15.06.2021 Inneres und Heimat — Unterrichtung — hib 792/2021

Bericht der „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“

Berlin: (hib/STO) Als Unterrichtung durch die Bundesregierung liegt der Bericht der „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ (19/30310) vor, der am Donnerstag kommender Woche erstmals auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht. In dem mehr als 800 Seiten umfassenden Bericht fordert die 2019 eingesetzte Kommission die Bundesregierung auf, einen „Beauftragten gegen Antiziganismus“zu berufen, der Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus koordinieren soll. Beraten werden soll er nach dem Willen der Kommission von einem unabhängigen Kreis aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft, der von der Bundesregierung in Absprache mit dem Beauftragten berufen wird.

Zur Sicherstellung der Umsetzung zahlreicher in dem Bericht formulierten Empfehlungen fordert die Kommission zudem die Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission, da viele Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus laut Vorlage in die Zuständigkeit der Länder fallen.

Zu den zentralen Forderungen der Kommission zählt zudem die umfassende Anerkennung des nationalsozialistischen Genozids an Sinti und Roma. Für nicht in Deutschland lebende Überlebende des NS-Völkermordes an Sinti und Roma fordert die Kommission die Einrichtung eines Sonderfonds durch das Bundesfinanzministerium für diejenigen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben.

Eine niedrigschwellige, einmalige Anerkennungsleistung sei für alle Roma und Sinti vorzusehen, die vor der Befreiung ihres damaligen Heimat- oder Emigrationslandes von der NS-Besatzung oder den mit dem NS-Regime kollaborierenden Regierungen geboren wurden, heißt es in der Vorlage weiter. Wer die Anspruchsvoraussetzungen erfülle, solle laufende Leistungen erhalten.

Die Kommission fordert darüber hinaus, „den gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Schaden, der durch die massive Benachteiligung in der Wiedergutmachungspraxis und den fortgesetzten Antiziganismus nach 1945 der Zweiten Generation entstanden ist, umfassend auszugleichen“. Den bis 1965 in Deutschland geborenen Kindern der im Nationalsozialismus verfolgten Sinti und Roma seien daher nach dem Vorbild der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ einmalige Pauschalen auszuzahlen.

Des Weiteren dringt das Gremium auf die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts in der Bundesrepublik. Sinti und Roma „wurde und wird durch staatliche Behörden und andere gesellschaftliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (zum Beispiel Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden, Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) gravierendes Unrecht zugefügt“, schreiben die Autoren. Deshalb fordere die Kommission die Bundesregierung auf, einen „umfassenden Prozess der Aufarbeitung dieses auch als Zweite Verfolgung bezeichneten Unrechts einzuleiten“. Dazu solle die Bundesregierung ein mit angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattetes Gremium einsetzen.

Ferner pocht die Kommission in ihrem Bericht auf die Anerkennung geflüchteter Roma als „besonders schutzwürdige Gruppe“. Mit Blick auf die praktische Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes sei klarzustellen, dass die in Deutschland lebenden Roma „aus historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind“. Landesregierungen und Ausländerbehörden seien aufgefordert, die Praxis der Abschiebung von Roma sofort zu beenden. Der Bundesregierung und dem Bundesgesetzgeber wird in dem Bericht empfohlen, die Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als asylrechtlich „sichere Herkunftsstaaten“ zurückzunehmen.

Schließlich macht sich die Kommission in ihren „zentralen Forderungen“ für die „Umsetzung und Verstetigung von Partizipationsstrukturen“ stark. Unter anderem soll danach die zivilgesellschaftliche Arbeit der Organisationen von Sinti und Roma in Deutschland durch „transparente Strukturen einer dauerhaften finanziellen Förderung“ gestärkt werden.

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