Der Bundestag hat am Donnerstag, 8. Oktober 2020, den Entwurf von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (19/22504) mit 362 Ja-Stimmen, 281 Nein-Stimmen und acht Enthaltungen angenommen. In zweiter Lesung hatten die Koalitionsfraktionen für, die Oppositionsfraktionen gegen den Entwurf gestimmt. Zuvor war ein Änderungsantrag der drei fraktionslosen Abgeordneten Dr. Frauke Petry, Mario Mieruch und Uwe Kamann zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mit den Stimmen aller übrigen anwesenden Abgeordneten abgelehnt worden.
Mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen lehnte das Parlament den Entwurf der AfD-Fraktion zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (19/22894) ab. Keine Mehrheit fand auch der gemeinsame Entwurf von FDP, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (19/14672). Die Mehrheit von CDU/CSU, SPD und AfD stimmte gegen die Vorlage. Zu den Abstimmungen lag eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses vor (19/23187).
Koalition: Bundestagsvergrößerung vermindern
Mit dem Gesetzesbeschluss hält der Bundestag am Wahlsystem der personalisierten Verhältniswahl fest, „bei dem die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl mit der Verhältniswahl von Landeslisten der Parteien kombiniert ist und durch Anrechnung der gewonnenen Direktmandate auf die Listenmandate der Grundcharakter der Verhältniswahl gewahrt wird“.
Auch an der mit der Wahlrechtsänderung von 2013 eingeführten Sitzzahlerhöhung zum Ausgleich von Überhangmandaten wird festgehalten. Darüber hinaus wird „weiterhin eine erste Verteilung der Sitze nach festen Sitzkontingenten der Länder mit bundesweiter Verteilung der Sitze in der zweiten Verteilung“ vorgenommen, um eine föderal ausgewogene Verteilung der Bundestagsmandate zu gewährleisten. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate erhält als ihr nach dem Verhältnis der Zweitstimmen zustehen würden, und ziehen Ausgleichsmandate für andere Parteien nach sich.
Zur „Verminderung der Bundestagsvergrößerung“ wird laut Beschluss „mit dem Ausgleich von Überhangmandaten erst nach dem dritten Überhangmandat begonnen“ und ein weiterer Aufwuchs „auch durch Anrechnung von Wahlkreismandaten auf Listenmandate der gleichen Partei in anderen Ländern“ vermieden. Die Zahl der Wahlkreise wird mit Wirkung zum 1. Januar 2024 – also nach der nächsten Bundestagswahl – von 299 auf dann 280 reduziert.
„Reformkommission einsetzen“
Zudem wurde die Einsetzung einer Reformkommission beschlossen, „die sich mit Fragen des Wahlrechts befasst und Empfehlungen erarbeitet“. Sie soll sich auch mit der Frage des Wahlrechts ab 16 Jahren sowie mit der Dauer der Legislaturperiode befassen und Vorschläge zur Modernisierung der Parlamentsarbeit erarbeiten. Darüber hinaus soll das Gremium „Maßnahmen empfehlen, um eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern auf den Kandidatenlisten und im Bundestag zu erreichen“. Ihre Ergebnisse soll die Kommission spätestens Mitte 2023 vorlegen.
In der Begründung hatten die Koalitionsfraktionen darauf verwiesen, dass der Bundestag „aufgrund der Veränderung des Wählerverhaltens und der Parteienlandschaft auf der Grundlage des bisherigen Wahlrechts“ bei der Wahl 2017 eine Größe von 709 Abgeordneten angenommen hatte und eine weitere Erhöhung der Sitzzahl nicht ausgeschlossen sei. „Dies könnte den Deutschen Bundestag an die Grenzen seiner Arbeits- und Handlungsfähigkeit bringen und die Akzeptanz des Parlaments in der Bevölkerung beeinträchtigen“, hieß es weiter.
Gesetzentwurf von FDP, Linksfraktion und Grünen
Nach dem abgelehnten Gesetzentwurf der drei Fraktionen (19/14672) sollte das System der personalisierten Verhältniswahl beibehalten, aber die Zahl der sogenannten Überhangmandate „und somit auch die Zahl der durch sie erforderlich werdenden Ausgleichsmandate“ deutlich reduziert werden.
Um die Entstehung von Überhangmandaten möglichst zu vermeiden, solte das Verhältnis von Listen- und Direktmandaten nach dem Willen der drei Fraktionen zugunsten der Listenmandate auf etwa 60 zu 40 verändert werden. Dazu sollte die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 verringert, die Gesamtsitzzahl dagegen von 598 auf 630 erhöht werden. Ebenso sollte dem Gesetzentwurf zufolge „eine Vorabverteilung von Sitzen auf die Parteien in den Ländern“ entfallen, da auch dieses sogenannte Sitzkontingentverfahren „zu unnötigem Ausgleichsbedarf für andere Parteien“ führe.
Mit dem Gesetzentwurf werde die Gefahr eines übermäßigen Ansteigens der Sitzzahl über die Sollgröße hinaus „insgesamt deutlich reduziert“, schrieben die drei Fraktionen in der Begründung. Damit werde die Größe des Bundestages „konstanter und vorhersehbarer“.
Abgelehnter Gesetzentwurf der AfD
Laut dem Gesetzentwurf der AfD-Fraktion für eine Wahlrechtsreform (19/22894) sollte die Zahl der Abgeordneten regelmäßig auf die gesetzlich vorgesehene Sollgröße von 598 begrenzt werden. Dazu sollten die Direktmandate nach dem Willen der Fraktion in den unverändert bestehenden 299 Wahlkreisen in jedem Bundesland jeweils so vergeben werden, dass keine Überhangmandate mehr entstehen.
Dem Gesetzentwurf zufolge solte die relative Stimmenmehrheit im Wahlkreis künftig „zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung“ zur Erringung eines Direktmandats darstellen. Vielmehr sollten mit der Erststimme künftig nicht mehr unmittelbar Bundestagsabgeordnete, sondern sogenannte „qualifizierte Wahlkreiskandidaten“ gewählt werden. Erringen diese Kandidaten einer Partei mehr Mandate, als ihrer Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen würden, sollte eine Rangfolge der Direktkandidaten dieser Partei nach ihrem prozentualen Stimmergebnis aufgestellt werden. „Danach werden den qualifizierten Wahlkreiskandidaten Mandate bis zur Erreichung der Sitzzahl zugeteilt, die der betreffenden Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zusteht“, hieß es in der Begründung weiter. Die Mandatszuteilung erfolge „in der Reihenfolge der absteigenden prozentualen Stimmergebnisse“, beginnend mit dem höchsten Ergebnis.
Um zugleich das „personale Element im Rahmen des Verhältniswahlrechts gegenüber dem bisherigen Mischsystem mit Überhangmandaten und Ausgleichsmandaten zu stärken“, sah der Gesetzentwurf ferner die Möglichkeit vor, die Zweitstimme nicht nur zugunsten einer Partei abzugeben, „sondern auch bis zu drei Bewerberstimmen zugunsten einzelner Kandidaten auf der Landesliste einer Partei zu vergeben“. Dadurch könne die Reihenfolge der Landeslistenbewerber einer Partei beeinflusst werden. (sto/sas/08.10.2020)