Aufenthaltsgesetz
Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts (Drucksachen 20/3717 und 20/4700)
Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts (Drucksachen 20/3717 und 20/4700)
Langjährig geduldete Ausländer sollen künftig mehr Chancen zum Erhalt eines Bleiberechts in Deutschland erhalten. Einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung eines sogenannten Chancen-Aufenthaltsrechts (20/3717) verabschiedete der Bundestag am Freitag, 2. Dezember 2022, in modifizierter Fassung. In namentlicher Abstimmung votierten 371 Abgeordnete für die Vorlage. 226 stimmten dagegen; 57 enthielten sich, darunter neben den Linken-Abgeordneten auch 20 Parlamentarier der Unionsfraktion.
Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen beschloss das Parlament zudem ein von den Koalitionsfraktionen vorgelegtes Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren (20/4327) in geänderter Fassung. Es sieht eine Vereinheitlichung der asylrechtlichen Rechtsprechung vor, die ebenso wie weitere prozessuale Änderungen zu einer Beschleunigung der Gerichtsverfahren führen soll. Zudem sollen die Regelüberprüfung von Asylbescheiden gestrichen werden und Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zukünftig nur noch anlassbezogen erfolgen, um dadurch die Kapazitäten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) besser zu nutzen.
Mit breiter Mehrheit abgelehnt wurden hingegen zwei Vorlagen der Linksfraktion: ein Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (20/1850) und ein Antrag mit dem Titel „Keine Abschiebungsoffensive – Für ein wirksames Bleiberecht“ (20/3973). Die Initiativen fanden keine Unterstützung bei den übrigen Fraktionen. Den Abstimmungen aller vier Vorlagen lagen Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Inneres und Heimat (20/4703, 20/4700) zugrunde. Zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen hatte zudem der Haushaltsausschuss Berichte nach Paragraf 96 der Geschäftsordnung zur Finanzierbarkeit (20/4705, 20/3717) vorgelegt.
Das 18-monatige Chancen-Aufenthaltsrecht sollen Menschen erhalten, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben. Ihnen soll damit ermöglicht werden, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu zählen insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts, Kenntnisse der deutschen Sprache und der Identitätsnachweis.
Profitieren sollen davon nur Ausländer, die sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Straftäter sollen vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben, ebenso Personen, die ihre Abschiebung aufgrund von wiederholten, vorsätzlichen und eigenen Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung verhindern. Sofern die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der 18-monatigen Aufenthaltsdauer nicht erfüllt sind, sollen die Betroffenen in den Status der Duldung zurückfallen.
Ferner sieht das Gesetz vor, bestehende Bleiberechtsregelungen so anzupassen, dass mehr Menschen davon profitieren können. Danach sollen gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland sowie bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen. Besondere Integrationsleistungen von Geduldeten sollen gewürdigt werden, indem ihnen künftig nach sechs Jahren – oder schon nach vier Jahren bei Zusammenleben mit minderjährigen Kindern – ein Bleiberecht eröffnet wird. Die Voraufenthaltszeiten werden damit um jeweils zwei Jahre reduziert.
Zudem sollen bestimmte Regelungen aus dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz entfristet werden, um den Standort Deutschland für Fachkräfte aus Drittstaaten attraktiver zu machen. Der Familiennachzug zu drittstaatsangehörigen Fachkräften wird laut Gesetzentwurf erleichtert, indem für nachziehende Angehörige das Erfordernis eines Sprachnachweises entfällt. Der Zugang zu Integrationskursen und Berufssprachkursen soll künftig allen Asylbewerbern im Rahmen verfügbarer Plätze offenstehen. Konsequenter als bisher soll die Rückführung insbesondere von Straftätern und Gefährdern durchgesetzt werden. Dazu wird bei diesen Personen die Ausweisung und die Anordnung von Abschiebungshaft erleichtert.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah ursprünglich eine Gültigkeitsdauer des Chancen-Aufenthaltsrechts von einem Jahr vor sowie den 1. Januar 2022 als Stichtag für die Anspruchsberechtigten.
Mit dem angenommenen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen wurde dieser Stichtag auf den 31. Oktober 2022 verschoben und die Gültigkeitsdauer des Chancen-Aufenthaltsrechts auf 18 Monate verlängert.
In der Debatte nannte Helge Lindh (SPD) die Regelungen zum Chancen-Aufenthaltsrecht ein „Gesetz der Vernunft“.
Damit werde mit dem „unwürdigen Zustand“ gebrochen, dass Menschen perspektivlos mit sogenannten Kettenduldungen leben müssen. Dies betreffe allein am Stichtag 31. Oktober 2022 mehr als 137.000 Menschen.
Andrea Lindholz (CDU/CSU) kritisierte, die Ampelkoalition gebe ausreisepflichtigen Menschen auch dann ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über ihre Identität getäuscht oder die Mitwirkung an der Identitätsklärung verweigert haben.
Für die Union gelte dagegen der Grundsatz „erst Identitätsklärung, dann Chance – und nicht umgekehrt“.
Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) wertete die beiden Gesetze als „Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik“. Damit würden zentrale flüchtlingspolitische Vorhaben umgesetzt, für die ihre Partei lange gekämpft habe.
Nun werde die Konsequenz aus dem Umstand gezogen, dass die bisherigen Bleiberechtsregelungen „ins Leere gelaufen sind“.
Dr. Bernd Baumann (AfD) hielt der Koalition vor, sie wolle ausreisepflichtige Migranten, deren Asylanträge endgültig abgelehnt worden seien, endgültig im Land behalten. „Aus Illegalen sollen Legale werden“, kritisierte Baumann. Dies sei eine „Verhöhnung des Rechtstaates“.
Stephan Thomae (FDP) entgegnete, mehr als 130.000 Betroffene hätten keinen Aufenthaltstitel, aber könnten nicht abgeschoben werden und hingen im Sozialsystem fest, statt in die Arbeitswelt integriert zu werden.
Man könne nicht über einen Arbeitskräftemangel klagen und zugleich den Arbeitswilligen Steine in den Weg legen.
Clara Bünger (Linke) sah in den beiden Gesetzen eine „Riesenenttäuschung“. Das Gesetz zum Chancen-Aufenthaltsrecht beinhalte viel zu hohe Hürden, um Kettenduldungen wirklich wirksam zu beenden. Sogar nach den Berechnungen der Regierungskoalition würden nur rund 34.000 von 240.000 Geduldeten die Anforderungen erfüllen. (sto)
Der Koalitionsentwurf (20/4327) sieht eine Vereinheitlichung der asylrechtlichen Rechtsprechung vor, die ebenso wie weitere prozessuale Änderungen zu einer Beschleunigung der Gerichtsverfahren führen soll. Zudem sollen die Regelüberprüfung von Asylbescheiden gestrichen werden und Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zukünftig nur noch anlassbezogen erfolgen, um dadurch die Kapazitäten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) besser zu nutzen. Entlastet werden soll das Bamf der Vorlage zufolge auch mit der „Schaffung von Möglichkeiten, die das Asylverfahren erleichtern und das Asylrecht in der Rechtspraxis vereinfachen“.
Wie die drei Fraktionen schreiben, führte die große Zahl der Asylsuchenden, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, zu einem erheblichen Anstieg der Zahl der Klageverfahren in Asylangelegenheiten bei den Verwaltungsgerichten. Die Verwaltungsgerichte bauten die anhängigen Verfahren zwar kontinuierlich ab, doch seien Ende Juli 2022 weiterhin 135.603 erstinstanzliche Verfahren anhängig gewesen. Beim Bamf seien zudem mit Stand August dieses Jahres 100.377 Verfahren anhängig gewesen.
„Bei einer Gesamtklagequote von 38,4 Prozent im Jahr 2021 und 33,5 Prozent zum 31. Juli 2022 ist absehbar, dass die Verwaltungsgerichte auch weiterhin stark belastet sein werden“, heißt es in der Vorlage weiter. Die Belastung der Verwaltungsgerichte führe zu einer langen Dauer der Asylklageverfahren. So habe die durchschnittliche Dauer von Gerichtsverfahren zum 31. Juli dieses Jahres 26,6 Monate betragen.
Weiter führen die Koalitionsfraktionen aus, dass das bestehende Prozessrecht im Asylverfahren eine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung befördere, „die zur Rechtsunsicherheit führt, die wiederum mehr Gerichtsverfahren sowie eine längere Verfahrensdauer zur Folge hat“. Durch die verstärkte Befassung des Bundesverwaltungsgerichts mit grundsätzlichen Fragen sollten die Gerichte der unteren Instanzen entlastet und verlässliche Prüfungsmaßstäbe für das Bamf geschaffen werden.
Zudem sollten weitere Änderungen des Asylgesetzes zur Beschleunigung der Asylklageverfahren führen und damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit entlasten. Hierzu gehöre insbesondere eine Regelung zur Erleichterung von asylgerichtlichen Entscheidungen im schriftlichen Verfahren. Durch eine Lockerung des Zurückverweisungsverbots könne zudem die Lastenverteilung zwischen Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten besser gesteuert werden.
Ferner soll den Fraktionen zufolge einer Verzögerung von Verfahren durch missbräuchliche Befangenheitsanträge entgegengewirkt werden. Durch die Einführung einer gesetzlich angeordneten Klageänderung sollten die Asylverfahren schneller abschließend entschieden werden. Vorgesehen ist darüber hinaus die Einführung einer behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung, die die „Effizienz von Asylverfahren durch gut informierte Asylsuchende erhöhen und die Qualität der behördlichen Entscheidungen verbessern“ soll. Zugleich soll die Akzeptanz der Asylentscheidungen laut Vorlage durch den behördenunabhängigen Charakter der Asylverfahrensberatung gesteigert werden.
Ausländische Ehepartner sollten nach dem Willen der Linken (20/1850) künftig nicht mehr vor einem Familiennachzug nach Deutschland bereits im Ausland deutsche Sprachkenntnisse nachweisen müssen. Danach sollte als Voraussetzung für den Ehegattennachzug eine Erklärung reichen, „den erforderlichen Sprachnachweis unverzüglich nach der Ankunft erbringen zu wollen“.
Der Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse bereits im Ausland wird der Vorlage zufolge seit 2007 von ausländischen Ehepartnern grundsätzlich als Voraussetzung für den Familiennachzug nach Deutschland verlangt. Dabei seien auch schriftliche Deutschkenntnisse erforderlich. Mehr als 10.000 Ehegatten bestünden jedes Jahr die geforderten Sprachprüfungen im Ausland nicht und könnten deshalb nicht mit ihren in Deutschland lebenden Partnerinnen und Partnern zusammenkommen. Das sei für viele Betroffene eine unzumutbare Belastung und auch unverhältnismäßig, denn die deutsche Sprache könne sehr viel leichter in Deutschland erworben werden.
In ihrem Antrag (20/3973) forderte die Linksfraktion die Bundesregierung auf, ihren Gesetzentwurf für ein Chancen-Aufenthaltsrecht in geänderter Fassung erneut einzubringen, „um sowohl humanitären Anliegen als auch dem Vorhaben, Kettenduldungen wirksam zu beenden, gerecht werden zu können“. Vor allem sollte es eine stichtagsunabhängige Regelung und Erleichterungen beim Übergang in ein dauerhaftes Bleiberecht geben. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung müsste sich das Bundesinnenministerium für einen bundesweiten Abschiebestopp für Personen einsetzen, die absehbar unter die Neuregelung fallen werden.
Zugleich wurde die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, „mit dem die seit 2015 vorgenommenen Verschärfungen im Abschiebungsverfahren beziehungsweise bei der Abschiebungshaft zurückgenommen werden“. Des Weiteren drangen die Abgeordneten die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, „mit dem alle Formen von Abschiebungshaft ersatzlos gestrichen werden“. (vom/sto/02.12.2022)