Parlament

Monika Grütters: Wenn es die UN nicht gäbe, müsste man sie jetzt erfinden

Frau sitzt an einem Tisch und spricht in ein Mikrofon. Auf dem Tisch vor ihr liegen Unterlagen.

Monika Grütters (CDU/CSU), Vorsitzende des Unterausschusses Vereinte Nationen (DBT)

Die Vereinten Nationen (UN) stehen weltweit für die Einhaltung der Menschenrechte als das oberste Prinzip des Zusammenlebens. „Deshalb sind die Vereinten Nationen wertvoller denn je“, sagt Monika Grütters (CDU/CSU), Vorsitzende des Unterausschusses „Vereinte Nationen, internationale Organisationen und zivile Krisenprävention“ des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, im Interview. Natürlich gebe es Reformbedarf, räumt Grütters ein. „Aber Reformen sind möglich.“ Grütters hat eine Delegation des Unterausschusses von Sonntag, 11. Februar, bis Samstag, 17. Februar 2024, in Äthiopien und Kenia geleitet. Das besondere Interesse der Abgeordneten galt den Ertüchtigungsprogrammen afrikanischer Sicherheitskräfte sowie Programmen der Vereinten Nationen. Das Interview im Wortlaut:

Frau Grütters, Sie sind vergangene Woche mit einer Delegation des Unterausschusses Vereinte Nationen, internationale Organisationen und zivile Krisenprävention nach Äthiopien und Kenia gereist. Was war der Anlass für die Reise?

Afrika ist ein für das Weltgeschehen immer wichtiger werdender Kontinent. Gleichzeitig ist Afrika aber auch sehr fragil. Viele afrikanische Länder haben Bürgerkriege oder ethnische Konflikte. Länder wie Namibia und Südafrika, aber auch Äthiopien und Kenia sind daher wichtig für die Stabilisierung des Kontinents und der Afrikanischen Union. Wir wollen den Kontakt zu diesen Ländern pflegen und ihre Good-Governance-Bestrebungen unterstützen. Auch in Äthiopien herrscht seit langer Zeit ein Bürgerkrieg in der Tigray-Region und anderen Teilen des Landes. Mit Hilfe eines Peace-Keeping-Prozesses der Vereinten Nationen konnte jedoch ein Waffenstillstand herbeigeführt werden. Da auch Deutschland an verschiedenen Peace-Keeping-Missionen beteiligt ist, wollten wir uns die Situation vor Ort anschauen. In Nairobi, der Hauptstadt von Kenia, haben wir anschließend den Campus der Vereinten Nationen besucht. 

Am Rande Ihrer Reise haben Sie auch über Deutschlands Rolle im VN-Sicherheitsrat gesprochen. Worum ging es in den Gesprächen? 

Deutschland ist kein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat – trotz seiner Stärke und der Tatsache, dass es der zweitgrößte Zahler zum gesamten VN-System ist. Damit Deutschland ein ständiges Mitglied werden kann, müsste der Sicherheitsrat reformiert werden. Doch das ist aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips fast aussichtslos. Russland wird immer dagegen sein. Deshalb bemühen wir uns, alle acht Jahre einen nichtständigen, befristeten Sitz im Sicherheitsrat zu erhalten. Für die Mitgliedschaft in den Jahren 2027/2028 hat der Wettbewerb schon begonnen. Daher werben wir mit geeigneten Mitteln um Stimmen der 193 Mitgliedstaaten. Und da jedes Land – egal, wie klein, wie groß, wie stark, wie zersplittert – dieselbe Stimmqualität hat, werben wir bei allen Mitgliedern, auch unter den Mitgliedern der Afrikanischen Union. Und wenn eine Delegation des Deutschen Bundestages nach Äthiopien und Kenia reist, dann macht das natürlich einen positiven Eindruck, denn es zeigt, für wie wichtig wir diese Staaten halten. 

Der Einfluss der VN erscheint in den aktuellen Krisen begrenzt zu sein. Die Kritik und die Rufe nach Reformen werden immer lauter. Sind die VN in ihrer jetzigen Form noch zeitgemäß?

Absolut. Wenn es die Vereinten Nationen nicht gäbe, müsste man sie jetzt erfinden. Es braucht diese Völkergemeinschaft zum regelmäßigen systematischen Austausch mit dem Ziel, eine regelbasierte Ordnung und die Einhaltung der Menschenrechte in der Welt sicherzustellen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist eines der wertvollsten Dokumente der jüngeren Weltgeschichte und ein Zeichen größten zivilisatorischen Fortschrittes. Die Vereinten Nationen und ihre Charta sind ein Garant dafür, dass die Einhaltung der Menschenrechte das oberste Prinzip des Zusammenlebens sein muss. Deshalb sind die Vereinten Nationen wertvoller denn je – auch bei allen strukturellen Herausforderungen. 

Neben den G20 gibt es noch weitere internationale Organisationen, unter anderem die Europäische Union, die Afrikanische Union oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – kurz OECD. Was unterscheidet diese Organisationen von den VN?

Die anderen Organisationen sind interessensbasiert. G7, G20 – das sind Zusammenschlüsse, die vor allem der im weitesten Sinne wirtschaftlichen Zusammenarbeit folgen. Dabei werden selbstverständlich auch Haltungsfragen diskutiert. Deshalb wurde Russland zu den letzten G7-Gipfeln seit der Besetzung der Krim auch nicht mehr eingeladen, weil es die Menschenrechte mit Füßen tritt und einen Angriffskrieg gestartet hat. Die Vereinten Nationen hingegen sind die weltgrößte Peace-Keeping-Instanz, die als ständige Einrichtung installiert ist – dort gibt es keine Einmal- oder Zweimal-Gipfel im Jahr. Die Vereinten Nationen sind mit zahlreichen Unterorganisationen weltweit aktiv. Nehmen wir das Beispiel Unicef. Eine Welt ohne Unicef kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Oder die Welt ohne das World Food Programme – undenkbar. Diese dauerhaft implementierte multilaterale Organisation, getragen von 193 Mitgliedssaaten, ist etwas völlig anderes als die Treffen der aktuell agierenden Staatslenker. 

Die Vereinten Nationen wurden vor 79 Jahren, nach Ende des Zweiten Weltkrieges, gegründet. Wie sieht die Zukunft der Vereinten Nationen aus?

Ich kann mir eine Welt ohne die Vereinten Nationen nicht vorstellen. Es gibt zum Glück auch keinerlei Zweifel an ihrer Existenz. Natürlich gibt es Reformbedarf, und man versucht, den Einfluss stärker werdender Aggressoren oder Diktatoren irgendwie in den Griff zu bekommen, weil man nicht weiß, welches Unheil dadurch entsteht. Und wenn man einen langen Atem hat, dann sieht man, dass Reformen möglich sind. Zum Beispiel hat der Botschafter Lichtensteins bei den Vereinten Nationen, Christian Wenaweser, ein Altmeister auf dem Parkett in New York, durch mühsames Bohren dicker Bretter bewirkt, dass man abweichende Meinungsäußerungen bei einer Resolution in der Generalversammlung öffentlich begründen muss. Deshalb muss Russland jetzt immer ans Pult, wenn es einer Resolution nicht zustimmt, die beispielsweise ihre Aggression in der Ukraine betrifft. Das zeigt, dass es kleine Fortschritte gibt. Und wenn man bedenkt, wie häufig in den deutschen Medien über die Vereinten Nationen berichtet wird, dann ist das doch der beste Beweis dafür, dass sie aus dem internationalen Weltgeschehen nicht mehr wegzudenken sind. Und das ist auch gut so. Denn wenn es die Vereinten Nationen nicht gäbe, wäre der Frieden in der Welt noch weit mehr bedroht. 

(mtt/07.03.2024)

Marginalspalte