Peer Steinbrück: Ich kann das Wort „Nein“ wieder buchstabieren
Peer Steinbrück ist einer der bekanntesten SPD-Politiker und dafür bekannt, zu polarisieren. Er kann Klartext reden und tat es immer leidenschaftlich – als Staatssekretär, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, als Bundestagsabgeordneter im Plenum und als Bundesfinanzminister. Nicht alle Gesprächspartner, die Peer Steinbrück als deutscher Spitzenpolitiker im Laufe seiner langen Karriere traf, konnten mit seiner direkten Art, Probleme zu benennen, umgehen. Der Hamburger ist immer geradeaus und scheut sich auch nicht, in der eigenen Partei öffentlich Kritik zu üben. Zwei Jahre nach der verlorenen Bundestagswahl erschien sein Buch „Vertagte Zukunft“, in dem er fordert, die SPD dürfe nicht nur „der Krankenwagen der Gesellschaft“ sein, und der Vorteil der CDU sei, sie habe im Unterschied zu den Sozialdemokraten nicht immer schlechte Laune.
Seit 47 Jahren Sozialdemokrat
In die Politik kam Peer Steinbrück mit 22 Jahren. Als er 1969 in die SPD eintrat, war er Rekrut bei der Bundeswehr und politisch interessiert. Er traf einen Oberleutnant, der ihn zu einer SPD-Veranstaltung mitnahm, um ihn für Parteipolitik zu sensibilisieren. Der Oberleutnant gehörte der „Leutnant 70-Bewegung“ an, die dem Konzept der Generäle Baudissin und de Maizière vom Bürger in Uniform folgte, in Abgrenzung zur Wehrmacht, der Reichswehr und der kaiserlichen Armee, die als Staat im Staate fungierten.
„Meine Motivation, Mitglied der Sozialdemokraten zu werden, war der charismatische Willy Brandt, der 1969 Bundeskanzler wurde und viele Menschen im Land begeisterte. Es waren aber auch die damaligen politischen Verhältnisse in Deutschland. Ich wollte mich daran beteiligen, den Mief der 1950er-Jahre, der noch in die 1960er-Jahre hineinwehte, mit aufzumischen“, erinnert sich Steinbrück.
Als Bundesfinanzminister gegen die Eidgenossen in der Schweiz
Dass ihm das „Aufmischen“ liegt, hat er in seiner langen politischen Karriere öfter bewiesen. Als Bundesfinanzminister legte er sich 2009 mit den Schweizer Eidgenossen an, weil deren Banken Steuerhinterziehung möglich machten. Im Gedächtnis der Menschen ist der Halbsatz hängen geblieben, Peer Steinbrück wolle mit der Kavallerie in die Schweiz einrücken.
Auf die Frage, ob er den Satz heute, mit sechs Jahren Abstand, noch einmal so wiederholen würde, antwortet Peer Steinbrück: „Der Satz war völlig richtig. Er hat das Thema Steuerbetrug aus der Ecke der Kavaliersdelikte geholt. Und er war völlig berechtigt, auch gegenüber der Schweiz, weil für mich völlig unzweifelhaft ist, dass Schweizer Banken vorsätzlich den deutschen Fiskus betrogen haben. Es ist kriminell und mit Blick auf das Ansehen und die Legitimität von Politik verheerend, wenn der ehrliche Steuerzahler zahlt, während die großen Fische spielend ihr Geld in die Schweiz verbringen können.“
Dass sich an dem „Schweizer Geschäftsmodell“, wie es Peer Steinbrück nennt, während seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister etwas geändert hat, macht ihn ein Stück weit zufrieden. Für viele Sozialdemokraten gehört sein Engagement gegen Steuerhinterziehung zu den „Leuchttürmen“ seiner politischen Arbeit. Für Peer Steinbrück ist es ein Erfolg, dass die Schweiz zu den 80 Ländern gehört, die ein internationales Abkommen unterzeichnet haben, das einen automatischen Datenaustausch von Steuerdateien vorsieht. Er sagt: „Ich habe daran mitgearbeitet, dass die Schweiz als Steueroase auf eine Liste kam, die sich nach meiner Erinnerung sogar im Anhang des Communiqués des Londoner G20-Treffens im Frühjahr 2009 wiederfand. Inzwischen sind die Eidgenossen zur Weißgeldstrategie übergegangen.“
Die verlorene Bundestagswahl und die Finanzkrise
Erfolge, die Politiker erzielen, sind die Sonnenseiten im politischen Alltag. Peer Steinbrück musste aber auch mit Niederlagen umgehen und blieb dabei meist souverän. Er sagt: „Die verlorene Bundestagswahl hat mich nicht wie der Blitz erwischt, sondern das war ein wenig absehbar, und die Umstände waren auch entsprechend ungünstig. Abgesehen von den eigenen Fehlern, die man macht.“
Wenn er eine weitere schwierige und anstrengende Zeit in seinem Politikerleben nennen soll, waren es für ihn als Finanzexperten die Jahre 2008 und 2009 mit der Banken- und Finanzkrise, die auch Deutschland hart getroffen hat.
Bundestagswahlkampf 2017 nicht mehr „sein Ding“
Jetzt zieht sich Peer Steinbrück aus einem langen und intensiven Leben in und mit der Politik zurück. Schon nach der verlorenen Bundestagswahl 2013 hatte er sich das Ziel gesetzt, eigentlich Mitte der Legislaturperiode zurückzutreten.
„In der Verliererrolle als Spitzenkandidat der SPD vor drei Jahren konnte ich mir nicht vorstellen, mich an einem weiteren Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr mit notwendigen Zuspitzungen zu beteiligen. Das ist nicht mehr mein Ding“, sagt Steinbrück.
Parteien müssen für junge Menschen attraktiver werden
Auch wenn die aktive Politik künftig nicht mehr sein Ding ist: dass die SPD dringend politischen Nachwuchs braucht, daran besteht für Peer Steinbrück kein Zweifel. Seine Erklärung, warum sich immer weniger junge Menschen für Parteipolitik interessieren: „Die SPD leidet an Überalterung. Die junge Generation scheut sich, in große Organisationen zu gehen, bei denen sie vermutet, dass es sehr hierarchisch zugeht, sehr angepasst, dass der Gruppenzwang sehr groß ist. Das gilt für die Gewerkschaftsjugend, das gilt für die Kirchenjugend, das gilt auch für Parteien. Und manche, die das erste Mal in so eine Ortsvereinssitzung gehen, laufen schreiend raus, weil sie dann erst mal hören: Das haben wir hier seit fünfzig Jahren so gemacht, und bevor du etwas werden willst, stehen noch acht Jahre auf der Sprosse vor dir. Stell dich hinten an. Und: Parteien betreiben nicht das, was Unternehmen betreiben: Personalentwicklung und Qualifizierung.“
Für Peer Steinbrück muss es ein Umdenken geben, um Parteien für junge Menschen wieder attraktiver zu machen. Und das hat seine Berechtigung, denn Politik und Politiker haben ein sehr geringes Ansehen in der Bevölkerung.
Letzte Rede im Bundestag mit viel Applaus
Am 29. September hielt Peer Steinbrück im Deutschen Bundestag seine letzte Rede. Als Bundestagspräsident Lammert ihn als Redner aufruft, gibt es sogar aus den Reihen der Linksfraktion Applaus. Peer Steinbrück fordert im Plenum: Der Deutsche Bundestag müsse die Bühne sein, wo die zentralen Themen laut, leidenschaftlich und nicht alternativlos diskutiert werden, damit die Neugier an Politik wieder wächst.
Es folgt Applaus aller Fraktionen und Bundestagspräsident Lammert sagt zu Peer Steinbrück. „Sie haben sich das Misstrauen der eigenen Parteifreunde ebenso hart erarbeitet wie den Respekt ihrer politischen Gegner.“ Nach erneutem Applaus verlässt Peer Steinbrück die politische Bühne.
Klares Nein für ein erneutes Parteiamt?
Es ist endgültig! Dass Peer Steinbrück noch einmal ein Parteiamt übernimmt, schließt der mit einem klaren Nein aus. Nicht einmal, wenn ihm der Parteivorsitz angeboten würde? „Nein, absolut ausgeschlossen!“ Dafür sei er nie geeignet gewesen. „Ich polarisiere zu stark, und meine Ungeduld ist viel zu groß.“
Ob er seiner Partei noch als Berater zur Verfügung stehen würde? Steinbrück sagt: „Es macht keinen Sinn, immer ungefragt von der Seitenauslinie auf den Platz zu brüllen, aber falls man mich anspricht, werde ich mich nicht verweigern.“
Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Kuratorium
Ganz aufs politische Altenteil geht Peer Steinbrück aber vorerst noch nicht. Ab Januar 2017 wird er im Kuratorium der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung mitarbeiten, was ihm eine Herzensangelegenheit ist, denn mit Helmut Schmidt verband ihn eine langjährige Freundschaft. Helmut Schmidt vertrat immer klare, oft unbequeme Positionen, und Peer Steinbrück hält Klartext in der Politik für unabdingbar. Im Buch „Zug um Zug“, das er 2011 gemeinsam mit Helmut Schmidt schrieb, steht im Klappentext: Hier tauschen sich zwei überzeugte Sozialdemokraten aus, die manche Positionen ihrer Partei nicht gutheißen können.
Auf die Frage, worauf er sich am meisten freut, wenn er nicht mehr in der Tagespolitik arbeitet, antwortet Peer Steinbrück: „Ich freue mich auf Zeitsouveränität und darauf, das Wort Nein wieder buchstabieren zu können“. (bsl/05.01.2017)