Petitionen

Petitionsausschuss auf den Spuren ehemaliger Boden­reformflächen auf Rügen

Eine Bank steht auf einer Wiese auf einem Hügel vor dem Meer.

Der Campingplatz in Suhrendorf gehört zur Hälfte der Gemeinde Ummanz, zur anderen Hälfte der Hansestadt Stralsund. (DBT/Xander Heinl/photothek)

Dani Neubeck fährt sich nervös mit der Hand über die graumelierten Bartstoppeln. Für einen kurzen Moment hält er inne, holt Luft. Dann setzt er wieder an. Er redet schnell, sehr schnell. Immer wieder zieht er dicke Aktenmappen hervor, blättert in Unterlagen, zitiert aus Dokumenten. „Das gebe ich Ihnen alles nachher mit“, sagt er und hebt einen dicken Papierstapel in die Höhe. Dann schiebt er den Stuhl zurück und steht auf. So fühle er sich beim Reden wohler, erklärt er, die Holzdielen in der umgebauten Scheune knarzen. 

Noch fünf Minuten, Neubeck muss sich sputen. Unmöglich in der kurzen Zeit all das vorzubringen, was ihm auf der Seele brennt. Schließlich begleitet ihn das Thema schon mehr als sein halbes Leben, 32 Jahre um genau zu sein. An diesem Mittwoch, 5. Oktober 2022, will er dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sein Anliegen persönlich vortragen.

Ein Mann mit braunem Förster-Sakko und dunklen Locken steht in einem lichtdurchfluteten Raum. In der linken Hand hält er Dokumente, mit der rechten gestikuliert er.

Dani Neubeck zweifelt die Vermögenszuordnung ehemaliger volkseigener Grundstücke der Gemeinde Ummanz zugunsten der Hansestadt Stralsund an. (DBT/Xander Heinl/photothek)

„Akten sind das eine, vor Ort zu sein das andere“

Es geht um die 600-Einwohner-Gemeinde Ummanz im Westen der Ostseeinsel Rügen und die nahegelegene Hansestadt Stralsund. Genauer gesagt um Flächen, die zwar in ersterer liegen, aber letzterer gehören – denn etwa 90 Prozent der Gemeinde Ummanz gehört der Hansestand. Und vor allem um die Frage, ob das rechtens ist. Nein, meinen Neubeck und seine Mutter Eva Neubeck. Weshalb sie sich mit einer Petition an den Bundestag gewandt haben. 

Er, so hoffen sie, könne bei der Aufklärung helfen. Der Ortstermin in Ummanz soll erste Klarheit schaffen oder zumindest den Mitgliedern des Petitionsausschusses ein deutlicheres Bild von der Lage verschaffen. Akten studieren sei schließlich das eine, sagt Erik von Malottki (SPD), der zusammen mit Ina Latendorf (Die Linke) als Berichterstatter Neubecks Petition bearbeitet. Vor Ort zu sein, sei das andere. 

Alle Parteien an einen Tisch bringen

Der Abgeordnete ist überzeugt, „einen Lösungsweg zu finden ist sehr viel einfacher, nachdem sich alle Beteiligten ins Gesicht geguckt haben“. Und so bringt der Ausschuss an diesem Tag beide Seiten auf einem Bauernhof im Ortsteil Lieschow zusammen: Auf der einen Seite der hufeisenförmig angeordneten Tische sitzen der Petent und seine Mitstreiterinnen Eva Neubeck und Petra Koch, auf der anderen Bürgermeister der Gemeinde Ummanz Holger Kliewe und sein Vorgänger Olaf Klut. Dazwischen von Malottki, Latendorf und die Wahlkreisabgeordnete Anna Kassautzki (SPD).

Auch die ehemalige Bundestagsabgeordnete Kerstin Kassner (Die Linke), die mit dem Sachverhalt seit vielen Jahren vertraut ist und das Thema maßgeblich vorangetrieben hat, ist dabei ebenso Rainer Schultz, seit 2012 leitender Verwaltungsbeamter des Amtes Rügen-West, und der Vorsitzende des Petitionsausschusses von Mecklenburg-Vorpommern Thomas Krüger

Blick in einen Raum mit viel Holz und großen Fenstern. An hufeisenförmig angeordneten Tischen sitzen Menschen, vor ihnen stehen Mikrofone.

Auf einem Bauernhof in Lieschow bringt der Petitionsausschuss beide Seiten zusammen: links der Petent und seine Mitstreiterinnen, rechts Gemeindevertreter. (DBT/Xander Heinl/photothek)

„Nach der Wende ist viel schief gelaufen“

Ummanz stehe beispielhaft für ein ostdeutsches Gesamtproblem, sagt von Malottki. „Wir sehen, dass nach der Wende bei der Frage der Restitution von Flächen viel schief gelaufen ist.“ Oft hätten Betroffene ihre Rechte nicht gekannt, was bei vielen Ostdeutschen zu einem großen Ungerechtigkeitsgefühl geführt habe. 

Bei Dani und Eva Neubeck hält das bis heute an – auch mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung. Sie zweifeln die Vermögenszuordnung ehemaliger volkseigener Grundstücke der Gemeinde Ummanz zugunsten der Hansestadt Stralsund an. 

Erik von Malottki (Mitte) im Gespräch mit Dani und Eva Neubeck.

Erik von Malottki (Mitte) im Gespräch mit Dani und Eva Neubeck. (DBT/Xander Heinl/photothek)

Wer ist Rechtsnachfolger?

Historisch gehörte die Insel dem Kloster zum Heiligen Geist von Stralsund. Mit der Bodenreform 1945 in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone wurden die Flächen neu vergeben und zu DDR-Zeiten zu Volkseigenen Gütern (VEG). Anfang der 1990er Jahre erhob die Hansestadt Restitutionsansprüche auf die Flächen, weil sie sich als Rechtsnachfolger des ehemaligen Klosters sah.

Ein Mann mit blauem Sakko und blau-weiß gestreiftem Hemd sitzt an einem Tisch mit Mikrofonen. Links und rechts von ihm sitzen Männer mit grauem Haar und Brille.

Bürgermeister Holger Kliewel sieht die Schuld für die Probleme um die ehemaligen Bodenreformflächen nicht bei der Gemeinde. (DBT/Xander Heinl/photothek)

Die Gemeinde Ummanz legte Widerspruch ein, ließ die Klage jedoch einige Jahre später fallen und schloss im Gegenzug Zuordnungsvereinbarungen mit der Hansestadt Stralsund. „Wir hatten keine Rechtsgrundlage gefunden, unsere Position zu verbessern und mehr Flächen zu bekommen“, sagt der damalige ehrenamtliche Bürgermeister Klut. Stattdessen habe man sich auf jene Flächen konzentriert, die für die kommunale Entwicklung der Gemeinde wichtig gewesen seien und für die Bewohner ein Kaufrecht für Grundstücke bis 500 Quadratmeter, einen halben Erbbauzins für größere Flächen und ein lebenslanges Mietrecht verhandelt, so Kliewe, sein damaliger Stellvertreter.

Petent lastet Gemeinde „drei Kardinalfehler“ an

Ein großer Fehler, meint Dani Neubeck. Nicht nur, weil die Hansestadt der Vereinbarung in vielen Fällen nicht nachgekommen sei. Aus seiner Sicht hätte die Gemeinde nie von ihren Restitutionsansprüchen zurücktreten dürfen. Auch sei es falsch gewesen, die Klage fallen zu lassen. „Das hätte Klarheit geschaffen“, so der Petent. Und zu guter Letzt habe man vor zwei Jahren eine Frist für mögliche Neuzuordnungen versäumt.

Mit diesen drei Kardinalfehlern hat die Gemeinde den Weg geebnet, „dass die Bodenreform zugunsten der Hansestadt Stralsund ausgehebelt wurde“, ist sich Neubeck sicher. Er fordert eine rechtliche Überprüfung des Rückübertragungsanspruches der Hansestadt Stralsund. Schließlich gehe es um Geld, viel Geld, das der Gemeinde für ihre Entwicklung fehle. „Die Gemeinde hat eine Fläche von 1700 Hektar fast verschenkt“, sind sich Mutter und Sohn einig. Ob die Zuordnung richtig gewesen sei, sei nie wirklich überprüft worden, kritisiert auch die ehemalige Abgeordnete Kassner. „Man hat es letzten Endes akzeptiert, weil die Übermacht von Stralsund so groß gewesen ist.“ 

Nach 32 Jahren einen Schlussstrich ziehen

Eine Fläche, um die es geht, ist die Ferienanlage Regenbogen in Suhrendorf an der Westküste von Ummanz. Mit dem Bus geht es für die Anwesenden einmal quer über die Insel, vorbei an Maisfeldern und Kuhherden. Am Platz angekommen spaziert die Gruppe über die Anlage, links eine Minigolfanlage, weiter hinten Campingwägen und Bungalows. An einer Badestelle macht sie Halt. Kleine Boote liegen in Ufernähe, zwei Surfer segeln gegen den Wind. 

Ein Mann mit braunem Sakko und blauem Hemd steht auf einer Wiese vor dem Meer. In der Hand hält er ein zusammengerolltes Papier. Neben ihm steht die Abgeordnete Ina Latendorf.

Ortsbesichtigung der Ferienanlage Regenbogen: Petent Dani Neubeck und die Abgeordnete Ina Latendorf im Gespräch. (DBT/Xander Heinl/photothek)

„Den Campingplatz wollte keiner abgeben“, sagt Bürgermeister Kliewe. Schließlich habe man ihn zu gemeinschaftlichem Eigentum erklärt: Zur Hälfte gehört die Anlage der Hansestadt Stralsund, zur anderen der Gemeinde Ummanz. Zurück am Bus macht Eva Neubeck ihrem in mehr als 30 Jahren aufgestauten Unmut Luft. „Ich bin total unzufrieden“, sagt sie und schaut von Malottki an. „Dann setzten wir uns jetzt direkt hinten in den Bus und diskutieren das aus!“, erwidert der Abgeordnete, die beiden lassen sich in der letzten Reihe des Busses nieder.

Zehn Minuten später, zurück am Bauernhof, hat sich ihre Miene sichtlich aufgehellt. „Sie leben ja noch“, witzelt Dani Neubeck und grinst von Malottki an, der sich gerade durch den Bus Richtung Ausgang schlängelt. „Wir haben uns gut unterhalten!“, entgegnen Eva Neubeck und von Malottki wortgleich. Klar, es sei wichtig gewesen, sich an einen Tisch zu setzen, wird sie später sagen. Und schön, endlich gehört zu werden. Trotzdem gehe sie mit gemischten Gefühlen nach Hause. Sie wünscht sich, nach 32 Jahren endlich einen Schlussstrich unter das Thema setzen zu können.

Aufarbeitung der 1990er Jahre

Für den Petitionsausschuss geht die Arbeit jetzt erst richtig los. „Wir haben höchstens die Hälfte der Strecke hinter uns“, sagt von Malottki. Für ihn ist klar, es brauche eine historisch-politische Auseinandersetzung mit den Geschehnissen nach der Wiedervereinigung. Es gehe darum, die „Ungerechtigkeit nach der Wende“ wissenschaftlich aufzuarbeiten. 

Rückgängig machen könne der Petitionsausschuss die Zuordnung der ehemaligen Bodenreformflächen allerdings nicht. „Die Klage ist zurückgezogen worden. Man kommt da eigentlich nicht mehr ran“, meint auch Ina Latendorf. Schließlich handle es sich um ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren, das bestandskräftig sei.

„Da liegt noch viel Papierarbeit vor uns“

Die Abgeordnete Anna Kassautzki sitzt vor einem Tisch mit Mikrofonen. Links neben ihr sitzt Erik von Malottki.

Die Abgeordnete Anna Kassautzki während der Anhörung. (DBT/Xander Heinl/photothek)

Erfolgversprechender sei es, an einem anderen Punkt anzusetzen: Nämlich der Frage nachzugehen, ob die Hansestadt Stralsund vertragsbrüchig geworden sei, was die Kauf- und Erbbaurechte anbelange. „Lässt es sich nachweisen, dass die Hansestadt Stralsund ihre Vereinbarungen nicht eingehalten hat?“, wirft Kassautzki in den Raum. Darauf sollten sich die Petenten fokussieren, meint auch der Vorsitzende des Petitionsausschusses Mecklenburg-Vorpommern Krüger. Schließlich gehe es um die Frage, was juristisch noch möglich sei, sagt von Malottki und fügt hinzu: „Unser Anspruch als Petitionsausschuss lautet: Wie können wir Menschen noch konkret helfen?“ 

Für Latendorf und ihn heißen die nächsten Schritte deshalb, weiter Informationen zusammentragen, Akten lesen und die Hansestadt Stralsund zur Aufklärung auffordern. „Dazu ist sie aus moralischer Sicht verpflichtet“, meint der SPD-Abgeordnete und kritisiert, dass kein Vertreter der Hansestadt an dem Termin teilgenommen hat. Als Berichterstatter erarbeiten die beiden eine Empfehlung, wie mit der Petition weiter verfahren werden soll, der Ausschuss legt diese dann dem Bundestag zur Abstimmung vor. „Da liegt noch viel Papierarbeit vor uns“, sagt Latendorf. Vermutlich hat die Linkenabgeordnete dabei auch den großen Aktenstapel von Dani und Eva Neubeck im Kopf. (irs/06.10.2022)

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