar Gabriel Belarus 2018 besucht. „Als Parlamentariergruppe fügen wir aber der Pflege der bilateralen Beziehungen noch eine weitere Komponente hinzu“, so der Abgeordnete aus dem westfälischen Kamen. „Unsere Stärke besteht darin, die zwischenstaatlichen Beziehungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu unterfüttern. In diesem Bereich verfügen wir durch unsere vielfältigen Kontakte über umfassende, spezifische Kenntnisse, die wir einbringen.“

Diplomatie funktioniert nur, wenn sie auf ein breites politisches und gesellschaftliches Fundament aufbauen kann, ist Kaczmarek überzeugt und fügt hinzu: „Ich sehe die Parlamentariergruppe mit ihrer internationalen Arbeit als Beiboot der deutschen Außenpolitik.“ Man ziehe an einem Strang, zeige aber entsprechend der Zusammensetzung des deutschen Bundestages aus sechs Fraktionen, die sich in der Parlamentariergruppe widerspiegeln, auch die Vielfalt der politischen Meinungen. „Wir stärken mit dieser Form der Zusammenarbeit auch den Parlamentarismus in Belarus, wo das Parlament nicht so eigenständig ist wie in Deutschland“, sagt der SPD-Politiker. Im politischen System Weißrusslands befinde sich die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament noch im Versuchsstadium.

Ringen um Einhaltung europäischer Werte

Alles in allem sei Weißrussland ein sehr spannendes Land mit weiterem Entwicklungspotenzial, obgleich es meist nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehe, sagt Kaczmarek. Es sei ein wertvoller sicherheitspolitischer Partner in Osteuropa. Berlin und Minsk seien vielfach miteinander vernetzt, die deutsche Seite jederzeit bereit, offen über alles zu sprechen und zu helfen. Das reiche von den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Defiziten bei der Rechtsstaatlichkeit in Belarus. Letztere seien auch der Grund gewesen, warum man, abgesehen von Einzelbesuchen und Kontakten auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene, erst jetzt dem Besuch einer offiziellen Delegation zugestimmt habe.

Vor zwei Jahren sei eine deutsche Delegation zum ersten Mal in Weißrussland gewesen. Dann habe man die Minsker Parlamentarier zum Gegenbesuch nach Deutschland eingeladen. Nach Wahlen in beiden Ländern konnte dieser Besuch nun stattfinden. Zuvor hatte sich der Bundestag dem Austausch von Delegationen verweigert, da  das Regime in Minsk jahrelang politische Gegner in Haft hielt. Dieser wesentliche Hinderungsgrund, nämlich Menschen wegen ihrer politischen Meinung zu inhaftieren, sei nun weggefallen. Heute gebe es in Weißrussland keine politischen Gefangenen mehr. (ll/12.12.2018)

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