Öffentliche Anhörung zum Thema „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BT-Drs. 20/2354)“
Zeit:
Montag, 4. Juli 2022,
14
bis 16 Uhr
Ort: Videokonferenz, Sitzungssaal PLH, E.600
Die geplante Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist bei Experten auf breite Skepsis gestoßen. Zwar unterstützten die Sachverständigen grundsätzlich das Ziel des von den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (20/2354), doch sahen sie in einer Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz am Montag, 4. Juli 2021, bei der konkreten Umsetzung erheblichen Nachbesserungsbedarf.
Es sei zu befürchten, dass das Ziel, die Beschleunigung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen, sonst verfehlt werde. In der Anhörung bemängelten Experten einerseits die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Diese könnten zu neuen Unsicherheiten bei Genehmigungsverfahren führen. Moniert wurde andererseits die Absenkung von Artenschutzstandards.
Novelle in Teilen nicht europarechtskonform
So kritisierte der auf Planungs- und Umweltrecht spezialisierte Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Gellermann, dass Schutzstandards zu Lasten stark gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten abgebaut würden.
Der Entwurf enthalte hier Regelungen, die der Überprüfung am Maßstab des Völker- und Unionsrechts nicht standhielten. So sei es etwa mit der Vogelschutzrichtlinie nicht vereinbar, dass der Kreis kollisionsgefährdeter Brutvögel auf 15 Arten reduziert werden solle.
„Geeignete Regelungen, um Ausbau zu beschleunigen“
Auch Prof. Dr. Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring sah die Gefahr von Konflikten mit dem Europarecht, begrüßte aber, dass die Ampelkoalition mit der Novelle jetzt eine Vereinheitlichung von artenschutzrechtlichen Regelungen „in Angriff“ nehme. Die „komplexe und uneinheitliche Anwendung des Artenschutzrechts“ sei tatsächlich bei einigen Windprojekten eine „Hürde“ gewesen.
Die nun unter anderem vorgesehenen Maßgaben für die besonders kollisionsgefährdeten Brutvogelarten, die Einbeziehung von Artenschutzprogrammen und Vorgaben für die Ausnahmeprüfung wertete er als „sinnvoll“ und geeignet, um den Ausbau zu beschleunigen.
Behörden stärken, um Verfahren zu beschleunigen
Dr. Franziska Heß, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, äußerte jedoch Zweifel, ob mit dem vorliegenden Entwurf überhaupt die wesentlichen Ursachen für Verzögerungen von Planungs- und Genehmigungsverfahren angegangen würden.
Anstatt vor allem ökologische Standards abzusenken, bedürfe es auch der Anstrengungen, um die „elektronische und digitale, aber auch personelle Ausstattung der Behörden“ zu verbessern, mahnte Heß in ihrer Stellungnahme an.
„Wir haben kein Problem des Artenschutzrechts“
Auch Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vertrat die Meinung, dass Veränderungen im Naturschutz nur begrenzte Wirkung für die Beschleunigung des Windkraftausbaus entfalten könnten.
Ursache für Verzögerungen seien vor allem mangelnder politischer Wille, fehlende Kapazitäten und mangelnde Koordination bei Behörden, so Wessel. „Wir haben kein Problem des Artenschutzrechts, sondern ein Governance-Problem.“
„Keine Lösung für Zielkonflikt zwischen Artenschutz und Windenergie“
Harsche Kritik kam auch von Jörg Andreas Krüger, NABU Bundesverband: Dem Entwurf fehle ein „gesamtheitlicher Ansatz“, so sein Urteil.
Entgegen von Ankündigungen biete er auch keine Lösung für den Zielkonflikt zwischen Artenschutz und Windenergie, sondern stelle nur den Artenschutz schlechter. So werde der Windkraftausbau weder schneller, noch naturverträglich.
Bundeseinheitliche Standards gefordert
Ganz anders die Sicht von Catrin Schiffer vom Bundesverband Deutscher Industrie. Das bisherige, europäisch geprägte Artenschutzrecht erschwere massiv den von den Unternehmen dringend benötigten Windkraftausbau.
Der Entwurf sehe nun immerhin bundeseinheitliche Standards für die artenschutzrechtliche Prüfung vor. Derartige Standards brauche es aber für alle Planungs- und Genehmigungsverfahren, so Schiffer.
Manche Regelungen sind nicht „praxistauglich“
Auch Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband gingen die geplanten Änderungen nicht weit genug: Dass der Gesetzentwurf den Bau von Windrädern in Landschaftsschutzgebieten ermöglichen solle, sei zu befürworten, doch müsse dies auch für Photovoltaikanlagen gelten.
Zudem monierte er „nicht praxistaugliche Regelungen“ wie etwa die vorgesehenen Verbote und Anzeigepflichten des Landwirts gegenüber Windenergieanlagenbetreibern.
„Spürbare Erleichterungen für Windenergieprojekte“
Ingbert Liebing vom Verband kommunaler Unternehmen drang auf „spürbare Erleichterungen für Windenergieprojekte“ und damit Anpassungen beim Artenschutz entsprechend den aktuellen Empfehlungen der EU-Kommission: Eine unbeabsichtigte Tötung einzelner Individuen sei demnach kein Verstoß gegen die EU-Naturschutzrichtlinie, sofern der Populationsschutz gewährleistet sei.
Dieser Empfehlung folge die Koalition jedoch mit „weitgehenden Tabubereichen“ leider nicht.
Populationsschutz statt Individuumsschutz
Auch Christine Wilcken von Deutschen Städtetag unterstrich die Notwendigkeit einer Abkehr vom Individuumsschutz hin zum Populationsschutz.
Die Unklarheit, wie künftig etwa mit wechselnden Brutplätzen und Horsten umgegangen werden solle, könne in der Praxis zu neuen Planungsunsicherheiten führen, gab sie zu bedenken.
Unsicherheiten durch undefinierte Begriffe
Dieser Kritik schloss sich Bärbel Heidebroek an, die für den Bundesverband WindEnergie (BWE) eine Stellungnahme abgab: Die Gesetzesnovelle enthalte auch „zahlreiche nicht definierte Begriffe“, die Interpretationen zuließen. Bleibe der Entwurf unverändert, sei keine Verbesserung der Situation für zu erwarten. Die gesteckten Ausbauziele könnten nicht erreicht werden. Zudem drohten laufende Genehmigungs- und Klageverfahren „massiv“ mit weiteren Unsicherheiten belastet zu werden.
Naturschutzgesetzesnovelle für schnelleren Windkraftausbau
Angesichts der Klimakrise und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine bestehe eine doppelte Dringlichkeit, für einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und dabei insbesondere auch der Windenergie an Land zu sorgen, heißt es im Gesetzentwurf. Er beinhaltet Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG). Durch eine Ergänzung des Paragrafen 26 BNatSchG wird rechtlich sichergestellt, dass auch Landschaftsschutzgebiete in angemessenem Umfang in die Suche nach Flächen für den Windenergieausbau einbezogen werden können.
Um Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen an Land zu vereinfachen und zu beschleunigen, sieht der Entwurf weiterhin bundeseinheitliche Standards für die in diesem Zusammenhang durchzuführende artenschutzrechtliche Prüfung vor. Zusätzliche artenschutzbezogene Erleichterungen sind vorgesehen für den Fall des Repowerings von Windenergieanlagen an Land (neuer Paragraf 45c BNatSchG). Zugleich soll zum dauerhaften Schutz insbesondere der durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien betroffenen Arten das Bundesamt für Naturschutz mit der Aufgabe betraut werden, nationale Artenhilfsprogramme aufzustellen und die zu deren Umsetzung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, wobei zu deren Finanzierung auch Anlagenbetreiber beitragen sollen, die aufgrund der neuen Vorschriften in den Genuss einer artenschutzrechtlichen Ausnahme gelangen. (sas/mis/irs/04.07.2022)