Parlament

Bundestagswahl muss in 455 Berliner Wahl­be­zirken wiederholt werden

Eine Kopfbedeckung eines Richters des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts liegt auf einem Tisch.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden muss. (© picture alliance / Flashpic | Jens Krick)

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag über den Bundestagsbeschluss vom 10. November 2022 hinausgehend in weiteren 31 Wahlbezirken des Landes Berlin sowie den zugehörigen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet (Aktenzeichen: 2 BvC 4 /23). Damit muss die Wahl in 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden. Das Bundeswahlgesetz sieht dafür eine Frist von 60 Tagen vor. Der Berliner Landeswahlleiter hat den Wahltermin auf Sonntag, 11. Februar 2024, festgelegt.

Bundestagsbeschluss vom November 2022 aufgehoben

Mit dem am Dienstag, 19. Dezember 2023, verkündeten Urteil hob der Senat zudem den genannten Bundestagsbeschluss zur dritten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen gegen die Bundestagswahl vom 26. September 2021 (20/4000) auf, der in namentlicher Abstimmung mit 374 gegen 252 Stimmen bei 31 Enthaltungen gefasst worden war. In dem Beschluss war die Bundestagswahl in sieben Wahlbezirken und den damit verbundenen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt worden.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte sich mit ihrer Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Bundestagsbeschluss gewandt, mit dem die Bundestagswahl in 431 Wahlbezirken in Berlin für ungültig erklärt und insoweit eine Wiederholungswahl angeordnet worden war. Wie es im Urteil heißt, sei der damalige Bundestagsbeschluss im Ergebnis überwiegend rechtmäßig gewesen. Der Bundestag habe das Wahlgeschehen jedoch unzureichend aufgeklärt, da er auf die gebotene Beiziehung und Auswertung der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet habe. Dies habe das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachgeholt.

Wiederholungswahl mit Erst- und Zweitstimme

Daraus ergibt sich für die Richterinnen und Richter, dass einerseits die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke für ungültig erklärt werden muss. Zugleich sei die Ungültigerklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken und deren Briefwahlbezirken im damaligen Bundestagsbeschluss aufzuheben.

Daneben führten Besonderheiten der Auszählung von Briefwahlstimmen, die erst nach der mündlichen Verhandlung im Juli 2023 bekannt geworden seien, zur Ungültigerklärung der Bundestagswahl in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen verbundenen Urnenwahlbezirken. Die Wiederholungswahl müsse als Zweistimmenwahl, also mit Erst- und Zweitstimme, durchgeführt werden, heißt es weiter.

Bundestag wollte Wiederholungswahl in 431 Wahlbezirken

In Berlin hatten am 26. September 2021 neben der Bundestagswahl auch die Wahlen zum 19. Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen stattgefunden, zudem wurde über einen Volksentscheid abgestimmt. Am Wahltag fand auch der Berlin-Marathon statt. Beim Bundestag gingen 1.713 Wahleinsprüche ein, die ausschließlich oder teilweise das Wahlgeschehen in Berlin betrafen.

Der Bundestag hatte in 327 Wahlbezirken der zwölf Wahlkreise mandatsrelevante Wahlfehler festgestellt. Diese Wahlbezirke sind wegen gemeinsam gebildeter Briefwahlbezirke mit 104 weiteren Wahlbezirken verbunden. Am 10. November 2022 erklärte der Bundestag die Bundestagswahl in 431 Wahlbezirken für ungültig und ordnete insoweit eine Wiederholungswahl an.

„Gebot des geringstmöglichen Eingriffs“

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion machte als Beschwerdeführerin geltend, dass der Beschluss des Bundestages rechtswidrig sei, soweit dieser die Wahl in sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Wahlkreisen nicht insgesamt für ungültig erklärt habe. Zudem sei der Beschluss rechtswidrig, soweit der Bundestag die Ungültigerklärung der Wahl über die Wahlkreise Berlin-Pankow und Berlin-Reinickendorf hinaus auch auf die Erststimmenwahl bezogen habe.

Wie der Senat ausführt, unterliegt die Wahlprüfungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Sie dürfe nur so weit gehen, wie es der festgestellte Wahlfehler verlangt. Von mehreren Möglichkeiten zur Korrektur eines mandatsrelevanten Fehlers müsse diejenige gewählt werden, die dem Interesse am Bestand der gewählten Volksvertretung am stärksten Rechnung trägt. Eine Nichtigerklärung der gesamten Wahl würde Wahlfehler von einem solchen Gewicht voraussetzen, dass der Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erscheine, heißt es in dem Beschluss.

Keine Ungültigerklärung der gesamten Wahl in Berlin

Daher komme eine Ungültigerklärung der gesamten Bundestagswahl 2021 im Land Berlin nicht in Betracht. Da nur in 339 von 2.256 Urnenwahlbezirken (15,03 Prozent) Wahlfehler feststellbar gewesen seien, habe der weit überwiegende Teil der Wahlberechtigten seine Stimme in Wahllokalen abgeben können, die von „erkennbaren Wahlfehlern“ nicht betroffen waren. „Der Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung kann daher nicht als unerträglich angesehen werden“, resümiert der Senat.

In einem zweiten Beschluss verwarf der Senat eine Wahlprüfungsbeschwerde der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag als unzulässig (Aktenzeichen: 2 BvC 5 / 23). Die Fraktion wollte die Bundestagswahl in ganz Berlin wiederholen lassen, weil es zu beispiellosen Beeinträchtigungen im Wahlablauf gekommen sei. Aus Sicht des Senats hat sie ein „ein unsachgemäßes Vorgehen des Wahlprüfungsausschusses“ jedoch nicht hinreichend darlegen können. (vom/20.12.2023)