Teilhabe: Menschen mit Beeinträchtigungen haben es immer noch schwer
Menschen mit Beeinträchtigungen haben es in Deutschland noch immer schwer, wenn es um gleichberechtigte Teilhabe geht. Das wurde deutlich in der Debatte über den „Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen“ (18/10940) am Freitag, 24. März 2017, im Deutschen Bundestag. Aus dem Bericht geht unter anderem hervor, dass der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen, die erwerbstätig sind, von 2005 bis 2013 um acht auf 49 Prozent gestiegen ist. Dennoch seien die Chancen zur Teilhabe immer noch ungleich verteilt, heißt es; die Arbeitslosenquote von Menschen mit Beeinträchtigungen sei deutlich höher als die von Menschen ohne Behinderungen. Damit Menschen mit Behinderungen selbstbestimmter leben und stärker am Arbeitsleben teilnehmen können, hat der Bundestag im Dezember 2016 ein Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Der Teilhabebericht wurde zur Beratung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Regierung: In Sachen Inklusion ist noch viel zu tun
Der Bericht zeige, dass das Ziel, dass Menschen mit Beeinträchtigungen genauso leben und arbeiten können wie die ohne, „noch nicht erreicht“ worden sei, auch wenn die Situation „schon besser“ geworden sei, sagte die parlamentarische Staatssekretärin für Arbeit und Soziales Gabriele Lösekrug-Möller (SPD). Wer ganz besonders stark beeinträchtigt sei, der habe es „besonders schwer“ - und dies sei „nicht in Ordnung“.
Mit dem Bundesteilhabegesetz und dem Gleichstellungsgesetz sei schon viel erreicht worden, es bleibe aber „noch viel zu tun“. Auch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sei „eine Aufgabe für alle“ - die Regierung sei dabei, „immer mehr ohne Barrieren zu machen“.
Behindertenbeauftragte: Wahlrechtsreform ist nötig
Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, sagte, Teilhabe bedeute die aktive Gestaltung durch und von Menschen mit Behinderungen der Gesellschaft; dafür bräuchten sie Hilfe - und das Recht, sich zu entscheiden und zu wählen. Das hätten aber nicht alle, die rund 81.000 Menschen mit rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheiten hätten weder ein aktives noch ein passive Wahlrecht. „Das darf definitiv nicht sein.“
Sie bitte daher um eine Reform des Wahlrechts, so Bentele. Der Teilhabebericht sei allen „vor allem im Wahljahr“ ans Herz gelegt; es sei noch viel zu tun.
CDU/CSU: Inklusion ist Gemeinschaftsaufgabe
Uwe Schummer, Arbeitspolitiker der Union, sagte, in Sachen Inklusion laufe es bei Kindern gut; dafür spräche die Tatsache, dass 91 Prozent der Kinder mit Behinderungen in Regel-Kindertageseinrichtungen gingen. Dieser Anteil sinke in den Schulen; dies müsse sich ändern. Er sei jedoch dagegen, Förderschulen per se zu verurteilen, so Schummer. Auch dort werde „guter pädagogischer Unterricht“ gehalten. Es gehe darum, zu differenzieren. Wenn es um die Umsetzung der Behindertentrechtskonvention gehe, müsse man darauf vertrauen können, dass sich Bund, Ländern und Kommunen gleichermaßen um diese „Gemeinschaftsaufgabe“ kümmerten. Es sei Sache der Länder, Lehrer auszubilden und Räumlichkeiten bereit zu stellen.
Es gebe in Deutschland 1,1 Millionen Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Hier gebe es noch immer das Vorurteil, sie seien häufiger krank - dies werde durch den Bericht widerlegt: 30 Prozent von ihnen hätten sich innerhalb eines Jahres „keinen einzigen Tag krank gemeldet“. Zudem sei die Zahl der Betriebe, die keinen behinderten Mitarbeiter beschäftigten, gesunken: dies sei eine positive Entwicklung.
SPD: Koalition hat viel auf den Weg gebracht
Kerstin Tack, Beauftragte der SPD-Fraktion für die Belange von Menschen mit Behinderungen, sagte, der Teilhabebericht beschreibe einen Zeitraum bis 2014 und habe seine Qualität deutlich gesteigert, weil die Datenlage über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen deutlich besser geworden sei. Man habe die Erwartung, dass man mit dem Maßnahmen, die man für ihre Belange in dieser Legislatur umgesetzt habe, im nächsten Bericht nachvollziehen können. Man habe dabei eine „beachtliche Bilanz vorzuweisen“: Mit der unterstützen Beschäftigung, dem Budget und dem Ausbau der Inklusionsbetriebe „Gutes auf den Weg gebracht“.
Barrierefreiheit sei „nach vorn gebracht“ worden, im Gesundheitsbereich so vor allem mit der Einführung der sozialpädiatrischen Zentren für Erwachsene die Situation verbessert worden. All dies werde Einfluss auf die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen haben. Die Koalition habe „massiv geliefert“. (suk/24.03.2017)
Linke: Diskriminierungen sind massiv
Für die Fraktion Die Linke sagte Katrin Werner, der Bericht komme zu dem Fazit, einiges sei gut, anderes schlecht. Tatsächlich aber offenbare sich bei genauerem Hinschauen, dass es „,massive Diskriminierung“ und „zahlreiche Barrieren“ gebe - aber diese Ausgrenzung müsse endlich ein Ende haben. Die beginne bereits in der Schule: Der Großteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf werde in Förderschulen unterrichtet und vom Unterricht in den Regelschulen ausgeschlossen. 71 Prozent der Förderschüler machten keinen Hauptschulabschluss, dies habe massive Auswirkungen auf die späteren Bildungschancen und die Teilhabe. Zudem brauche es auch einen inklusiven 1. Arbeitsmarkt, „um die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen zu verbessern“. Unternehmen müssten stärker dazu gebracht werden, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Deren Armutsrisiko habe sich in den letzten Jahren auf 20 Prozent erhöht - auch diese Entwicklung müsse „dringend stoppt werden“. Die „Sonderwelten“ müssten dringend „abgeschafft werden“, ebenso müsse der enorme Mangel an barrierefreien Wohnungen behoben werden. Insgesamt brauche es eine „Offensive der sozialen Gerechtigkeit“.
Grüne: Koalition hat nicht genug getan
Die Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen-Fraktion, Corinna Rüffer, noch immer sei die Behandlung von Menschen mit Behinderungen vor allem in Heimen und Pflegeeinrichtungen „menschenunwürdig und inakzeptabel“. Auch mit dem Gesetz sei es nach wie vor möglich, Menschen mit Behinderungen gegen ihren Willen in Heimen unterzubringen; dort würfen sie oft nicht gut behandelt. So „kann es echt nicht weitergehen“. Die Koalition habe ihre Chancen nicht genutzt; das Teilhabegesetz werde die Situation nur weniger nur wenig ändern. Es gebe nach wie vor „Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten“. Auch die Situation von Geflüchteten mit Behinderungen sei häufig schlecht; Menschen würden, weil man etwa nicht in der Lage sei, barrierefreie Anhörungen durchzuführen, „entrechtet“ und würden schlecht versorgt. Dies seien keine Einzelfälle, Schwarz-Rot ziehe darauf aber keine Konsequenzen und habe eine „ignorante Haltung“. Man müsse „endlich handeln“.
Über den„Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen 2016“, den die Bundesregierung dem Bundestag als Unterrichtung (18/10940) vorgelegt hat, haben die Abgeordneten am Freitag, 24. März 2017, debattiert. Der Bericht wurde zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Regierung: Erwerbstätigenquote ist gestiegen
Aus dem aktuellen Teilhabebericht der Bundesregierung geht unter anderem hervor, dass der Anteil der erwerbstätigen Menschen mit Beeinträchtigungen von 2005 bis 2013 um acht Prozentpunkte auf 49 Prozent gestiegen ist.
Innerhalb dieser acht Jahre ist demnach auch die Erwerbstätigenquote aller Teilgruppen von Menschen mit Beeinträchtigungen gestiegen: um fünf Prozentpunkte bei chronisch Kranken, um sechs Prozentpunkte bei Menschen mit Schwerbehinderungen und um neun Prozentpunkte bei Menschen mit einem anerkannten Behinderungsgrad von unter 50. Dennoch liege die Arbeitslosenquote dieser Menschen immer noch deutlich unter der jener Menschen ohne Beeinträchtigungen, die Chancen zur Teilhabe seien immer noch ungleich verteilt. Demnach seien Menschen mit Beeinträchtigungen auch stärker von Armutsrisiken betroffen, so die Bundesregierung. (sas/24.03.2017)