Eröffnungsrede des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse
aus Anlass der Eröffnung des Ausstellungsbereiches im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit der Ausstellung „Wille, Macht und Wandel“ von Herlinde Koelbl
Sehr geehrte Frau Koelbl, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
es ist mir heute eine besondere Freude, sie alle zur offiziellen Eröffnung dieser Ausstellungsräume im Deutschen Bundestag begrüßen zu können. Dass wir nunmehr im Parlament neben den Ausstellungsflächen im Paul-Löbe-Haus für politisch-parlamentarische Ausstellungen auch Flächen für künstlerische Ausstellungen mit einem Bezug zum Parlament präsentieren können, empfinde ich als ein wichtiges Zeichen nicht nur an die Künstlerinnen und Künstler in unserem Land. Im besonderen Maße freue ich mich, dass diese Ausstellungsräume für die Öffentlichkeit insgesamt und ohne Voranmeldung zugänglich sind. Gleiches gilt für das Mauermahnmal auch im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das wir heute Morgen zusammen mit dem Uferweg der Öffentlichkeit übergeben haben.
Nun zur Ausstellung selbst: Dass wir 11 Tage nach den Wahlen zum Deutschen Bundestag in diesem Haus eine Ausstellung mit dem Titel „Wille, Macht und Wandel“ eröffnen, finde ich durchaus passend. Kann man einen besseren Zeitpunkt wählen? Geplant war es nicht.
In den Foto- und Videoinstallationen von Herlinde Koelbl geht es um Menschen und um deren sichtbare Veränderungen. Diese könnten wir auch als hochaktuellen Kommentar zu den Ereignissen dieser Tage lesen. Ging es und geht es doch für die Portraitierten um die Fragen: Wie kommt man an die Macht? Was macht man mit der Macht? Und die viel seltener gestellte Frage, was macht die Macht mit dem Noch-Mächtigen, dem Noch-nicht-Mächtigen und dem Nicht-mehr-Mächtigen.
Gerade bezogen auf die dritte Frage leisten die Arbeiten von Herlinde Koelbl Herausragendes, weil sie sich mit einer bemerkenswerten Tiefe und Ausdauer, dem einzelnen Menschen, der einzelnen Person zuwendet.
In den vergangenen Wochen und Monaten und insbesondere nach dem 18. September erleben wir eine Auseinandersetzung darum, wie der Wille zur Macht und wie die Macht zum Wandel geführt werden kann. Wir reden in unterschiedlichen Funktionen über verschiedene Konstellationen, über Bedingungen und über Ansprüche, die sich tatsächlich oder vermeintlich aus dem Wahlergebnis herleiten. Übereinkünfte sind zu treffen. Eine tragfähige und verlässliche Grundlage einer mehrjährigen Zusammenarbeit zwischen Parteien, aber eben auch Personen, die unterschiedlichen „Lagern“ angehören, ist zu schaffen. Auch viele der insoweit Beteiligten hat Herlinde Koelbl über lange Zeiträume hinweg fotografiert.
Nun lautet das gängige Vorurteil, dass Macht privilegiere und dem Mächtigen ein schönes Leben verschaffe. Die Fotos sprechen eine andere Sprache. Es sind nicht bloß Spuren des Älterwerdens, die wir den Gesichtern ansehen, sie werden vielmehr im Laufe der Jahre ernster, angespannter, gezeichnet von den Erfahrungen und Erlebnissen mit der Macht.
Dabei wissen wir, ob wir als aktiv Handelnde oder Beobachter, und auch das wird in der Ausstellung sichtbar, der Wille zur Macht allein reicht nicht aus. Um in das Zentrum der Macht zu gelangen geht es nicht nur darum, was jemand politisch will. Es geht auch darum, ob er oder sie es kann, oder zunächst und sogar noch wichtiger, ob es innerhalb der eigenen Partei, innerhalb der Bevölkerung und nicht zuletzt innerhalb der Medien ein Zutrauen gibt, ob der oder die es kann. Ob er die Fähigkeit für ein bestimmtes Amt hat, ob er oder sie fähig ist, Macht ausüben zu können. Das Streben nach Macht ist die eine Seite, mächtig sein eine ganz andere.
An der Macht hat man die Chance, zu gestalten, für Veränderungen zu sorgen, aber man verändert sich vor allem und das mit Sicherheit auch selbst. - Ich höre schon die Zyniker rufen: Macht korrumpiert! - Ja, auch das gibt es, aber Herlinde Koelbl hat etwas anderes dokumentiert. Man altert anders „an der Macht“
Dabei ist unsere Demokratie zum Glück - was die Ausübung von Macht angeht - vor bestimmten Fehlentwicklungen gefeit. Sie rechnet nämlich mit der Fehlbarkeit, der Erbärmlichkeit der Menschen und verleiht Macht deshalb nur auf Zeit. Nach vier - manchmal auch nur drei - Jahren kann der Souverän erneut entscheiden, wer die Macht ausüben soll und wer nicht.
Das andere Korrektiv sind die Medien. Sie sollen u. a. mithelfen, Machtmissbrauch aufzudecken und zu verhindern. Dabei haben die Medien in den vergangenen Jahrzehnten viel geleistet und notwendige Veränderungen mit ermöglicht. Auch wenn Medien, d. h. Journalisten, natürlich Teil der politischen Klasse sind und nicht wenige meinen, Macht dadurch zu haben, dass sie Politiker machen. Gelegentlich den selbstkritischen Blick der Journalisten auf das eigene Geschäft wünschte ich mir schon, denn sie werden ja nicht alle 4 oder 3 Jahre gewählt oder abgewählt und müssen sich nicht einem demokratischen Test stellen.
Eines ist mir wichtig abschließend zu sagen: Es geht weder um Verteufelung oder Vergötzung von Macht. Auch in unserem Land sollte man - wie soll ich das nun nennen - ein gesundes Verhältnis zur Macht haben. Das erscheint mir ein falscher Ausdruck zu sein. Wir sollten ein entspanntes, ein gelassenes, ein normales, sagen wir ein europäisch vertrautes, zivilisiertes Verhältnis zur Macht haben. Man sollte zupacken können und loslassen können. Beides ist von denen, die Macht wollen oder haben, zu erwarten.
Ob wir all dies auch außerhalb dieser Ausstellung sehen können oder werden, bleibt in einigen Wochen einer abschließenden Betrachtung für diesen Vorgang vorbehalten. Es wird ja nicht der letzte sein in unserer Demokratie. Die Ausstellung selbst jedenfalls kann bis zum 11. November dieses Jahres besichtigt werden. Ob wir bis dahin bereits eine neue Koalition und eine neue Regierung haben werden, weiß ich nicht. Das steht nicht fest, aber das Ende dieser Ausstellung.
Ich wünsche ihr viele Besucher, die nicht andächtig, nicht voller Respekt, aber nachdenklich die Bilder von Mächtigen betrachten und dabei ein bisschen auch über die Demokratie nachdenken, über die Endlichkeit und Begrenztheit von Macht in einer Demokratie. Das wäre dann, darf ich das sagen, politische Bildung auf die vornehmste Weise.
Seien sie herzlich willkommen. Ich darf nun Herrn Dr. Kaernbach bitten, in die Ausstellung einzuführen.