„NSU-Ermittlungen des BKA weitgehend erfolgreich“
Die seit 2011 erfolgten Ermittlungen des Bundeskriminalamts (BKA) zu den Verbrechen der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ waren weitgehend erfolgreich, auch wenn sie mitunter von strukturellen Defiziten geprägt waren. So lautet die Einschätzung des Zeugen Otmar Soukup, der am Donnerstag, 26. Januar 2017, vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU/CSU) als Zeuge ausgesagt hat.
Soukup ist Leitender Kriminaldirektor beim BKA und stand von November 2011 bis August 2012 als Polizeiführer der sogenannten Besonderen Aufbauorganisation „BAO Trio“ vor, die unmittelbar nach der Enttarnung des NSU am 11. November 2011 gegründet worden war, um die bis dato ungeklärten Verbrechen der Terrorgruppe neu aufzurollen. Der NSU wird beschuldigt, zwischen den Jahren 1998 und 2011 insgesamt 10 Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge verübt zu haben.
„Ermittlungen dauern weiter an“
Wie Soukup zu Anfang ausführte, wertete die BAO Trio im Rahmen der Ermittlungen unter anderem rund 7.000 Asservate und eine riesige Datenmenge von sieben Terabyte noch einmal neu aus. Dies sei nur unter hohem Personalaufwand möglich gewesen. Zeitweise arbeiteten für die BAO rund 400 Beamte. Im September 2012 wurde die BAO schließlich zur sogenannten Ermittlungsgruppe „EG Trio“ umstrukturiert und deutlich verkleinert. Die Ermittlungen dauern weiter an.
Auftrag und Ziel der BAO Trio sei es damals gewesen, die einzelnen Fälle im NSU-Komplex möglichst schnell aufzuklären und Beweise für eine Anklage durch den Generalbundesanwalt (GBA) zu liefern. Ein weiterer Schwerpunkt der Ermittlung sei die Suche nach möglichen weiteren Mitgliedern der Terrorgruppe gewesen.
„Chaotische Anfangsphase“
Ebenso sei nach Bezügen der Terrorzelle zur „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) ermittelt worden. Hintergrund dafür sei das damals in Planung befindliche zweite NPD-Verbotsverfahren gewesen, das kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. Trotz umfangreicher Ermittlungen seien aber keine Hinweise auf weitere Täter oder einen direkten NPD-Bezug gefunden worden.
Soukup, der bereits 2016 als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen ausgesagt hat, beschrieb ausführlich die mitunter schwierigen Bedingungen, unter der die BAO zustande kam und arbeiten musste. Er sprach von einer „chaotischen Anfangsphase“, die von häufigen Personalwechseln geprägt war. Auch habe es zunächst an qualifizierten Kräften gemangelt, insbesondere aus dem Bereich des polizeilichen Staatsschutzes.
„Gute Ergebnisse erzielt“
Überrascht habe ihn damals, dass von Seiten des Bundesgerichtshofs bereits nach einem halben Jahr der Ermittlungen ein sogenannter Beschleunigungsgrundsatz ausgerufen wurde, um möglichst schnell ein Strafverfahren einleiten zu können, sagte Soukup. Das sei seiner Erfahrung nach ungewöhnlich gewesen und habe den Arbeitsdruck auf die BKA-Ermittler noch einmal deutlich erhöht.
Der auch im Ausschuss des Bundestages bereits mehrfach geäußerte Vorwurf, dies habe zu einer vorschnellen Verengung der Ermittlungen auf das NSU-Kerntrio geführt, wies Soukup zurück. „Wir sind mit einer großen Offenheit an die Ermittlungen gegangen“, sagte er. Im Rahmen der Möglichkeiten sei man bemüht gewesen, die Ermittlungen soweit auszudehnen wie irgend möglich und habe dabei gute Ergebnisse erzielt.
„Bisher keine eklatanten Ermittlungsfehler“
Dies habe sich auch in einer anschließenden Revision der Ermittlungsergebnisse sowie im laufenden Strafprozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des NSU am Oberlandesgericht München bestätigt. Bisher seien keine eklatanten Ermittlungsfehler zutage getreten, die zu einer Neubewertung der im Rahmen der BAO Trio gewonnen Erkenntnisse geführt hätten.
Verbesserungsbedarf sah Soukup dagegen unter anderem bei den technischen Voraussetzungen der Datenanalyse und Kommunikation zwischen den Polizeibehörden. So würden die einzelnen Landeskriminalämter unterschiedliche Datenverarbeitungssysteme verwenden, die mitunter nicht kompatibel seien. Eine zentrale Auswertung der Daten von den bundesweiten Tatorten des NSU sei mitunter nur unter hohem Aufwand möglich gewesen. Dieses Problem bestünde auch nach wie vor und werde erst nach und nach behoben, sagte Soukop.
Offene Ermittlungsstränge im NSU-Komplex
Die Abgeordneten konfrontierten Soukup mit einer ganzen Reihe von Ermittlungsansätzen, die dem Urteil des Ausschusses nach noch nicht ausermittelt worden sind. Ein Thema war dabei einmal mehr der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, die im April 2007 in Heilbronn mutmaßlich von den NSU-Mitgliedern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen worden ist. Der Mordfall sei weiterhin „ein offenes Buch mit vielen Fragezeichen“, sagte SPD-Obmann Uli Grötsch.
Der Ausschuss hat die bisherigen Ermittlungsergebnisse, nach denen die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die alleinigen Täter waren, in der Vergangenheit mehrfach kritisch hinterfragt. In Bezug auf den Heilbronner Mordfall beschäftigte sich der Ausschuss unter anderem mit den Aussagen mehrerer Zeugen, die unabhängig voneinander mehrere Täter gesehen haben und die ein zuständiger Kriminalbeamter vor dem Ausschuss als glaubhaft beschrieben hat. Zwischenzeitlich waren die Ermittler in Heilbronn von bis zu sechs Tätern ausgegangen.
Klärungsbedarf bei DNA-Funden
Der Vorsitzende Binninger wies darauf hin, dass an keinem der NSU-Mordtatorte DNA von Mundlos und Böhnhardt gefunden worden sei, dafür aber zahlreiche anonyme DNA-Spuren, die bis heute keiner Person zugeordnet werden können. Insbesondere verwies er auf zwei DNA-Funde, einer männlichen und einer weiblichen Spur, die an der Kleidung des Mordopfers Kiesewetter und ihres bei dem Überfall lebensgefährlich verletzten Kollegen Martin Arnold sicher gestellt worden sei.
Da die Täter nach den Schüssen auf Kiesewetter und Arnold nachweislich an ihre Opfer herantraten, um ihnen unter anderem die Dienstwaffen zu entwenden, liegt die Vermutung nahe, dass die Spuren von ihnen stammen könnten. Binninger fragte Soukup, warum gerade diese Spuren nicht abschließend untersucht worden seien.
Der zuständige Einsatzabschnitt sei vom BKA geschlossen worden, noch bevor die Überprüfung der Spuren abgeschlossen gewesen sei. Soukup war dieser Umstand nicht bekannt: „Wer die Entscheidung getroffen hat, das zu stoppen, kann ich Ihnen nicht sagen.“ Der Ausschuss fordert schon seit Längerem eine Komplettrevision des DNA-Spurenkomplexes und der an den Tatorten erhobenen Funkzellendaten.
„Hypothese hat sich nicht bestätigt“
Wie Soukup deutlich machte, teilt er die Zweifel an der alleinigen Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos nicht. Hinweise auf weitere Mittäter seien intensiv geprüft worden, hätten sich aber letztendlich nicht erhärtet. Auch die lange gehegte Hypothese, dass es sich bei dem Heilbronner Polizistenmord um eine Beziehungstat oder einen gezielten Racheakt handeln könnte, habe sich nicht bestätigt.
Ein Grund für diese Annahme war, dass Kiesewetter und die NSU-Täter aus derselben Region in Thüringen stammen. Den Ermittlungsergebnissen nach waren Kiesewetter und Arnold Zufallsopfer. Welche Bezüge der NSU nach Heilbronn und zu den weiteren neun Mordtatorten hatte und wie er seine Anschlagsziele im Einzelnen auswählte, sei weiterhin ungeklärt, bestätigte Soukup.
Kritik an Ermittlungen mit „angezogener Handbremse“
Obfrau Petra Pau (Die Linke) kritisierte, gerade gegen V-Personen des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU sei zuweilen nur mit angezogener Handbremse ermittelt worden. Sie verwies unter anderem auf einen im NSU-Komplex bereits hinreichend bekannten Kölner Neonazi und langjährigen V-Mann des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, der zwischenzeitlich mit einem der Sprengstoffanschläge des NSU in Verbindung gebracht worden ist.
Trotz eines Hinweises des Bundesamts für Verfassungsschutz auf eine mögliche Mittäterschaft des V-Manns bei dem Anschlag, sei nicht einmal eine Woche lang gegen ihn ermittelt worden. Vorhandene Lichtbilder des Verdächtigen seien nicht in die Ermittlungen eingeflossen, auch sei er nie persönlich vernommen worden. Warum das in diesem Fall nicht geschehen ist, konnte auch Soukup nicht sagen. (fza/27.01.2016)