Geschichte

Vor 20 Jahren: Deutsch-tschechische Aussöhnungs­erklärung verabschiedet

Bundeskanzler Helmut Kohl gibt im Bundestag eine Regierungserklärung zur Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Versöhnungserklärung ab. Im Hintergrund: die Regierungsbank

Bundeskanzler Helmut Kohl bei seiner Regierungserklärung zur Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Versöhnungserklärung; im Hintergrund die Regierungsbank. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Vor 20 Jahren, am 30. Januar 1997, hat der Deutsche Bundestag die „Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung“, verabschiedet. Eine Woche zuvor, am 21. Januar 1997, hatten die Regierungschefs und Außenminister beider Länder, der deutsche Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel sowie der tschechische Ministerpräsident Václav Klaus und Außenminister Josef Zieleniec, die Erklärung im Prager Palais Liechtenstein unterzeichnet.

Kein völkerrechtliches Abkommen

Die Zustimmung der beiden Parlamente war keine völkerrechtlich vorgeschriebene Ratifizierung. Für ihr Inkrafttreten war die Zustimmung beider Parlamente nicht notwendig. Die Deutsch-Tschechische Erklärung stellt kein völkerrechtliches Abkommen dar. Sie galt bereits seit ihrer Unterzeichnung durch die Regierungschefs und Außenminister.

Die Parlamente wollten jedoch durch den politischen Akt, die Verbindlichkeit des Dokuments erhöhen und ihm einen besonderen, herausgehobenen Rang verleihen. Fünf Jahre nach dem Vertrag über gute Nachbarschaft vom 27. Februar 1992 bedeutete die Erklärung einen weiteren deutlichen Schritt aufeinander zu.

Bekenntnis zur geschichtlichen Verantwortung

Die Gespräche und Verhandlungen im Vorfeld waren lang und alles andere als einfach. Fast zwei Jahre hatten die Unterhändler beider Regierungen um diese gemeinsame Erklärung gerungen. Das Verhältnis beider Länder war nach dem Zweiten Weltkrieg stark belastet. In Tschechien waren die Gräuel der Nationalsozialisten nicht vergessen. In Deutschland kämpften die Sudetendeutschen für die Anerkennung ihres durch die Vertreibung erlittenen Leides.

Im Ergebnis bekennen sich Tschechen und Deutsche zu ihrer geschichtlichen Verantwortung. Beide Seiten erklären, dass sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden. Gleichzeitig respektieren beide Staaten die jeweilige Rechtsauffassung.

Kanzler: Teufelskreis gegenseitiger Aufrechnung durchbrechen

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl betonte deshalb in seiner Regierungserklärung: „Es geht nicht darum, einen Schlussstrich zu ziehen. Es ging und geht darum, auch im Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn jene Themen offen anzusprechen und zu besprechen, die unseren Weg in eine gemeinsame Zukunft erschweren könnten. Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden. Gewalt und Unrecht haben auf beiden Seiten tiefe Wunden geschlagen und Bitterkeit hinterlassen. Dies alles kann nicht mit einer Erklärung aus der Welt geschafft werden. Es geht darum, als Nachbarn in Europa ehrlich miteinander umzugehen. Tschechen und Deutsche bekennen sich in der Erklärung zu ihrer geschichtlichen Verantwortung.“

Und weiter sagte Kohl: „Vielen - Deutschen und Tschechen -, die selbst gelitten haben, fällt es nach wie vor schwer, das Leid der anderen vorbehaltlos anzuerkennen. Gerade sie bitte ich, gemeinsam mit uns - vor allem mit der jungen Generation beider Völker - in die Zukunft zu gehen. Dies sage ich mit großem Respekt auch zu jenen Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag und im tschechischen Parlament, denen es nach der Erfahrung des eigenen Lebens nicht leicht fällt, der Deutsch-Tschechischen Erklärung zuzustimmen. Die Erklärung kann die noch fortbestehenden Wunden aus der Vergangenheit bei den Betroffenen nicht aus der Welt schaffen; sie kann die Geschichte auch nicht in allen ihren Einzelheiten erfassen und bewerten. Die Erklärung soll jedoch - bei allem Respekt für die verletzten Gefühle - einen Beitrag zur Aussöhnung leisten. Sie soll uns helfen, gemeinsam den Teufelskreis gegenseitiger Aufrechnung zu durchbrechen.“

Fraktionen danken Václav Havel

In der knapp dreistündigen Aussprache hoben alle Redner die besondere Bedeutung der Erklärung für die deutsch-tschechischen Beziehungen hervor. Die Erklärung mache den Weg frei für einen offeneren Umgang mit der Geschichte. Sie sei nicht nur für die Deutschen und Tschechen gut, sondern für Europa. Einig waren sich auch alle Redner darin, dass diese Erklärung keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit bedeute, sondern ein Schlussstein der Ost-, Entspannungs- und Friedenspolitik sei, wie sie letztendlich von allen deutschen Regierungen gemeinsam getragen wurde. Sie dankten dem Präsidenten der Tschechischen Republik, Václav Havel, der den Anstoß zu dieser gemeinsamen Erklärung gegeben hatte und der dafür im eigenen Land viel Kritik einstecken musste.

Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping, sprach sich dafür aus, den gefundenen Konsens „als eine Chance für die neue Dimension in den Beziehungen unserer beiden Völker“ zu betrachten. „Wir sind nicht frei in der Wahl unserer Geschichte. Aber wir sind frei in der Entscheidung darüber, was wir als Tradition pflegen wollen, und frei in der Entscheidung darüber, wie wir die Zukunft im Interesse unserer Kinder gestalten werden.“, betonte er.

CDU/CSU: Weg der Versöhnung weiter beschreiten

Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, war sich sicher, „dass wir dadurch ein neues Vertrauenssignal nach Europa aussenden. Das ist ganz wichtig in der jetzigen Phase, in der die Weichen für das Europa des 21. Jahrhunderts gestellt werden.“

„Diese Erklärung bildet eine gute Grundlage, auf der wir in Zukunft die Beziehungen unserer beiden Staaten gestalten können.“, unterstrich auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble, und verband damit die Hoffnung, „dass wir auf dieser Grundlage den Weg der Versöhnung weiter beschreiten können und dass dieser Weg uns gut in eine gemeinsame Zukunft führt.“

Grüne: Frieden in der Mitte Europas herstellen

Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) stellte fest: „Selbst in den schwierigsten Momenten der Verhandlungen über diesen Text gab es nie auch nur den Hauch eines Zweifels, dass die überwältigende Mehrheit der Mitglieder dieses Parlaments dem Geist und dem Ziel der gemeinsamen Erklärung zustimmen würde, und das über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Wenn wir diese beiden Momente der Geschichte unserer Demokratie vergleichen, dann können wir daran die Fortschritte messen, die wir insgesamt gemacht haben.“

Weiter stellte sie klar: „Wer ein einheitliches, friedliches Europa will, ein Europa der großen und kleinen Demokratien, der muss zunächst Frieden in der Mitte Europas herstellen. Diesem Frieden, diesem Zur-Ruhe-Kommen in der Mitte des Kontinents dient diese Erklärung.“

PDS vermisst Beteiligung der Parlamente

Auch Dr. Gregor Gysi (PDS) begrüßte die Erklärung, hätte sich aber eine Beteiligung beider Parlamente bei den Verhandlungen gewünscht und kritisierte, dass „die Regierung aber zu jeder Zeit die Funktionäre der sudetendeutschen Landsmannschaft einbezogen hatte, die eigentlich nicht Verhandlungspartner für solche Verhandlungen sind. Ich finde, dass man solche Verhandlungen nicht an einem Parlament vorbei führen darf“.

Der bayrische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber hingegen erklärte: Die Sudetendeutschen hätten stärker in den Dialog um die Verhandlungen über die Deutsch-Tschechische Erklärung einbezogen werden müssen. Die Bayerische Staatsregierung habe sich deshalb während des Gangs der Verhandlungen immer wieder für die berechtigten Anliegen der Sudetendeutschen eingesetzt. Für die Staatsregierung sei es von entscheidender Bedeutung, dass die Erklärung keinen Verzicht auf Individualansprüche, die das Vermögen betreffen, darstelle.

Erklärung mit großer Mehrheit angenommen

Nach namentlicher Abstimmung sprachen sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit großer Mehrheit für die Versöhnungserklärung aus. 577 Abgeordnete stimmten mit Ja, 20 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion dagegen, 23 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion und der PDS enthielten sich. Das tschechische Abgeordnetenhaus verabschiedete die Erklärung nach einer kontrovers geführten viertägigen Debatte am Abend des 14. Februar 1997 mit 131 zu 59 Stimmen.

Auch auf europäischer Ebene wurde die Erklärung begrüßt. So bezeichnete die Europäische Union in einer Presseerklärung am 21. Januar 1997 die Erklärung als entschiedenen und historischen Schritt bei der Schaffung von gut nachbarschaftlichen Beziehungen und der Partnerschaft zwischen einem EU-Mitgliedstaat und einem assoziierten Partner.

Rede von Václav Havel im Bundestag

Der damalige Generalsekretär des Europarates Daniel Tarschys verstand in seiner Presseerklärung vom 22. Januar 1997 die Erklärung als eine Ermunterung für diejenigen, die bislang noch nicht die Last der Geschichte abgestreift haben und in die Gesellschaft der europäischen demokratischen Staaten zurückkehren.

Am 24. April 1997 sprach Václav Havel anlässlich der Deutsch-Tschechischen Erklärung im Bundestag. In der Folge der Erklärung entstandenen der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds und das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum. Mit Mitteln aus dem Fonds werden gemeinnützige Projekte, die die Menschen beider Länder zusammenführen und Einblicke in die Lebenswelten, die gemeinsame Kultur und Geschichte ermöglichen. (klz/24.01.2017)

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