1. Untersuchungsausschuss

Altmaier: BND-Präsident wegen Abhörens von Freunden zur Rede gestellt

Logos von NSA und BND unter einer Lupe

Kanzleramtsminister Peter Altmaier im NSA-Untersuchungsausschuss; im Hintergrund der Vorsitzende Patrick Sensburg (dpa)

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) ist nach eigenen Worten erstmals im Frühsommer 2014 der Vermutung nachgegangen, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) auch Einrichtungen befreundeter Staaten abgehört haben könnte. Zwei Mal habe er den damaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler auf das Thema angesprochen, berichtete Altmaier am Montag, 13. Februar 2017, vor dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA) unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU).

Informationen eines BND-Mitarbeiters

Schindler habe den Verdacht indes beide Male energisch von der Hand gewiesen. Umso unangenehmer sei er überrascht gewesen, sagte Altmaier, als er im März 2015 die Vermutung bestätigt fand. Der heute 58-Jährige hatte die Leitung des Kanzleramts am 17. Dezember 2013 von seinem Vorgänger Ronald Pofalla (CDU) übernommen.

In einer einleitenden Erklärung erinnerte der Zeuge an die Affäre um den BND-Mitarbeiter Markus R., der in der Zentrale in Pullach für US-Geheimdienste gespitzelt hatte. Er war im Frühsommer 2014 enttarnt und festgenommen worden. Nach Altmaiers Worten hatte R. seinen Auftraggebern unter anderem Informationen übermittelt, „aus denen man schließen konnte, dass in Deutschland auch Freunde abgehört wurden“.

„Telefonate befreundeter Politiker“

Genauer gesagt habe es sich um „Telefonate befreundeter Politiker“ gehandelt, die der BND belauscht habe. Darüber hinaus war Altmaier damals bereits bekannt, dass der BND vor seiner Amtszeit in zwei oder drei Fällen Botschaften von EU-Ländern überwacht habe. Dies hatte Schindler seinem Vorgänger Pofalla Ende Oktober 2013 mitgeteilt.

Altmaier stellte daraufhin den BND-Präsidenten zwei Mal zur Rede: „Ich habe Schindler befragt, ob es weitere Dinge gibt, die ich wissen müsse, weitere Fälle, wo wir Freunde abhören. Schindler hat das beide Male verneint.“ Dies sei sein Kenntnisstand gewesen, bis ihn am Abend des 13. März 2015 auf einer Veranstaltung in Köln ein Anruf seines Geheimdienstbeauftragten, Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, erreicht habe.

„Urteilen, nicht verurteilen“

Dieser habe mitgeteilt, dass beim BND eine umfangreiche Liste mit Telekommunikationsmerkmalen von Einrichtungen befreundeter Staaten vorliege, die die amerikanische National Security Agency (NSA) in der Abhöranlage in Bad Aibling eingesetzt hatte: „Mir war sofort klar, dass das eine sehr bedeutsame Angelegenheit war, weil im Gegensatz zur Politik der Bundesregierung.“

Der Zeuge berichtete, wie er eine Woche später die BND-Zentrale in Pullach aufsuchte, um sich eingehend informieren zu lassen. Den zuständigen Mitarbeitern habe er erklärt, er sei gekommen, um zu urteilen, nicht, um zu verurteilen. Allerdings sei dies jetzt die „Gelegenheit, alles, aber auch alles auf den Tisch zu legen“. Es wäre „nicht glücklich, wenn wir hinterher von neuen Dimensionen überrascht würden“.

„BND, Verfassungsschutz und MAD gehören zu den Guten“

Das Gespräch in Pullach habe mehrere Stunden gedauert. In anschließenden vierwöchigen Ermittlungen sei allmählich das ganze Ausmaß der BND-Aktivitäten gegen befreundete Ziele ans Licht gekommen: „Ich war von der Existenz einer so umfangreichen Liste mit BND-eigenen problematischen Selektoren überrascht und habe das auch so nicht gebilligt.“ Staatssekretär Fritsche sei ebenfalls „sehr unangenehm überrascht“ gewesen.

Mittlerweile freilich sei den Missständen so weit abgeholfen, „dass wir heute davon ausgehen, dass wir den Anspruch, Freunde nicht abzuhören, auch leben“, betonte der Zeuge, der zudem eine Lanze für die seiner Aufsicht unterstellten Geheimdienste brach: „Ich bin fest davon überzeugt, dass BND, Verfassungsschutz und MAD zu den Guten und nicht zu den Bösen gehören, und dass die Mitarbeiter sich dem demokratischen Rechtsstaat verpflichtet fühlen.“

Ausspähung von EU- und Nato-Partnern ausgeschlossen

Zuvor hatte Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche dem Ausschuss mitgeteilt, dass die Bundesregierung nicht davon ausgehe, dass der BND heute noch Ziele mit Bezug zu Partnerstaaten in EU- und Nato ausspäht. „Nach allem, was ich im Kontakt mit dem BND gesehen habe, kann ich das ausschließen“, versicherte der Geheimdienstbeauftragte der Bundesregierung.  

Es seien mittlerweile Vorkehrungen getroffen worden, um die im Frühjahr 2015 festgestellten Defizite beim BND zu beheben. Fritsche betonte, dass die Verwendung fragwürdiger Suchmerkmale in der strategische Fernmeldeaufklärung des deutschen Auslandsgeheimdienstes seiner Ansicht nach keine bewusste Kompetenzüberschreitung darstellte.

„Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mitbedacht“

Allerdings sei es wohl so gewesen, dass die zuständigen Mitarbeiter ihre Tätigkeit „nicht kritisch genug betrachtet“ hätten. Es habe unter ihnen offenbar die „Kultur“ geherrscht, „dass man vor dem Hintergrund des Auftragsprofils Selektoren eingesetzt hat, die man für richtig hielt“. Dabei sei der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mitbedacht“ worden. Ein Problem sei wohl auch gewesen, dass Mitarbeiter in Außenstellen auf eigene Faust neue Suchmerkmale generiert hätten, ohne dies mit irgendjemandem abzusprechen.

Als schließlich im Herbst 2013 in der zuständigen Abteilung Technische Aufklärung (TA) nach und nach ans Licht kam, dass sowohl die amerikanische National Security Agency (NSA) in der Abhöranlage in Bad Aibling als auch der BND selbst politisch fragwürdige Suchbegriffe eingesetzt hatten, sei offenbar nicht einmal der Abteilungsleiter eingeweiht worden.

„Falsche Bewertung seitens der Mitarbeiter“

Fritsche gab zu verstehen, dass dies seiner Ansicht nach nicht in böser Absicht geschehen sei: „Ich glaube nicht, dass man in der Abteilung was unter den Teppich kehren wollte.“ Vielmehr hätten die Beteiligten „gedacht, dass man in vielen Bereichen APB-konform“, also in Übereinstimmung mit dem Auftragsprofil, handelte, das die Bundesregierung dem deutschen Auslandsgeheimdienst vorgeschrieben hat. So wurden, wie dem Ausschuss frühere Zeugen berichtet haben, Botschaften verbündeter Länder in Krisenregionen überwacht in der Hoffnung, über die jeweiligen Regionen etwas zu erfahren.

In seiner Vernehmung machte Fritsche deutlich, dass ein solches Vorgehen seiner Ansicht nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht entspreche. Dies sei mittlerweile auch klargestellt. Das Problem sei eine „falsche Bewertung seitens der Mitarbeiter“ gewesen, „was APB-konform sein könnte“. In der Folge habe es daher beim BND „Umsetzungen, Versetzungen“, auch Einschnitte in „berufliche Karrieren“ gegeben, „aber keinen Grund zu disziplinarischen Maßnahmen“.

„Überrascht von der Selbstständigkeit einzelner Sachbearbeiter“

Fritsche erinnerte sich genau, wann er selber erstmals von fragwürdigen Abhörpraktiken beim BND erfahren hatte. Es war Freitag, der 13. März 2015. Er sei an diesem Tag nach Rückkehr von einer Auslandsreise telefonisch zu einer Besprechung ins Kanzleramt gebeten worden, wo von einer umfangreichen Liste politisch heikler NSA-Selektoren die Rede gewesen sei, die erstmals ausgedruckt vorlag.

Kanzleramtschef Peter Altmaier habe daraufhin entschieden, persönlich in der BND-Zentrale nach dem Rechten zu sehen. Von diesem Besuch in Pullach am 20. März 2015 berichtete Fritsche, er selber sei „überrascht“ gewesen, vor allem von der „Selbstständigkeit, die einzelne Sachbearbeiter hatten“. Altmaier habe über die Zustände beim BND geäußert, „dass er sich so was nicht vorstellen konnte“.

„Der Bundeskanzlerin ging es um grundsätzliche Fragen“

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in seiner Vernehmung durch den Ausschuss, die Bundesregierung habe die Snowden-Affäre im Sommer und Herbst 2013 als schwere Vertrauenskrise wahrgenommen. Dies sei damals die Hauptsorge Angela Merkels gewesen: „Der Bundeskanzlerin ging es wirklich nie in erster Linie um ihr Handy, sondern um ganz grundsätzliche Fragen.“

Weiteren Vertrauensverlust zu vermeiden, Vertrauen zurückzugewinnen, wo es gestört gewesen sei, das habe aus Sicht der Regierung für das Verhältnis zum wichtigsten Bündnispartner USA gegolten, aber auch zu den Bürgern in Deutschland, die sich zu Recht gefragt hätten, ob hierzulande noch deutsche Gesetze zu befolgen seien, und wie gegebenenfalls mit ihren eigenen Daten umgegangen werde.

„Bundeskanzlerin braucht keinen Souffleur

Seibert mochte sich auf einen Vorhalt des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) hin nicht eindeutig zu der Frage äußern, ob er womöglich der Urheber des mittlerweile geflügelten Kanzlerinnen-Wortes war: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Er wies darauf hin, dass Merkel „ja keinen Souffleur“ brauche.

Sie habe mit diesem Satz, den sie im Sommer und Herbst 2013 mehrfach aussprach, ihre „sehr tiefe eigene Überzeugung formuliert“. Nachdem mittlerweile die Spitzelaktivitäten des BND ins Rampenlicht gerückt sind, sei ja auch klar, wie anspruchsvoll der Satz im Grunde sei. Er stehe weiterhin zu Merkels damaliger Festlegung, meinte Seibert, die er in mehreren Pressekonferenzen ja auch selber „variiert“ habe.

„Verschwendung von Zeit und Energie“

Tatsächlich war Seibert wohl der Erste gewesen, der die Formulierung überhaupt benutzt hatte, und zwar in der Regierungspressekonferenz vom 1. Juli 2013. Damals war es um die Frage gegangen, ob die NSA Botschaften europäischer Länder und EU-Einrichtungen abgehört hatte. Wenn sich das bestätige, „dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden ist inakzeptabel. Das geht gar nicht“, hatte dazu der Kommentar des Regierungssprechers gelautet. Erst knapp drei Wochen später, am 19. Juli 2013, hatte sich Merkel erstmals ähnlich eingelassen mit den Worten, „dass man das unter Freunden nicht macht. Das geht nicht.“

Seibert wies darauf hin, dass die Kanzlerin gegenseitige Spitzelaktivitäten befreundeter Staaten nicht zuletzt für eine „totale Verschwendung von Zeit und Energie“ gehalten habe. Zur Klärung des Ursprungs der berühmten Formulierung, die den Ausschuss über zahlreiche Sitzungen hinweg immer wieder beschäftigt hat, vermochte er im Übrigen nichts beizutragen: „Ich kann mich wirklich nicht erinnern, wie es zu diesem Satz kam.“ Sollte er ihn tatsächlich als Erster ausgesprochen haben, so hätte er damit schlicht das „originäre Gefühl“ der Kanzlerin in Worte gefasst sowie das „Leitbild unserer Politik“ in der Snowden-Affäre.

„Besserer Kooperationsrahmen mit amerikanischen Partnern“ 

Vordringliches Anliegen sei damals die vollständige Aufklärung der Vorwürfe gegen die NSA gewesen, darüber hinaus auch das Bestreben, einen „besseren Kooperationsrahmen mit den amerikanischen Partnern“ herzustellen. Es sei darum gegangen, ein Verhältnis zu schaffen, das „stärker, als es in der Vergangenheit der Fall war, dem Status von Freunden und Partnern entspricht“.

Diesem Ziel hätten im Spätsommer und Herbst 2013 Verhandlungen über einen gegenseitigen Spionageverzicht unter dem Stichwort „no spy“ gegolten. Wie mehrere ranghohe Zeugen vor ihm, äußerte sich Seibert überzeugt, die deutsche Seite habe bis Anfang 2014 Grund zu der Hoffnung gehabt, ein solches Abkommen werde zustande kommen. (wid/14.02.2017)

Liste der geladenen Zeugen

  • Peter Altmaier, Minister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes
  • Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär, Geheimdienstbeauftragter der Bundesregierung
  • Steffen Seibert, Regierungssprecher

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