Wirtschaft

Öffentliche Anhörung zum Thema „Mercosur-Abkommen“

Zeit: Mittwoch, 19. April 2023, 9 Uhr bis 10.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.200

Bei einer Anhörung im Wirtschaftssauschuss zum EU-Mercosur-Handelsabkommen sprach sich am Mittwoch, 19. April 2023, die Mehrheit der sieben Sachverständigen für eine zügige Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit den lateinamerikanischen Staaten um Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay aus. Grundlage der etwa eineinhalbstündigen öffentlichen Anhörung waren Anträge von Union (20/4887) und Linke (20/5980).

Bedeutung des Abkommens

Dr. Volker Treier, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Deutschen Industrie- und Handelskammer, sagte, es sei bereits sehr viel Zeit vergangenen, in der verhandelt wurde. „Wir sollten jetzt ratifizieren.“ Lateinamerika steige in der Wahrnehmung der international agierenden deutschen Unternehmen; dem Abkommen könne gar keine höhere Bedeutung zukommen.

In Bezug auf die Themen Nachhaltigkeit und Sozialstandards sei das, was nun verhandelt wurde, ein modernes Abkommen, sagte Treier. Er warnte davor, dass Abkommen nach den langen Verhandlungen wieder aufzumachen, wie von manchen gefordert wird, um unter anderem den Waldschutz zu verbessern. „Wenn wir das Abkommen jetzt wieder aufschnüren, bekommen wir es nicht mehr zu.“ Es sei am Abkommen nichts verbesserungswürdig.

EU als Wunschpartner

Kira Potowski, Leiterin der Deutsch-Uruguayischen Industrie- und Handelskammer in Montevideo/Uruguay, gab einen Einblick in die Haltung einer der künftigen Handelspartner der Europäischen Union. Es gebe bereits eine erste Annäherung an China seitens Uruguay, in der Volksrepublik sehe man einen „abschlussfreudigen Partner“. Momentan gingen 50 Prozent der in Uruguays produzierten Güter nach China, berichtete Potowski.

Doch das Land schaue sich nach anderen Handelspartnern um: „Hierbei stehen EU-Investitionen im Vordergrund und sind gewollt“, so die Sachverständige. Die EU sei der absolute Wunschpartner, wenn es darum geht, gewisse Standards beim Handel zu implementieren. „Doch Uruguay ist es auch wichtig, dass Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden und nicht einseitig Forderungen gestellt werden“, betone Potowski.

Katalysator für Investitionen in strategischen Sektoren

Fernando Brun, Botschafter der Argentinischen Republik in Deutschland, sagte, dass Argentinien das Ziel teile, das EU-Mercosur-Abkommen voranzutreiben. „Die Ratifizierung ist ein notwendiges politisches Signal“, so Brun. Die argentinische Regierung bewerte das Abkommen als sehr positiv. Es gebe jedoch noch Bedenken hinsichtlich der Freihandelsteils. „Das Abkommen kann und muss ein Katalysator für Investitionen in strategischen Sektoren sein.“

Bezüglich der Bedenken zum Waldschutz sagte Brun, dass die im Abkommen enthaltene Deforestationsrichtlinie wichtig sei für den Umweltschutz. „Auch der von Deutschland vorgeschlagene Klimaclub ist besonders wichtig für das Thema Nachhaltigkeit“, sagte der Diplomat. „Es darf jedoch keine einseitige Durchsetzung erfolgen“, warnte Brun. Den Willen zur Zusammenarbeit gebe es auf beiden Seiten. „Zeit haben jedoch nicht mehr viel, das muss klar sein.“

Einfluss auf Nachhaltigkeit

Prof. Dr. Till Patrik Holterhus, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Leuphana Universität Lüneburg, kam zu dem Schluss, dass ein Freihandelsabkommen besser sei als kein Freihandelsabkommen. Es müsse aber über reine Handelsfragen hinausgehen. „Solche Abkommen ermöglichen immer auch das Einbringen von Faktoren außerhalb des Handels, wie die Nachhaltigkeit.“

Aus seiner Sicht formuliert das Abkommen Normen, die - insbesondere das Nachhaltigkeitskapitel – eine Auslegung erlaubten, die einen effektiven Waldschutz ermöglichen. So könne die EU durch die EU-Verordnung zur Entwaldung und mithilfe ihrer Marktmacht dafür sorgen, dass Produkte, die durch Waldschädigung entstanden sind, nicht nur nicht auf den europäischen Markt gelangen, sondern auch nicht auf andere Märkte.

Zugang zu Rohstoffen

Dr. Katrin Kamin vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel stimmte dem Sachverständigen Treier zu, dass das Abkommen für die deutsche und europäische Wirtschaft eine „immense Bedeutung“ habe. Insbesondere die Absenkung der Zölle sei wichtig, um Spielräume auszunutzen, so Kamin.

Weiterhin sei der Zugang zu Rohstoffen als Argument nicht zu vernachlässigen, ebenso wie das geopolitische Gewicht des Abkommens. „Die EU kann ihren Stand festigen und das Abkommen kann ein Gegengewicht bilden zum asiatischen Abkommen RCEP. EU-Mercosur könnte zur zweitgrößten Handelszone der Welt werden“, sagte die Sachverständige.

Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnorm

Constanze Clodius, Leiterin des Vorstandsbüros der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) im Bezirk Berlin-Mark Brandenburg, betonte, dass umfangreiche Handelsabkommen auch effektive und durchsetzbare Regeln zum Schutz von Beschäftigten, Umwelt, Verbraucherinnen und Verbrauchern beinhalten müssten. „Dazu kommt, dass die Situation von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, Aktivistinnen und Aktivisten und Minderheiten in den Mercosurstaaten Berücksichtigung finden müssen“, so Clodius.

Der vorliegende Text des Nachhaltigkeitskapitels versäume es, eine verpflichtende Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnorm vorzusehen. „Eine reine Selbstverpflichtung garantiert aus unserer Sicht nicht automatisch Nachhaltigkeit, deswegen wäre die Einhaltung und Durchsetzung der Regeln unter verbindlicher Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft nötig“, sagte Clodius bei der Anhörung.

Ablehnung des Handelsabkommens

Lis Cunha, Handelsexpertin Greenpeace e.V., sagte für ihre Organisation, dass man dem Abkommen in seiner jetzigen Form nicht zustimmen könne: „Wir sind der Meinung, dass man das Abkommen in vollen Umfang ablehnen muss.“ Das Abkommen lasse sich auch durch Zusatzabkommen nicht nachhaltiger machen.

Bereits jetzt werde in Südamerika die Natur zerstört, Gemeinschaften verdrängt, Artenvielfalt gefährdet und kleinbäuerliche Landwirtschaft verhindert. „Die brasilianische Zivilgesellschaft ist daher gegen das Abkommen, mehr als 100 Gewerkschaften, Umweltverbände und Menschenrechtsorganisationen bezeichnen das Abkommen deshalb als eine ‚eine wahre Katastrophe‘“, berichtet Cunha.

Antrag der CDU/CSU

Wie es im Unionsantrag heißt, muss Deutschland geopolitisch bedeutsame Partnerschaften festigen und ausbauen. Nur in Zusammenarbeit mit „Wertepartnern“ seien der Erhalt der internationalen regelbasierten Ordnung und die Stärkung freiheitlich-demokratischer Gesellschaften in einer multipolaren Welt möglich. Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung deshalb auf, auf europäischer Ebene und in bilateralen Gesprächen mit den Mercosur-Staaten für eine baldige Ratifikation des EU-Mercosur-Assoziierungsabkommens einzutreten.

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft soll nach dem Willen der Unionsfraktion dabei unterstützt werden, dass die EU-Kommission den Entwurf eines Ratifikationsgesetzes für das Inkrafttreten des EU-Mercosur-Abkommens vorlegt und dass das „geopolitisch sehr bedeutsame Abkommen“ nicht durch Rufe nach Zusatzvereinbarungen und Nachverhandlungen aufs Spiel gesetzt wird.

Antrag der Linken

Die Linksfraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag dazu auf, der Unterzeichnung des EU-Mercosur-Abkommens durch die EU-Kommission in seiner jetzigen Form nicht zuzustimmen und sich dafür einzusetzen, dass der Ratifizierungsprozess des vorliegenden Abkommens gestoppt wird.

Weiterhin fordern die Abgeordneten, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für Neuverhandlungen des Abkommens einsetzt. Ziel solle sein, Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards und die Rechte der indigenen Bevölkerung samt einer staatliche Kontrollaufsicht verbindlich im Abkommen festzuschreiben. Gefordert wird zudem, dass sich die Bundesregierung für einen „fairen Welthandel“ mit eindeutigen und einklagbaren sozialen und ökologischen Standards einsetzt. (mis/emu/11.04.2023)

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