28.01.2021 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 130/2021

Zeuge kritisiert „Kopfsperre“ in Sicherheitsbehörden

Berlin: (hib/WID) Der Berliner Innenstaatssekretär Torsten Akmann hat der Auffassung widersprochen, der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri sei ein „reiner Polizeifall“ gewesen. „Wer das behauptet, verkennt die Tatsachen und blendet die Beteiligung des Verfassungsschutzes aus“, sagte Akmann am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“). Der heute 55-jährige Zeuge war in verschiedenen Funktionen in Bundesinnenministerium und Bundeskanzleramt mit Fragen der inneren Sicherheit befasst, bevor er zeitgleich mit dem Berliner Anschlag im Dezember 2016 sein heutiges Amt antrat.

Von Amri als einem „reinen Polizeifall“ hatte wenige Wochen nach dem Attentat der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, gesprochen. Akmann betonte, in der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik sei es eine gemeinsame Verantwortung aller zuständigen Behörden, zu verhindern, dass es zu Gewalttaten wie auf dem Berliner Breitscheidplatz komme. Es dürfe im Nachhinein keine „Schwarzer-Peter-Spiele“ geben, nicht zwischen Bund und Ländern, auch nicht zwischen einzelnen Ländern oder unterschiedlichen Behörden. Der Berliner Senat habe sich von vornherein für rückhaltlose Aufklärung eingesetzt.

Akmann kritisierte eine „Kopfsperre“ in Behörden, etwa der Polizei oder dem Verfassungsschutz, eine Mentalität, die auf die Maxime hinauslaufe „Ich mache erst mal mein eigenes Ding.“ Informationsaustausch und Kooperation kämen dabei zu kurz. Daran habe sich zwar viel verbessert, das Problem bestehe aber nach wie vor. Um dem entgegenzuwirken, habe er in der Berliner Innenbehörde eine alle zwei Wochen tagende „Staatschutzrunde“ eingeführt, wo sich Vertreter von Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz über aktuelle Gefährdungslagen austauschen.

Am Abend des Anschlags, dem 19. Dezember 2016, erinnerte sich Akmann, habe er im Büro gesessen, um sich in seine neue Funktion einzuarbeiten. Seine Ernennung zum Staatssekretär habe zu diesem Zeitpunkt noch ausgestanden. Kurz nach 20 Uhr habe ihn ein Anruf erreicht mit der Mitteilung, es habe am Breitscheidplatz einen Verkehrsunfall mit zwei Toten gegeben. Wenige Minuten später sei eine erneute Meldung eingegangen, in der von zehn Toten die Rede war. In diesem Moment sei ihm klar gewesen, dass es sich nicht um einen Unfall handeln konnte, sagte Akmann.

Er habe Innensenator Andreas Geisel verständigt, der beim Abendessen mit Innenpolitikern in einem nahegelegenen Restaurant saß. Mit Blaulicht sei es zum Tatort gegangen: „Das Szenario, das sich mir bot, hat sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt.“ Es habe eine „gespenstische Stille“ geherrscht. Unvergesslich sei nicht zuletzt der Anblick der Toten unter goldfarbenen Folien. Für die Spitzen der Berliner Verwaltung habe ein Bus bereitgestanden, wo er dem Regierenden Bürgermeister und dem Polizeipräsidenten begegnet sei. Gemeinsam hätten sie dort die Stunden bis etwa 23 Uhr verbracht.

Am nächsten Tag habe er dann die Ernennungsurkunde entgegengenommen und als erste Amtshandlung einen Bericht über den Anschlag vom Vorabend abgegeben. Für ihn sei das „ein extremer Sprung ins kalte Wasser“ gewesen, sagte Akmann: „Einen extremeren Sprung kann man sich gar nicht vorstellen.“ Im Interesse der Aufklärung, führte der Zeuge weiter aus, habe er Anfang 2017 ein „Aktenvernichtungsmoratorium“ für die Berliner Sicherheitsbehörden verhängt, sei dabei aber auf datenschutzrechtliche Bedenken gestoßen. Er sei darauf hingewiesen worden, dass die Anordnung eigentlich im Widerspruch zu gesetzlich vorgeschriebenen Löschungsfristen stehe. Hier sehe er dringenden Änderungsbedarf in der einschlägigen Gesetzgebung, betonte Akmann.

Nach seinen Worten war die Berliner Sicherheitsstruktur Ende 2016 „nicht robust genug aufgestellt“. Dies sei auf Versäumnisse früherer Landesregierungen, nicht zuletzt auf die um die Jahrtausendwende prekäre Haushaltslage zurückzuführen: „Ich bin der Auffassung, dass an der Sicherheit nicht gespart werden darf, und an der Sicherheit ist in Berlin gespart worden“, sagte Akmann.

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