Von der „Kaiserhymne“ zum „Lied der Deutschen“
Das Kaiserreich besaß aufgrund seiner föderalen Struktur keine offizielle Nationalhymne. Inoffiziell setzte sich jedoch nach 1871 das „preußische Volkslied“ mit den Anfangsworten „Heil´ dir im Siegerkranz“ durch und etablierte sich als „Kaiserhymne“, die bei patriotischen Feierlichkeiten gespielt wurde.
Ursprünglich, im Jahre 1790, war sie von Heinrich Harries auf den dänischen König Christian VII. gedichtet worden, bereits damals zur Melodie von „God save George the King“, eine verbreitete Hymnen-Melodie, die sich bis zum englischen Barockkomponisten Henry Purcell im 17.Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Im Text der Königshuldigung verbarg sich allerdings die Aufforderung an den Monarchen, nicht auf militärische Stärke zu bauen, sondern auf die Zuneigung der Bürger und des „freien Manns“, nur dann sei der Thron gesichert: „Nicht Ross´ und Reisige/Sichern die steile Höh´,/Wo Fürsten stehn./Liebe des Unterthans,/Liebe des freien Manns/Gründen den Herrscherthron/Wie Fels im Meer.“
Im Jahre 1793 wurde der Text der Hymne von Balthasar Gerhard Schumacher auf den preußischen König Friedrich Wilhelm II. umgedichtet (u.a. fügte Schumacher nach den anfänglichen Erfolgen preußischer Truppen gegen das französische Revolutionsheer die Worte „im Siegerkranz“ ein). Text und Melodie erklangen erstmals 1795 im Königlichen Nationaltheater in Berlin in Gegenwart Friedrich Wilhelms II. Nach der Reichsgründung mussten im Text lediglich die Worte „Heil, König, Dir“ durch „Heil, Kaiser, Dir“ ersetzt werden. In dieser Form hatte die „Kaiserhymne“ bis 1918 Bestand.
Das „Lied der Deutschen“ hingegen geht in seiner Melodie auf die österreichische Kaiserhymne zurück, die Joseph Haydn für Kaiser Franz II. komponierte - als Gegenstück zur Marseillaise und uraufgeführt 1797 im Wiener Burgtheater. Auch nach der Niederlegung der Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hatte diese Kaiserhymne, nunmehr dem seit 1804 jeweils amtierenden Kaiser von Österreich gewidmet, bis zum Jahre 1918 Bestand.
Den Text des „Liedes der Deutschen“ schrieb der Dichter Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) am 26. August 1841 während eines Aufenthaltes auf der damals britischen Insel Helgoland. In romantischem Überschwang beschwor er das „brüderliche“ Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen und die staatliche Einheit als ersehntes Ziel. Vorausgegangen war die sog. Rheinkrise, in der Frankreich Anspruch auf die linksrheinischen Gebiete des Deutschen Bundes erhoben hatte. Das „Lied der Deutschen“ gehörte damit zu einer Reihe patriotischer Dichtungen jener Jahre, die zur Verteidigung des Rheinlandes aufriefen. Doch vertiefte Fallersleben diesen Aspekt um grundsätzliche Forderungen der nationalliberalen Bewegung, wie der nach einer Überwindung der Kleinstaaterei im Deutschen Bund oder der nach einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung. Bereits zum Ende des Kaiserreiches war das „Lied der Deutschen“ populär geworden, weil die „Kaiserhymne“ wohl mehr als Huldigung für Wilhelm I. als für seinen Enkel empfunden wurde. Bei der Feier zur Übergabe Helgolands von Großbritannien an das Deutschen Reich im Jahre 1890 wurde allein das Deutschlandlied gesungen. So kam bereits vor 1918 immer häufiger die Bezeichnung „Nationalhymne“ für das „Lied der Deutschen“ auf.
Zur Nationalhymne erklärt wurde das Deutschlandlied jedoch erst in der Weimarer Republik von Reichspräsident Friedrich Ebert anlässlich des Verfassungstages am 11. August 1922 in seiner Festansprache: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten.“ Kurz zuvor, am 24. Juni 1922, war Außenminister Walther Rathenau von rechtsradikalen Paramilitärs ermordet worden. Das Attentat erschütterte die junge Republik, die den Zusammenhalt der Bürger durch gemeinsame, verbindende Symbole und Rituale, wie die Nationalhymne, stärken wollte.
Oli Bott am Vibraphon und Anna Carewe am Cello folgen musikalisch dem Wandel von der „Kaiserhymne“ zum Deutschlandlied. So ringen in der Komposition Motive der „Kaiserhymne“, die gleichzeitig als britische Nationalhymne oder norwegische Königshymne über Deutschland hinausweist, mit denen des Deutschlandliedes. Mal übernimmt das Vibraphon, mal das Cello die jeweilige Melodieführung. Den expressiven, dynamischen Partien, in denen sich die Auseinandersetzung um Einheit und Freiheit spiegelt, folgen ruhigere, kontemplative Momente, die Gelegenheit bieten, über den zurückgelegten Weg und auch über Leid und Opfer auf dieser Wegstrecke nachzusinnen. Die Komposition klingt in der Melodie des Deutschlandliedes aus, ruhig, besonnen und innig: Ausdruck freudigen Stolzes über die gemeinsamen Errungenschaften, aber zugleich getragen von Nachdenklichkeit und Besinnlichkeit.
Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages