„Kein MINT-Talent soll verloren gehen. Jeder soll passgenau gefördert werden.“ Das forderte Dr. Sven Baszio, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Jugend forscht, beim öffentlichen Fachgespräch zum Thema „MINT-Bildung in Deutschland“ am Mittwoch, 8. März 2017, im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Leitung von Patricia Lips (CDU/CSU). Unter MINT-Fächern versteht man die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
„Neugierde erhalten“
Baszio unterstrich, dass der Wettbewerb „Jugend forscht“ seit 1965 MINT-Förderung betreibe und sich mehr als eine Viertelmillion Kinder und Jugendliche seitdem an dem Wettbewerb beteiligt hätten. Er forderte, diese Fächer im Bildungswesen mehr als bisher zu etablieren. Schulische und außerschulische Forschungsmöglichkeiten müssten zusammengebracht werden.
Jenseits der Förderung im MINT-Bereich sei es auch wichtig, die Neugierde der zu erhalten, betonte Michael Fritz, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Möglichkeiten sich in MINT-Fächern auszuprobieren, hinterließen Spuren in den Köpfen der Kinder. Die heute Sechsjährigen seien noch 2080 im Beruf. „Niemand kann sich vorstellen, wie dann die Anforderungen sein werden“, betonte Fritz.
„Bildungssystem hält mit der Entwicklung nicht Schritt“
Alle müssten sich auf eine drastische Beschleunigung der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft einstellen. Das betonte Stephan Noller, Mitgesellschafter der Computerfirma Calliope in Berlin. Derzeit halte das Bildungssystem mit dieser Entwicklung nicht ausreichend Schritt. Sowohl im Einsatz digitaler Mittel, um den Unterricht interessanter und individueller zu gestalten, als auch bei der direkten Vermittlung digitaler Kenntnisse und Fertigkeiten werde zu wenig getan.
Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer, bis 2003 Professor für Erziehungswissenschaft am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen, begrüßte ebenfalls die Initiative für mehr MINT-Förderung im Bildungswegen. Er betonte, dass dadurch aber nicht die übrigen und insbesondere künstlerischen Schulfächer aus dem Blick geraten dürften. Es gebe wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es eine „konstitutive Wechselbeziehung zwischen künstlerischen und MINT-Fächern gibt“, betonte Rittelmeyer.
„Frauen in deutschen Innovationssystemen unterrepräsentiert“
Dr. Nathalie von Siemens, Sprecherin des Nationalen MINT-Forums, forderte eine Allianz für Qualitätssicherung, die Erarbeitung einheitlicher, akzeptierter Qualitätskriterien sowie die Finanzierung von MINT-Bildungsforschung und Begleitforschung. Das Nationale MINT-Forum vertritt über 30 nicht profitorientierte Institutionen und Vereinigungen.
Obwohl MINT-Fächer für zukünftiges Innovations- und Wachstumspotenzial stünden, seien die Frauen in den deutschen Innovationssystemen unterrepräsentiert, unterstrich Dr. Ulrike Struwe, Geschäftsführerin der Geschäftsstelle des Kompetenzzentrums Technik - Diversity - Chancengleichheit der Fachhochschule Bielefeld und Leiterin der Geschäftsstelle Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen. Es gehe insgesamt darum, mehr Frauen für MINT-Fächer zu gewinnen. Interessierte Mädchen würden zu oft Entmutigungserfahrungen machen. Deutschland sei auf das Potenzial gut ausgebildeter Frauen auch in MINT-Fächern dringend angewiesen.
Nur 17,8 Prozent Frauen im IT-Bereich
Prof. Dr. Heike Wiesner, Hochschullehrerin für Betriebliche Informations- und Kommunikationssysteme an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, betonte, dass laut einer europäischen Studie durch die Beschäftigung von mehr Frauen im IT-Bereich das gesamte Bruttoinlandsprodukt für Europa um neun Milliarden Euro steigen könnte. Derzeit würden lediglich 17,8 Prozent der Frauen in Deutschland im IT-Bereich arbeiten. Dieser Anteil liege unter dem EU-Durchschnitt. Sie bemängelte, dass Frauen in der Fachkultur von MINT-Fächern oft nicht willkommen geheißen würden. Das müsse sich dringend ändern.
Zum Thema lagen dem Ausschuss Anträge von CDU/CSU und SPD (18/11164) sowie von Bündnis 90/Die Grünen (18/11179) vor. Die Koalitionsfraktionen wollen, dass die „MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt“ gefördert wird.
Antrag von CDU/CSU und SPD
Union und SPD fordern die Förderung von naturwissenschaftlicher Kompetenz von der frühkindlichen Bildung über die Schule, die berufliche Bildung sowie die Hochschule bis hin zur berufsbegleitenden Weiterbildung, denn „kein Talent soll verloren gehen“. MINT-Bildung lege einen Grundstein für einen reflektierten Umgang mit technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Derzeit fehlt aus Sicht der Koalition ein strategisches Gesamtkonzept zum Thema MINT-Bildung. Die Fraktionen fordern Bund und Länder auf, sich mit den maßgeblichen Akteuren im MINT-Bereich an einen Tisch zu setzen mit dem Ziel, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit nach zuverlässigen und nachhaltigen Wegen zu suchen, um die MINT-Bildung flächendeckend, systematisch und nachhaltig im Lebenslauf der Heranwachsenden zu adressieren.
Dabei sollten institutionelle und außerinstitutionelle Angebote sinnvoller miteinander verzahnt werden, heißt es in dem Antrag. Es gelte, einmal gewecktes Interesse wachzuhalten und weitere Optionen aufzuzeigen.
Antrag der Grünen
Die Grünen treten in ihrem Antrag für ein „gerechtes und innovatives Deutschland 2030“ ein. Aus den Ergebnissen der Pisa-Studie 2015 solle „endlich die richtige Bildungsoffensive“ erarbeitet werden. Solange die Verfassung eine echte Kooperation von Bund und Ländern in Bildungsfragen noch nicht ermögliche, solle die Regierung die Qualitätsoffensive Lehrerbildung in der zweiten Förderrunde stärker auf individuelles Fördern und produktives Umgehen mit Verschiedenheit ausrichten. Dazu müsse auch das Vermitteln von Selbstlernkompetenzen gestärkt werden, da das lebensbegleitende Lernen in der digitalen Welt zukünftig immer stärker zeit- und ortsunabhängig stattfinden werde.
Die Länder sollten dabei unterstützt werden, heißt es weiter, mit multiprofessionellen Teams an allen Schulen auf die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen und ihre individuellen Lern- und Lebensbedürfnisse besser eingehen zu können.
Weitere Materialien zum Fachgespräch
In das Fachgespräch einbezogen wurden auch der Wegweiser des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für MINT-Förderung und Karrieren in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik mit dem Titel „Perspektive MINT“ vom Juni 2012, das „MINT-Nachwuchsbarometer 2015 – Fokusthema: Berufliche Ausbildung“ der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Körber-Stiftung, die bundesweite Bestandsaufnahme regionaler Netzwerke für die MINT-Bildung mit dem Titel „MINT-Regionen in Deutschland“ der Körber-Stiftung, das MINT-Aktionsprogramm „MINT-Bildung: Voraussetzung für Innovation, Wohlstand und gesellschaftliche Aufklärung“ vom Juni 2015 und der „MINT-Herbstreport 2016 – Bedeutung und Chancen der Zuwanderung“ des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln vom 30. November 2016.
Zu dem Fachgespräch lag ebenfalls die Broschüre „MINT-Maßnahmen des BMWi und seiner nachgeordneten Behörden“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) vor. Sie enthält eine Übersicht zu aktuell (Stand: Januar 2017) im Geschäftsbereich des BMWi durchgeführte oder in Planung befindliche Maßnahmen und Aktivitäten. (rol/15.03.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Sven Baszio, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Jugend forscht e.V., Hamburg
- Michael Fritz, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, Berlin
- Stephan Noller, Mitgesellschafter der Computerfirma Calliope gGmbH, Berlin
- Prof. i. R. Dr. Christian Rittelmeyer, Professor für Erziehungswissenschaft am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen bis 2003, Kassel
- Dr. Nathalie von Siemens, Sprecherin des Nationalen MINT-Forums, Berlin
- Dr. Ulrike Struwe, Geschäftsführerin der Geschäftsstelle des Kompetenzzentrums Technik – Diversity – Chancengleichheit e. V., Leiterin der Geschäftsstelle Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen, Bielefeld
- Prof. Dr. Heike Wiesner, Professur für Betriebliche Informations- und Kommunikationssysteme, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), Berlin