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Wieland Förster

Große Sitzende und Große Daphne II

Der Bildhauer Wieland Förster setzt die bedeutende figürliche Bildhauertradition Berlins fort. Sie ist mit so bekannten Namen wie Käthe Kollwitz, Gustav Seitz, Fritz Cremer und Werner Stötzer verbunden. Ihre künstlerische Sprache erweiterte Förster um eine eigene expressiv-manieristische Spielart.

Die Darstellung von Martyrien und gequälten, geschundenen Körpern bildet einen Schwerpunkt seines Werkes. Es sind schmerzliche Kriegserlebnisse sowie seine jahrelange Haft in einem Sonderlager in Bautzen, die Förster in der Darstellung von Leid und Vergänglichkeit verarbeitete. Daneben besteht als eigener bedeutender Werkkomplex eine Reihe ausdrucksstarker Porträtbüsten. Und geradezu als Gegenpol zu den Marterszenen bestimmen darüber hinaus naturhafte weibliche Aktdarstellungen von Beginn an sein Werk. Die Großskulpturen mythologischer weiblicher Figuren schuf Förster jedoch erst nach dem Ende der DDR. Sie sind Schwerpunkt seines beeindruckenden Spätwerkes.

In der Bronzeskulptur „Große Daphne II“ gelangt Försters Auseinandersetzung mit mythologischen Themen zu einem Höhepunkt und Abschluss. Die Figur der Daphne geht auf die Geschichte von Apollo und Daphne in den „Metamorphosen“ des Ovid zurück. Die Nymphe Daphne wird vom Gott Apollo bedrängt und fleht in ihrer Not zu ihrem Vater, einem Flussgott, er möge sie schützen. Daraufhin wird sie in einen Lorbeerbaum verwandelt. Wieland Förster konzentriert seine Darstellung auf den Augenblick, in dem Daphnes Gestalt noch weibliche Figur und zugleich schon vegetabile Natur ist. Wie ein Baumstamm, der eher an die kräftige Statur und rissige Oberfläche des Ölbaumes als an einen Lorbeerbaum erinnert, entwickelt sich der Torso bis zu einem gerade noch erkennbaren Schulteransatz der Figur. Ihre Oberfläche wirkt reich bewegt, expressiv und nahezu barock. Der Prozess des bildhauerischen Formens wird durch das Nichtvollendete des Torsos und die deutlich sichtbaren Arbeitsspuren selbst zum Thema des Werkes. So vollzieht sich parallel zur Verwandlung der Nymphe in einen Baum eine weitere Metamorphose vor unseren Augen, die vom ungeformten Material zur belebten Skulptur. Wieland Försters „Große Daphne II“ verharrt somit in einem Zwischenreich, dem zwischen ungestalteter Natur und Kunst, zwischen menschlicher Gestalt und Baum.

Das Motiv der weiblichen Figur bildete stets einen Angelpunkt des Werkes von Wieland Förster und zugleich einen Gegenpol zur Darstellung des leidenden und gequälten Menschen. Drei Jahrzehnte vor der Daphne-Darstellung schuf er mit der Skulptur „Große Sitzende“ (1964 im Garten des Malers Hans Vent in Bergfelde begonnen, im selben Jahr zweimal gegossen) ein Sinnbild kreatürlichen Lebens und ursprünglicher Naturverbundenheit. Die abgerundeten, geometrisch-abstrahierenden und geglätteten Oberflächen formen eine kompakte, harmonisch-ausgewogene Skulptur – Sinnbild für ein „ruhiges, erdenschweres Dasein, fernab aller Hast“ und erfüllt „von einer herben Anmut“ (Werner Timm, 1966). Die „Sich Sonnende“ erinnert in der Geschlossenheit ihrer Form an allegorische Frauenskulpturen von Aristide Maillol („La nuit“, 1902/1909) und verkörpert überzeugend die Vorstellung einer in sich und in der Natur ruhenden „Sonnenanbeterin“.

Ein zweiter Guss der Skulptur wurde im Jahre 1968 in Bad Wendorf bei Wismar in einem Wohngebiet am Max-Reichpietsch-Weg aufgestellt. In Ost-Berlin fand die „Sich Sonnende“ ihren Platz als Brunnenfigur im Innenhof des in den Jahren 1962 bis 1965 gebauten Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (MAH) der DDR (Unter den Linden 44–60). Als das Gebäude nach dem Fall der Mauer zum Bundestagsgebäude Unter den Linden 50 umgebaut wurde, erhielt der Künstler Klaus Rinke den Auftrag zu einer umfassenden Neugestaltung des Innenhofes. Wieland Försters Skulptur wurde daraufhin in einen Innenhof des Bundestagsgebäudes Unter den Linden 71 versetzt.

In beiden Skulpturen, der „Großen Daphne II“ und der „Sich Sonnenden“, hat Wieland Förster das Thema von Annäherung und Einswerdung von Natur und Mensch gestaltet. Was die Daphne der antiken Götterwelt in mythologischer Überhöhung versinnbildlicht, zeigt die „Große Sitzende“ in einem ganz alltäglichen Sinne: Sie ist ein Naturkind, eine „Daphne“ vom Ostseestrand im Hier und Jetzt von Berlin. Abseits der großstädtischen Geschäftigkeit der Straße „Unter den Linden“ lädt sie zum Innehalten ein und zum Träumen von einem diesseitigen Arkadien.

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