Expertin: Wir leben in einem Jahrhundert der Städte
Im Rahmen eines öffentlichen Fachgespräches hat sich der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am Mittwoch, 22. März 2017, unter Leitung von Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) mit dem globalen Megatrend „Urbanisierung“ beschäftigt. Gegenstand des Gesprächs war das Hauptgutachten 2016 „Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte“ (18/9590) des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU).
Schlacke: Urbanisierung erreicht eine nicht bekannte „Wucht“
„Wir leben in einem Jahrhundert der Städte“, sagte Prof. Dr. Sabine Schlacke, Ko-Vorsitzende des WBGU, bei der Vorstellung des Gutachtens im Ausschuss. Die Urbanisierung habe eine bislang nicht bekannte „Wucht“ erreicht. Das führe dazu, dass die Entwicklung in den kommenden 30 bis 50 Jahren kaum zu prognostizieren sei. Insbesondere in Asien und Afrika würden Milliarden Menschen in die Städte gedrängt. Es handle sich um die „größte Migrationsbewegung“, die der Globus je erlebt habe, sagte Schlacke. Dies führe zu großen Herausforderungen und habe Auswirkungen auf die Entwicklung von Infrastrukturen, aber auch auf Armut und sozio-ökonomische Disparitäten.
Bedeutend seien auch die Auswirkungen auf Umwelt und Ressourcen, gerade in Hinblick auf die Klimaziele von Paris. Herausforderungen konstatierte Schlacke auch für die Forschung. Hier gebe es bisher viele sektorale Arbeiten, die auch nur begrenzte sektorale Lösungen vorschlügen. Es fehle aber eine systemische, übergreifende Herangehensweise an das Thema.
Hauptgutachten 2016 des Wissenschaftlichen Beirats
Der WBGU hatte sein Gutachten vergangenes Jahr im Vorfeld des UN-Weltsiedlungsgipfels Habitat III in Ecuador veröffentlicht. Der Wissenschaftliche Beirat entwickelt in dem Gutachten für die „Transformation zur Nachhaltigkeit“ einen sogenannten „normativen Kompass“. Man könne bei der nachhaltigen Stadtentwicklung keiner „Blaupause“ folgen.
Des Weiteren plädiert der WBGU für „eine stärkere Berücksichtigung polyzentrische Ansätze urbaner Entwicklung“. In dem Gutachten werden zudem fünf transformative, miteinander verknüpfte Handlungsfelder identifiziert: (1) Dekarbonisierung, Energie und Klimaschutz, (2) Mobilität und Verkehr, (3) baulich-räumliche Gestalt von Städten, (4) Anpassung an den Klimawandel sowie (5) Armutsbekämpfung und sozioökonomische Disparitäten. In puncto Klimaschutz müssten beispielsweise bis 2070 fossile CO2-Emissionsquellen ersetzt werden, schreibt der WBGU. Ebenso müsse eine „Abkehr von einem Großteil der gängigen Infrastrukturmuster“ erfolgen, um die Temperaturerhöhung auf deutlich weniger als zwei Grad Celsius zu reduzieren.
Der Beirat Globale Umweltveränderung
Die Mitglieder des Beirats werden vom Bundeskabinett auf Vorschlag der Minister für Bildung und Forschung sowie für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit für vier Jahre berufen.
Die beiden Ministerien finanzieren auch den Beirat, der durch einen Interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung begleitet wird, in dem alle Ministerien und das Bundeskanzleramt vertreten sind. Der Beirat trifft regulär elfmal jährlich für zwei Tage zusammen. (scr/22.03.2017)