Parlament

Fragestunde: Martina Renners Fragen zur Abhörpraxis des BND

Ob die Nachrichtenagentur Reuters, die britische BBC oder die New York Times – der Bundesnachrichtendienst (BND) soll einem Bericht des „Spiegels“ zufolge seit 1999 im Ausland Redaktionen überwacht haben. Für Opposition ein klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit: So fordert Martina Renner, Obfrau der Fraktion Die Linke im NSA-Untersuchungsausschuss, die Bundesregierung müsse „insbesondere den Bereich der technischen Aufklärung des BND einer unabhängigen und ernsthaften Revision unterziehen“.

In der Fragestunde des Bundestages am Mittwoch, 8. März 2017, wollte die Geheimdienstexpertin zudem wissen, wie die Bundesregierung die Abhörpraxis des deutschen Auslandsgeheimdienstes gegenüber Journalisten bewertet und verhindern will, dass diese weiterhin regelmäßig bespitzelt werden. Dass dies zufällig geschah, kann sich Renner nicht vorstellen: „Die Steuerung der fragwürdigen Selektoren gegen Journalisten, aber auch gegen Regierungen im befreundeten Ausland, gegen Parlamente, Nichtregierungsorganisationen und Botschaften war gezielt.“

Im Interview kritisiert die Thüringer Abgeordnete das neue BND-Gesetz, das ausländische Journalisten nicht vor Ausspähung schütze, und pocht auf das Recht der Presse- und Meinungsfreiheit. Dieses sei ebenso wie das Zeugnisverweigerungsrecht universell gültig – und nicht an deutschen Boden gebunden. Das Interview im Wortlaut:


Frau Renner, durch Ihre Arbeit im NSA-Untersuchungsausschuss kennen Sie sich mit illegalen Überwachungsaktionen des BND aus. Waren Sie von den neuesten Enthüllungen noch überrascht?

Nein, überrascht war ich nicht. Wir haben uns mehrmals im Untersuchungsausschuss mit der aus meiner Sicht rechtswidrigen Überwachung von Journalisten befasst – so etwa mit dem Fall der Spiegel-Reporterin Susanne Koelbl, die in Afghanistan sechs Monate vom BND ausgespäht wurde. Auch im Zusammenhang mit den Selektoren, die der Nachrichtendienst einsetzt, haben wir uns damit beschäftigt, inwieweit er auch Journalisten bespitzelt – oder sie sogar gezielt als Suchbegriffe steuert.

Clemens Binninger, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, hält die Empörung der Opposition für übertrieben. Es sei seit Monaten bekannt, „dass in der Vergangenheit auch Medien in die strategische Fernmeldeaufklärung geraten waren“, so der CDU-Geheimdienstexperte.

Ich halte unsere Empörung für sehr berechtigt – aus zwei Gründen: Die Berichterstattung im „Spiegel“ legt zum einen nahe, dass in den Dokumenten, die uns der BND als Untersuchungsausschuss vorgelegt hat, entsprechende Hinweise auf diese Überwachungsmaßnahmen fehlten. Entweder waren die Unterlagen, die wir einsehen konnten, unvollständig oder die Überwachungsmaßnahmen fanden in einem Zeitraum nach 2015/2016 statt. Das würde bedeuten, dass die Überwachung der Korrespondenten erst jetzt begonnen hat. Die Frage lautet also ganz konkret: Wurden wir richtig und vollständig informiert?

Und der zweite Grund?

Es geht außerdem um eine politische Frage: Derzeit nehmen viele Kollegen, auch aus anderen Fraktionen im Bundestag, den Fall von Deniz Yücel, dem in der Türkei inhaftierten „Welt“-Korrespondenten, zum Anlass, sich unter dem Stichwort „Journalismus ist kein Verbrechen“ zu positionieren. Tatsächlich ist es eine Kernfrage, wie sich eine Demokratie und ein Rechtsstaat zur Pressefreiheit verhält. Keinesfalls dürfen wir zweierlei Maß zulassen: Wir können nicht einerseits mit dem Finger auf die Türkei zeigen und sie für ihren Umgang mit der Presse kritisieren, andererseits zulassen, dass der BND ausländische Journalisten überwacht.

Weil es die Pressefreiheit untergräbt?

Ja, die Überwachung ist ein massiver Eingriff. Journalisten müssen ohne Beobachtung durch staatliche Stellen – und vor allem durch Geheimdienste  – arbeiten können. Dazu gehört, dass sie vertraulich mit ihren Informanten kommunizieren können. Das ist genauso essenziell wie das Zeugnisverweigerungsrecht.

Journalisten genießen hierzulande als sogenannte Berufsgeheimnisträger ähnlich wie Ärzte oder Anwälte einen besonderen Schutz vor Eingriffen des Staates. Das novellierte BND-Gesetz, das am 31. Dezember in Kraft getreten ist, enthält aber keine speziellen Schutzvorschriften für Journalisten…

…und das kritisiert der Verband „Reporter ohne Grenzen“ auch scharf. Zwar ist er im Dezember vor dem Bundesverwaltungsgericht mit seiner Klage gegen das neue BND-Gesetz gescheitert, er wird nun aber weiter vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Im Kern geht es hier um eine weitere wichtige Frage: Gelten Rechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit oder das Zeugnisverweigerungsrecht universell, oder sind sie an deutschen Boden gebunden? Nach unserer Auffassung sind sie international normiert. Die Presse muss frei sein – egal ob ihre Vertreter einen deutschen oder ausländischen Pass besitzen, egal ob sie in Deutschland oder im Ausland arbeiten. Wie wenig zeitgemäß und funktional diese Zweiteilung ist, zeigt sich auch, wenn man sich vor Augen hält, dass Journalisten von großen Medien Teil internationaler Rechercheverbünde sind. Ohne diese Zusammenarbeit wären zum Beispiel die „Panama Papers“-Enthüllungen unmöglich gewesen.

Dass die BND-Novelle keine Schutzvorschriften für Journalisten enthält, ist also kein Zufall?

Man wusste natürlich, wie sensibel dieser Bereich ist. Deshalb wurde es tunlichst vermieden, klare Schutznormen zu formulieren, damit die Praxis des Bundesnachrichtendienstes künftig nicht mehr mit dem Gesetz kollidiert.

Geschah Ihrer Einschätzung nach die Bespitzelung der ausländischen Journalisten, über die der Spiegel nun berichtet hat, eher zufällig – oder gezielt?

Aufgrund der streng geheimen Arbeitsbedingungen, unter denen uns Abgeordneten die Unterlagen beim BND zur Einsicht vorgelegt wurden, darf ich hier nicht ins Detail gehen. Doch nach der Durchsicht der Dokumente würde ich schon zu dem Ergebnis kommen, dass die Steuerung dieser fragwürdigen Selektoren gegen Journalisten, aber auch gegen Regierungen im befreundeten Ausland, gegen Parlamente, Nichtregierungsorganisationen und Botschaften gezielt war. Die einzelnen Personen oder Institutionen sind nicht zufällig als Beifang in die Datenspeicher des Bundesnachrichtendienstes geraten.

Sie wollen von der Bundesregierung wissen, wie sie verhindern will, dass Journalisten weiterhin überwacht werden. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sich etwas ändert? Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust nannte derlei Praxis des BND „so rechtswidrig wie üblich“.

Als Parlamentarier verletzten wir unsere Kontrollpflicht, wenn wir – nur weil in der Vergangenheit Kritik noch nicht zur Behebung von Missständen geführt hat – aufhören würden, uns zu Wort zu melden. Wir bleiben natürlich dran. Und wenn wir nicht Gehör finden, dann wird – wie im Fall des novellierten BND-Gesetzes – eben das Bundesverfassungsgericht deutlich machen müssen, wo die Grenzen der Überwachung auch für einen Geheimdienst liegen.

(sas/08.03.2017)

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