Guillaume Bruère

(© Guillaume Bruère)
Angesichter
Guillaume Bruères große Serien entstanden in bedeutenden Museen Europas: Er zeichnete im Kunsthaus Zürich, dem Van-Gogh-Museum Amsterdam, dem Musée Picasso in Paris und an vielen anderen Institutionen vor den Porträts alter Meister. Er transformierte sie in völlig unabhängige Momentaufnahmen von Menschen, die längst nicht mehr als Individuen von uns erinnert werden, sondern ikonenhaft Teil unseres Bildgedächtnisses und Kulturverständnisses geworden sind. Parallel entwickelte er eine eigene Herangehensweise an großformatige Gemälde, in denen er – oft von der christlichen Ikonographie abgeleitet – Menschheitsthemen neu bearbeitet: Leben, Tod, Auferstehung, Schuld, Sühne, Ruhm, Leid, Versehrtheit sind Themen, die in seinen Gemälden aufscheinen und nach neuen Formen suchen.
Neben dieser Bearbeitung kanonischer Bildformen sucht Bruère kontradiktisch nach dem heutigen Menschen. Der individuelle Mensch und seine Geschichte, sein Leid, sein Wohlergehen interessieren Bruère, und er zeichnet und malt Porträts vor allem von jenen, die oft an den Rändern der Gesellschaft leben und weder damals noch heute porträtiert wurden. Ende 2015 etwa begann Bruère damit, in der Nähe seines Wohnortes Geflüchtete zu porträtieren: Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran: Alte und Junge, Frauen, Männer und Kinder, Familien, Paare, Einzelne, die in einer der vielen Notunterkünfte Berlins auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warteten. Dabei sucht er genau wie in den Porträts der alten Meister nach der Würde des Augenblicks, der Essenz der Erscheinung. Er verzichtet auf Attribute und alle erzählerischen Zugaben und vertraut auf das Gesicht als Träger der individuellen Persönlichkeit gemäß der Philosophin Judith Butler: „Auf das Gesicht zu reagieren, seine Bedeutung zu verstehen, heißt, wach zu sein für das, was an einem anderen Leben gefährdet ist, oder vielmehr wach zu sein für die Gefährdetheit des Lebens an sich.“
2024 richtete er in einer Berliner Obdachlosenunterkunft über mehrere Monate ein Atelier ein und fertigte großformatige Porträts von all jenen, die interessiert waren, jeweils zwei Mal: Einmal, um in das Wesen des Modells einzutauchen, im Detail, über zahlreiche Farbschichten aufgebaut – direkt danach ein zweites Mal, wenn nicht die Präsenz des Gegenübers, sondern die Erinnerung an dieses eine Art Essenz der Erscheinung ermöglichte. Die hier gezeigten Leinwände stellen eine kleine Auswahl der Porträts dar. Alle entstanden im Jahr 2024.