Besuch

Rede des Kurators der Kunstsammlung des Dt. BT zur Ausstellungseröffnung

- Es gilt das gesprochene Wort -

Núria Quevedo - Vom Reichtum der Schwarz- und Grautöne

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Botschafter, sehr verehrte Frau Quevedo, meine Damen und Herren,

Núria Quevedo beschrieb vor wenigen Tagen in einem Gespräch das Arbeiten von Malern, von Künstlern, in der DDR als eine ständige Gratwanderung zwischen dem Maß an künstlerischer Freiheit, das sie wagen durfte, ohne behördliche Repressionen herauszufordern, und jenem Maß an unverzichtbarer Freiheit, dessen sie bedurfte, um vor ihren eigenen Ansprüchen zu bestehen. Dieses Arbeiten auf schmalem Grat setzte kreatives Potential frei für eine Kunst, die Funken aus der Reibung mit dem Zensor schlug. Núria Quevedo hat Auseinandersetzungen nicht gescheut, hat mit ihren Bildern in der DDR immer wieder Anstoß erregt, Anstöße gegeben und sich nie in den Dienst eines systemkonformen realsozialistischen Optimismus gestellt.

Auch nach der Öffnung der Mauer bleibt ihre Kunst Ausdruck des Widerstandes, nunmehr als Widerspruch zum Zeitgeist einer Spaß- und Eventkultur. Ihre Gemälde lassen sich nämlich nicht auf das Plakative schnellerfassbarer Videoclips reduzieren. Sie erfordern vielmehr ein genaues Hinsehen, ein geradezu meditatives Hineinsehen in die reichen Valeurs der erdfarbenen Töne, der Grau- und Schwarzabstufungen. So entdecken wir in den Gemälden Núria Quevedos wie unsagbar viele Nuancen Schwarz und Grau zu bieten haben, wieviel Reichtum eine scheinbar reduzierte Farbpalette zu entfalten vermag. Diese differenzierten Farbnuancen lassen jedes vordergründig scheinbar nur gegenständliche oder figürliche Bild gleichzeitig zum Erlebnis einer abstrakten Farbgestaltung werden - und sie erinnern zugleich an die katalanische Heimat der Malerin, markieren die Auseinandersetzung mit der Maltradition Spaniens.

Auch thematisch schlägt Núria Quevedo, die ja erst mit vierzehn Jahren ihre Heimatstadt Barcelona verließ und den Eltern nach Berlin folgte, in ihren Arbeiten immer wieder den Bogen zu Spanien.

Das zentrale Gemälde in der Ausstellung ist die Figurenstudie „Don Quijote und Sancho“. Mit dem Ritter von der traurigen Gestalt aus dem Roman von Miguel Cervantes greift die Malerin ein Thema auf, das sie bereits in vielen ihrer Arbeiten beschäftigt hat - und so liegt die Vermutung nahe, dass der Ritter ein Alter ego der Malerin selbst sein könnte, jedenfalls einer, dem ihre ganze Sympathie gehört: Denn dieser Ritter ist ein Unzeitgemäßer, einer, der sich dem jeweiligen Zeitgemäßen, Populären versagt und auf seinem Recht als Träumer, als Utopist beharrt. Doch in Núria Quevedos Blick fehlt jede sentimentale Verklärung. Sie zeigt vielmehr Quijote als einen Gestürzten, einen Gescheiterten, dem sein pragmatischer Diener Sancho wieder auf die Beine helfen muss, besser, zu helfen versucht - und in diesem von ihr erfassten und geschilderten Augenblick erinnert die Figurenkonstellation zugleich an die Kreuzabnahme Jesu.

Dieses Anklingenlassen einer religiösen Bildsprache offenbart einmal mehr, dass die Malerin in ihrer Exil-Heimat Deutschland ihren spanischen Wurzeln verhaftet geblieben ist. In vielen ihrer Bilder klingt dieser religiöse Ernst an. Die Motive sind jeweils nur vordergründig malerische Figurenstudien. Insbesondere ihre ausdrucksstarken Kopf-Hand-Figuren lassen die schmerzhafte Tragik des Individuums in dieser Welt, seine Ausgesetztheit und Gottesferne spüren. So werden die Landschaften in Quevedos Bildern, vulkanische Formationen, die Weite des Meeres oder der Hochebene der spanischen Mancha, zu einer Seelenlandschaft, zu einer Metapher der Verlorenheit des Menschen in dieser Welt. Aber ihre Kopf-Hand-Figuren deuten auf keine Resignation. Mit trotziger Beharrlichkeit trommeln die geballten Fäuste gegen einschließende Mauern, oder sie strecken ihre Hände suchend und hoffend aus, halten einen Seestern wie einen Stern der Hoffnung über den wolkenverhangenen Horizont eines bleigrauen Ozeans.

Die malerischen Arbeiten Núria Quevedos werden in dieser Ausstellung ergänzt durch graphische Arbeiten, die sie zu literarischen Werken von Christa Wolf, Volker Braun oder Karl Mickel geschaffen hat.

Diese zweite Ebene ihres Schaffens begleitet ihren künstlerischen Werdegang seit ihrer Zeit als Meisterschülerin an der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin bei Werner Klemke. Friedrich Dieckmann hat ihre damaligen grafischen Arbeiten, die oft durch einen Zug zum Grotesken gekennzeichnet sind, mit den Worten gewürdigt, sie gehörten zu dem Schönsten, was das Buchland DDR während seiner vierzigjährigen Dauer hervorgebracht habe.

Ihre aktuellen grafischen Arbeiten, wie beispielsweise die in der Ausstellung ausliegende Grafik-Mappe „Kassandra“ zu Christa Wolfs gleichnamigen Roman, sind jedoch kaum mehr Illustrationen im herkömmlichen Sinne, sondern freie Paraphrasen, eigene künstlerische Setzungen.

Sie greifen den archaischen Grundton des Romans von Christa Wolf auf und schildern in der für Núria Quevedo charakteristischen herben Bildsprache Ursituationen des Menschen, Ursituationen von Zärtlichkeit, Leidenschaft und Gewalt, von Lebenswillen und Todesgewissheit und vor allem vom trotzigen Aufbegehren, vom Sich-Behaupten im verhängten Schicksal. Die Härte des grafischen Arbeitens, das ja bei diesen Kaltnadelradierungen immer ein Schneiden in Metall, also ein Arbeiten gegen den Materialwiderstand ist, kommt dem Gehalt dieser Arbeiten Núria Quevedos entgegen.

Núria Quevedo hat sowohl mit ihren malerischen als auch mit den grafischen Arbeiten einen eigenständigen Weg beschritten, der sich keiner Stilrichtung oder Malschule zuordnen lässt. Ihr ist es gelungen, mit ihren in zweifelnder Nachdenklichkeit verharrenden Kopf-Hand-Figuren oder den traumverloren durch Kraterlandschaften irrenden Gliederpuppen Zeichen, Chiffren zu finden für „das große Bitterwort Exil“ (Wolf Biermann).

Doch Núria Quevedos erlebtes und gestaltetes Exil reicht weit über den engen politischen Begriff hinaus, es ist ein Exil, das Teil der Conditio humana ist und daher uns alle treffen kann, ohne dass wir in der Lage wären, es mit der schmerzlichen Klarheit der Künstlerin zu artikulieren. Die Bilder der Künstlerin lassen uns jedoch nicht in resignativem Hinnehmen zurück, sondern rufen zugleich auf, sich unverzagt dieser existentiellen Herausforderung zu stellen. In Volker Brauns apokalyptischer Vision „Eisenwagen“, zu der in der Ausstellung Graphiken Núria Quevedos zu sehen sind, lauten die letzten Worte, die sich der Ich-Erzähler zurecht legt:

„Mit dieser eisernen Gegebenheit leben und gegen sie, sie benutzend und zerbrechend.“ Aus dieser Ambivalenz des Beharrens auf dem Streben nach der Utopie und der tapferen Hinnahme ihres möglichen Scheiterns leben die Werke Núria Quevedos. Die Caldera, der vulkanische Boden des Kraterkessels, der viele ihrer Figuren trägt, kündet von beidem, von der Zerstörung und von der Chance zum Neuanfang.

Dr. Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages

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