Elisabeth Scharfenberg: Politik ist nicht alles im Leben
„Ich schmeiße nicht hin“, titelte die Frankenpost Ende August. Zitiert wurde die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Scharfenberg, die bekanntgegeben hatte, dass sie 2017 nicht erneut für den Bundestag kandidieren wird. Sie wolle neue Wege beschreiten, werde aber ihren Wahlauftrag, den ihr die Bürger ihres Wahlkreises gegeben haben, selbstverständlich verantwortlich zu Ende bringen.
„Politik ist nicht alles im Leben“
Seit 2005 gehört die engagierte Sozialpädagogin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag an und ist deren Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik. Eine Aufgabe, die sie nicht nur sehr ernst nimmt, sie ist ihr eine Herzensangelegenheit. Doch nach drei Legislaturperioden ist Schluss. Die Nachricht, dass sie 2017 nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren wird, war für die Fraktion und für ihren Wahlkreis Hof-Wunsiedel ein Paukenschlag. Niemand hatte mit der Entscheidung von Elisabeth Scharfenberg 2017 gerechnet und viele bedauern, dass die engagierte Politikerin geht.
Warum sich Elisabeth Scharfenberg nach zwölf Jahren aus der Politik zurückzieht, kann sie in zwei Sätzen beantworten: „Politik ist wichtig, und ich bin sehr gern Bundestagsabgeordnete, aber Politik ist nicht alles im Leben. Ich bin jung genug, um mich noch einmal neuen Herausforderungen zu stellen.“ Was genau Elisabeth Scharfenberg nach ihrem Ausstieg aus der aktiven Politik vor hat, steht noch nicht fest. „Ich bin ja noch bis September 2017 Bundestagsabgeordnete und will diese Aufgabe mit Herzblut ausfüllen, darauf konzentriere ich mich. Was danach kommt, werde ich in aller Ruhe vorbereiten.“
Seit 1983 immer bekennende Grün-Wählerin
Als Elisabeth Scharfenberg 1983 zum ersten Mal ihre Stimme bei einer Bundestagswahl abgeben durfte, hatte sie gerade das Abitur gemacht. Für die junge Abiturientin aus Rüsselsheim stand schon damals außer Frage, dass sie ihr Kreuz bei Bündnis 90/Die Grünen macht. Sie war von der 1980 gegründeten Umweltpartei, die 1983 erstmals bei einer Bundestagswahl antrat, begeistert. Am 6. März 1983 gelang 28 Politikern der Einzug in den Deutschen Bundestag – unter ihnen Marie-Luise Beck, Otto Schily, Gerd Bastian und Petra Kelly. Seitdem war Elisabeth Scharfenberg immer bekennende Grün-Wählerin, bevor sie vor 17 Jahren selbst in die Partei eintrat.
Seit 1999 bei den Grünen, seit 2005 im Bundestag
Elisabeth Scharfenberg kam mit 36 Jahren „relativ spät“ in die Politik. Warum? Mit 22 Jahren wurde sie zum ersten Mal Mutter, mit 23 bekam sie Zwillinge, und sie studierte Sozialarbeit und Sozialpolitik. „Da blieb schlicht keine Zeit für ein Engagement in einer Partei“, sagt die Politikerin. Als sie 1999 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen wurde, ging es mit ihrer Parteikarriere stetig voran. Im gleichen Jahr wählte man sie zur Sprecherin des Kreisverbandes Hof, und sie wurde in den Parteirat gewählt.
2002 kandidierte sie erstmals für den Bundestag. „Damals noch auf einem aussichtslosen Listenplatz, aber ich stellte fest, dass mir Politik Spaß macht. Ich nahm mir vor, mich parteipolitisch so zu engagieren, dass ich bei der nächsten Bundestagswahl auf einem aussichtsreichen Listenplatz antreten kann“, sagt die Politikerin. Dass die Bundestagswahl 2005 vorgezogen wurde, konnte sie damals nicht ahnen, aber 2005 machte sie das Versprechen, dass sie sich gegeben hatte, wahr. „Ich trat an, erst vor den Delegierten, dann im Wahlkampf. Ich kämpfte um jede Stimme und war erfolgreich. 2005 wurde ich erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt“, sagt die Politikerin rückblickend.
Gerechtigkeit für die Alten und Pflegebedürftigen
Wenn man Elisabeth Scharfenberg reden hört, wie sie vor Energie sprühend vom Wahlkampf erzählt und von den Menschen im Wahlkreis, kann man sich kaum vorstellen, dass sie sich aus der Politik zurückziehen will. Politiker mit so viel Leidenschaft und so viel Engagement braucht jede Partei, und Elisabeth Scharfenberg hat im Laufe der vergangenen Legislaturperioden wirklich vieles erreicht.
Sie sagt: „Als ich 2005 in den Bundestag gewählt wurde, waren Pflegethemen und die Altenpolitik noch Randthemen. Heute stehen sie auch bei den Grünen ganz oben auf der Agenda. Ich bin sehr froh, dass ich daran mitarbeiten konnte, für ein Stück mehr Gerechtigkeit für die Alten und Pflegebedürftigen zu sorgen. Auch wenn längst nicht alles erreicht ist, gibt es doch kleine Fortschritte.“
Mitarbeiter im Bundestagsbüro als zweite Familie
Was wird ihr fehlen, wenn sie in knapp einem Jahr aus der aktiven Politik ausscheidet? „Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagt sie ohne einen Moment zu zögern. „Den Politikbetrieb weniger, aber die Mitarbeiter meines Bundestagsbüros, die mich seit Jahren begleiten und immer für mich da sind. Wir sind hier fast wie eine Familie, haben Höhen und Tiefen erlebt. Mein Team hat mir den Rücken gestärkt, wenn der Frust mal groß war und der Stress nicht enden wollte. Diese Menschen werde ich schmerzlich vermissen.“
Berlin verlassen will Elisabeth Scharfenberg keinesfalls. Für sie ist Berlin nicht nur eine Weltstadt, die unendliche viele Möglichkeiten bietet. Berlin ist ein Stück Heimat für die Politikerin. Sie sagt: „Ich habe in Berlin studiert, meine Töchter leben in Berlin und viele meiner Freunde. Hier bin ich ebenso gern zu Hause wie in Oberfranken, nur ganz anders.“
Herausforderung suchen und Veränderungen annehmen
Mit 54 Jahren will Elisabeth Scharfenberg noch einmal durchstarten und die Herausforderung annehmen, sich eine neue berufliche Perspektive zu suchen. „Dafür habe ich bis zum Rentenalter noch mehr als zehn Jahre Zeit. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, müssen nämlich auch Politiker bis zur Rente arbeiten, und das Ruhegeld eines ausgeschiedenen Abgeordneten wird erst ausgezahlt, wenn das Rentenalter erreicht ist“.
Das einzige, was Elisabeth Scharfenberg verraten kann: sie möchte dem Bereich Pflege treu bleiben. Aber vielleicht macht sie ja auch etwas völlig anderes. Als ausgebildete Sozialarbeiterin gibt es viele Möglichkeiten. „Ich habe mich in meinem Leben immer wieder neu justiert und die Perspektiven verändert. Das ist sehr erfrischend und belebend. Es schärft den eigenen Blick, was mir sehr wichtig ist“, sagt die Abgeordnete.
Rot-rot-grün oder schwarz-grün?
Bei der nächsten Bundestagswahl, bei der Elisabeth Scharfenberg nicht mehr antritt, hofft sie auf ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis. Sie hätte bei der letzten Bundestagswahl schon dafür gestimmt und so die Oppositionsbank für die Grünen ebenso verhindert wie die Große Koalition, doch dafür gab es keine Mehrheiten. Das Farbenspiel schwarz-grün im Bund hält Elisabeth Scharfenberg für extrem problematisch, auch wenn solche Koalitionen in einigen Landes- und Stadtparlamenten erfolgreich funktionieren.
Als bayerische Abgeordnete wäre jedoch der Koalitionspartner vor Ort die CSU. „Ich halte ein schwarz-grünes Bündnis im Bund deshalb für unrealistisch, weil dort die CSU mitregiert und ich Herrn Seehofer für nicht besonders zuverlässig halte. Ich kann aber die Kollegen verstehen, die nach Jahren der Opposition endlich mal Regierungsverantwortung übernehmen wollen. Warten wir also ab, wie die Wahl 2017 ausgeht, für die heute noch keiner eine seriöse Prognose abgeben kann.“ (bsl/05.01.2017)