Geschichte

Vor zehn Jahren: Papst Benedikt XVI. spricht im Bundestag

v.l. Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft, SPD, Bundespräsident Christian Wulff, Seine Heiligkeit Papst Benedikt der XVI., Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, CDU/CSU, MdB, und Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, CDU/CSU, MdB, betreten gemeinsam den Plenarsaal im Deutschen Bundestag.
Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. spricht als Staatsoberhaupt des Vatikans im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Im Hintergrund ist die Regierungsbank zu sehen.
Rede von Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag.
Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, CDU/CSU, MdB, heißt seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. als Staatsoberhaupt des Vatikans im Plenarsaal des Deutschen Bundestages willkommen und eröffnet die Sitzung anlässlich des Besuches mit einer Rede.
Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, CDU/CSU, MdB, und seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. verlassen den Plenarsaal.
Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, CDU/CSU, MdB, heißt seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. als Staatsoberhaupt des Vatikans im Plenarsaal des Deutschen Bundestages willkommen und eröffnet die Sitzung anlässlich des Besuches mit einer Rede. Papst Benedikt XVI. bedankt sich für den Applaus der Abgeordneten, die sich von ihren Plätzen erhoben haben.
Bundespräsident Christian Wulff, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, CDU/CSU, MdB, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westphalen, Hannelore Kraft, SPD, Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, CDU/CSU, MdB, und die Vertreter der Länder auf der Bundesratsbank Ministerpräsident des Landes Baden Württemberg, Winfried Kretschmann, Bündnis 90/Die Grünen, Ministerpräsident von Bayern, Horst Seehofer, CSU und Regierender Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, SPD, Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck, SPD, Ministerpräsident des Landes Hessen, Volker Bouffier, CDU und Ministerpräsident des Landes Niedersachsen David McAllister, CDU, heißen seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. als Staatsoberhaupt des Vatikans im Plenarsaal des Deutschen Bundestages willkommen. Der regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, SPD, schüttelt Papst Benedikt XVI. die Hand.

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Einzug in den Plenarsaal: von links Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Bundespräsident Christian Wulff, Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI., Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert. (DBT/photothek/Thomas Köhler)

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Papst Benedikt XVI. während seiner Rede im Deutschen Bundestag; links die Regierungsbank mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. (DBT/photothek/Thomas Köhler)

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Papst Benedikt XVI. spricht am 22. September 2011 zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. (DBT/photothek/Thomas Köhler)

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Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert (rechts) heißt Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. als Staatsoberhaupt des Vatikans im Bundestag willkommen. (DBT/photothek/ Thomas Köhler)

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Papst Benedikt XVI. und Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert verlassen den Plenarsaal des Deutschen Bundestages. (DBT/Werner Schüring)

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Papst Benedikt XVI. bedankt sich nach seiner Ansprache für den Applaus der Abgeordneten, die sich von ihren Plätzen erhoben hatten. Im Hintergrund Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert, vorne links Bundespräsident Christian Wulff, vorne rechts Bundeskanzlerin Angela Merkel. (DBT/Werner Schüring)

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Papst Benedikt XVI. begrüßt die Mitglieder des Bundesrates im Plenarsaal des Bundestages; von links Bundespräsident Christian Wulff, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert; in der Bundesratsbank der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit, der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister. (DBT/Werner Schüring)

Vor zehn Jahren, am Donnerstag, 22. September 2011, war der Plenarsaal des Deutschen Bundestages Schauplatz eines Ereignisses „von historischer Bedeutung“, wie Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hervorhob. Mit Papst Benedikt XVI. sprach erstmals ein Papst, noch dazu der erste deutsche Papst seit 1523, im Rahmen seines Staatsbesuchs in Deutschland zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Oberhaupt des Staates Vatikanstadt

Benedikt war nicht nur Oberhaupt aller Katholiken, sondern in Personalunion auch Oberhaupt des Staates Vatikanstadt. In dieser Eigenschaft hatte er prominente Vorgänger, die ebenfalls im Bundestag gesprochen hatten: die US-Präsidenten Richard Nixon, Ronald Reagan und George W. Bush, die französischen Präsidenten François Mitterrand und Jacques Chirac, die israelischen Staatspräsidenten Ezer Weizman, Moshe Katsav und Shimon Peres, den südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela, den tschechischen Präsidenten Václav Havel, den russische Präsidenten Wladmir Putin und den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko.

Bereits am 16. Dezember 2010 hatte Bundestagspräsident Lammert im Ältestenrat des Bundestages verkündet, dass Benedikt XVI. Interesse habe, im Bundestag zu sprechen. Von den Partei- und Fraktionsführungen habe er „Signale der Zustimmung erhalten“. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hatte den Bundestagspräsidenten darüber informiert, dass Benedikt eine frühere Einladung Lammerts angenommen habe. Lammert hatte den Papst schon aus Anlass des 50. Jahrestages der Römischen Verträge und der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 eingeladen.

Politik als „Mühen um Gerechtigkeit“

In seiner Begrüßungsansprache am 22. September 2011 sagte Lammert, die Menschen wünschten sich dringlich, dass im Pontifikat eines deutschen Papstes nicht nur ein weiteres Bekenntnis zur Ökumene, sondern ein „unübersehbarer Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung“ stattfinde. Die Begegnung des Papstes mit Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Erfurt begründe die Hoffnung, dass der 500. Jahrestag der Reformation im Jahre 2017 „ein gemeinsames Zeugnis des Glaubens“ werden könnte.

Benedikt setzte in seiner Rede indes andere Schwerpunkte. Politik müsse „Mühen um Gerechtigkeit“ sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen. Erfolg dürfe nicht letzter Maßstab und Grund für die Arbeit des Politikers sein. Vielmehr sei der Erfolg dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet. Gerade die Deutschen hätten erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde.

„Der Herrschaft des Unrechts wehren“

Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren, bleibe grundlegende Aufgabe des Politikers. In einer historischen Stunde, in der dem Menschen bisher nicht vorstellbare Macht zugefallen sei, werde diese Aufgabe besonders dringlich. Der Mensch könne die Welt zerstören, sich selbst manipulieren, „Menschen machen“ und Menschen vom Menschsein ausschließen. Die Bitte, wie König Salomon ein „hörendes Herz“ zu bekommen, um das Gute vom Bösen unterscheiden zu können, bleibe die entscheidende Frage, vor der Politiker und die Politik auch heute noch stünden.

Der damals 84-jährige frühere Theologieprofessor Dr. Josef Ratzinger, 1951 zum Priester geweiht, wandte sich dagegen, in Europa nur das „positivistische Konzept von Natur und Vernunft“ als gemeinsame Kultur und gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen. Zwar sei die positivistische Weltsicht als Ganzes ein „großartiger Teil menschlichen Erkennens und menschlichen Könnens“ und unverzichtbar, aber als Ganzes keine „dem Menschsein in seiner Weite entsprechende und genügende Kultur“.

„Dramatische Situation“

Was die Frage nach den Grundlagen der Gesetzgebung betrifft, hat sich nach den Worten des Papstes eine „dramatische Veränderung der Situation“ zugetragen. Während der Gedanke des Naturrechts heute als katholische Sonderlehre gelte, werde das positivistische Verständnis von Natur und Vernunft inzwischen fast allgemein angenommen. Aus einem „Aggregat von als Ursache und Wirkung miteinander verbundenen Seinstatsachen“ könne keine irgendwie geartete ethische Weisung hervorgehen. Ein positivistischer, die Natur rein funktional verstehender Naturbegriff könne keine Brücke zu Ethos und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen.

Benedikt sprach in diesem Zusammenhang von einer „dramatischen Situation“ und rief zu einer öffentlichen Diskussion auf: Ethos und Religion würden dem „Raum des Subjektiven“ zugewiesen und fielen aus dem Bereich der „Vernunft im strengen Sinn des Wortes“ heraus. Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansehe und alle anderen kulturellen Realitäten in der Status einer Subkultur verbanne, „da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit“.

„Schrei nach frischer Luft“

In Europa versuchten weite Kreise, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen. Damit werde Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status „der Kulturlosigkeit“ gerückt. Zugleich würden extremistische und radikale Strömungen herausgefordert. „Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen“, mahnte der Papst.

Die ökologische Bewegung in der deutschen Politik seit den siebziger Jahren wertete der Papst als ein „Schrei nach frischer Luft“. Jungen Menschen sei bewusst geworden, dass „irgendetwas in unserem Umgang mit der Natur nicht stimmt“. Benedikts Bekenntnis, dass er „hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache“, sorgte für Heiterkeit in den Reihen der Abgeordneten.

„Unser kulturelles Gedächtnis“

Die Überlegungen Benedikts mündeten in die Frage, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft voraussetzt. Die Idee der Menschenrechte, der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Würde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln seien von der Überzeugung eines Schöpfergottes her entwickelt worden: „Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben.“

Die Begegnung des Gottesglaubens Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und des Rechtsdenkens Roms bilde die innere Identität Europas und habe Maßstäbe des Rechts gesetzt, „die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist“.

Die Abgeordneten aller Fraktionen erhoben sich nach der Rede Benedikts zu langanhaltendem Beifall von ihren Plätzen. (vom/15.09.2021)

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