Der Bundestag hat am Donnerstag, 26. September 2019, den Entwurf der Bundesregierung für ein neuntes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (19/11329) beschlossen. Nur die Fraktion Die Linke stimmte gegen den Gesetzentwurf. Der Ausschuss für Kultur und Medien hatte dazu eine Beschlussempfehlung vorgelegt (19/13577).
Änderungsantrag der AfD abgelehnt
In namentlicher Abstimmung lehnte das Parlament in zweiter Beratung einen Änderungsantrag der AfD-Fraktion (19/13586) zu dem Gesetzentwurf ab. Gegen den Änderungsantrag stimmten 547 Abgeordnete, dafür 79, es gab eine Enthaltung. Einen weiteren Antrag der AfD mit dem Titel „Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen erhalten – Das Erbe der Friedlichen Revolution nicht abwickeln“ (19/13529) überwies der Bundestag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Kultur und Medien.
Darüber hinaus beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der AfD bei Enthaltung der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen eine Entschließung zum „Konzept des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und des Bundesarchivs für die dauerhafte Sicherung der Stasi-Unterlagen durch Überführung des Stasi-Unterlagen-Archivs in das Bundesarchiv“ (19/8201, 19/9079 Nr. 2). Auch dazu hatte der Ausschuss für Kultur und Medien eine Beschlussempfehlung (19/12115) vorgelegt. Den 13. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik für die Jahre 2015 und 2016 (18/11400) überwies das Parlament zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Kultur und Medien.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit der beschlossenen Gesetzesänderungen wird die Möglichkeit zur Überprüfung von bestimmten Personengruppen unter anderem des öffentlichen Dienstes und von Mandatsträgern auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst, die nach der bisherigen gesetzlichen Regelung am 31. Dezember 2019 ausgelaufen wäre, bis zum 31. Dezember 2030 verlängert.
„Dem Zugang zu den Stasi-Unterlagen als Errungenschaft der Friedlichen Revolution 1989/1990 kommt wesentliche Bedeutung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur zu“, schreibt die Bundesregierung als Begründung. Das allgemeine Interesse am Zugang zu den Akten dauere an und zeige sich an den weiterhin hohen Antragszahlen auf Akteneinsicht. Insbesondere habe die Überprüfungsmöglichkeit „große Bedeutung für den Aufbau demokratischer Strukturen in der Zeit nach der Deutschen Einheit und für die Herstellung des Vertrauens in die Integrität von Personen, die in politisch oder gesellschaftlich herausgehobener Position tätig sind“, heißt es in der Vorlage weiter.
„Ungebrochenes Bedürfnis an der Überprüfung“
Die praktischen Erfahrungen zeigten, dass aktuell das gesellschaftliche Bedürfnis an der Überprüfung bestimmter Personengruppen ungebrochen fortbesteht und auch künftig andauern wird. So würden Überprüfungsanträge weiter in wesentlichem Umfang gestellt und führten nach wie vor zu Mitteilungen über eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst.
Ebenso setzte sich der politische und gesellschaftliche Diskurs fort, insbesondere anlässlich des bevorstehenden 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls und der Wiedervereinigung. Um das „Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger“ in öffentliche Institutionen und in Personen, die herausgehobene politische und gesellschaftliche Positionen wahrnehmen, zu stärken, sei angesichts der Bedeutung für die Aufarbeitung des SED-Unrechts Transparenz weiter erforderlich, so die Argumentation der Regierung.
Die AfD wollte mit ihrem Änderungsantrag einen Passus in das Gesetz einfügen, dass dem Einzelnen Zugang zu den vom Staatssicherheitsdienst zu seiner Person gespeicherten Informationen bis 31. Dezember 2030 durch eine unabhängige, vom Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen geleiteten Behörde ermöglicht wird, damit er die Einflussnahme des Staatssicherheitsdienstes auf sein persönliches Schicksal aufklären kann.
Konzept für zukünftigen Aufarbeitung der Unterlagen
Die Stasi-Akten sollen in die Verantwortung des Bundesarchivs überführt und dort soll ein Organisationsbereich Stasi-Unterlagen-Archiv „unter herausgehobener Leitung“ eingerichtet werden. Dies sieht das gemeinsame Konzept (19/8201) des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, und des Präsidenten des Bundesarchivs, Michael Hollmann, vor. Im Juni 2016 hatte der Bundestag die beiden Institutionen mit der Ausarbeitung eines Konzeptes zur Überführung der Akten in das Bundesarchiv beauftragt, das zugleich das Recht auf persönliche Akteneinsicht nach den Vorgaben des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ermöglicht.
Räumlich soll das Stasi-Akten-Archiv weiterhin auf dem Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Berlin-Lichtenberg verbleiben. Dort soll ein Archivzentrum entstehen, das die fachgerechte Aufbewahrung der Akten garantiert und den Zugang für Wissenschaftler, Journalisten und Privatpersonen erleichtern soll. Neben den Stasi-Akten sollen dort auch die Bestände der zentralen DDR-Behörden, das Archiv der SED sowie der Massenorganisationen der DDR und die Bibliothek der Stiftung Partei- und Massenorganisationen der DDR untergebracht werden. Zudem sollen Restaurationswerkstätten und ein Kompetenzzentrum für Digitalisierung eingerichtet werden. Die bislang zwölf Außenstellen der Stasi-Unterlagen-Behörde in den ostdeutschen Ländern sollen auf jeweils einen Archiv-Standort pro Land reduziert werden, Beratung und Antragstellung aber in den übrigen Standorten weiterhin erhalten bleiben.
Entschließung verabschiedet
Mit der vom Bundestag angenommenen Entschließung wird die Rettung und Sicherung der Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR als große Errungenschaft der friedlichen Revolution anerkannt. Das vorgelegte Konzept für den dauerhaften Erhalt der Stasi-Unterlagen wird ausdrücklich begrüßt. Über den Erhalt hinaus stehe dabei ein verbesserter Aktenzugang für die Opfer und alle weiteren Nutzerinnen und Nutzer im Vordergrund. Die Integration der Stasi-Akten in das Bundesarchiv biete die Chance, das Thema im Rahmen einer gesamtdeutschen Aufgabe in ganz Deutschland zu stärken.
Die Stasi-Unterlagen sollen zum Ende der Amtszeit des jetzigen Bundesbeauftragten Roland Jahn in die Verantwortung des Bundesarchivs überführt werden. Der Bundesbeauftragte soll in Absprache mit dem Bundesarchiv am Ende der Jahre 2019 und 2020 über die Fortschritte im Transformationsprozess berichten und dabei vor allem über Investitionsbedarfe und Personalkonzepte informieren.
Weitere Punkte der Entschließung betreffen unter anderem das Stasi-Unterlagen-Gesetz, das als eigenständiges Gesetz erhalten bleiben soll, die Fortsetzung der Rekonstruktion vorvernichteter Stasi-Akten und den Ausbau der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg zu einem „Ort deutscher Diktatur- und Demokratiegeschichte“. Im weiteren Verlauf des Transformationsprozesses bleibe zu entscheiden, dass aus dem Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ein Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag wird.
13. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, mahnt in seinem 13. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2015 und 2016 „zukunftsfähige Strukturen“ und eine „geeignete Orte“ für die Archivierung und den Umgang mit den Aktenbeständen seiner Behörde an. Nach Angaben Jahns sind derzeit mehr als die Hälfte der rund 111 Kilometer an Stasi-Akten auf zwölf Standorte in den östlichen Bundesländern verteilt. Keiner dieser Standorte sei jedoch geeignet für eine archivgerechte Lagerung und Nutzung.
Darüber hinaus Jahn betont in seinem Bericht, dass die Stasi-Akten „unverzichtbar“ seien für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur. „Nach der Erfahrung von 25 Jahren Zugang zu den Stasi-Akten sind sie längst auch zum Teil des Gedächtnisses der Nation geworden“, schreibt der Bundesbeauftragte. Jahn spricht sich zudem dafür aus, dass zukünftig auch weiterhin Anträge auf Rehabilitierung gestellt werden können. Diese Möglichkeit laufe nach der derzeitigen Regelung Ende 2019 aus, sagte Jahn vor der Presse in Berlin: „Das ist ein Fehler im System“, die Aufarbeitung von Unrecht dürfe „kein Verfallsdatum haben“.
Antrag der AfD
Die AfD fordert in ihrem Antrag (19/13529) unter anderem, die Pläne zur Überführung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in das Bundesarchiv in Koblenz erneut zurückzustellen. Die Behörde und die Position des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR sollten in ihrer jetzigen Form erhalten und gestärkt werden. Auch sei die Behörde finanziell und personell so auszustatten, dass die Rekonstruktion der bisher nur eingelagerten, vorvernichteten Akten mit den nunmehr verbesserten technischen Möglichkeiten vorangebracht und wissenschaftlich ausgewertet werden kann.
Die Bundesregierung muss nach dem Willen der Fraktion die Bedingungen dafür schaffen, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung der SED-Diktatur und ihrer Geheimdiensttätigkeit in West und Ost in der Stasi-Unterlagen-Behörde sowie ihren zwölf Außenstellen verbessert und intensiviert werden können. Auch müsse sie dafür sorgen, dass die Unterlagen erhalten und gesichert werden. Eine Kooperation mit dem Bundesarchiv im Hinblick auf fachliche und technische Unterstützung sei zu prüfen.(sas/aw/26.09.2019)