Parlament

Hasmik aus Armenien: Deutsch hat mir viele Möglichkeiten eröffnet

Eine junge Frau mit langen braunen Haaren in einer violetten Bluse lehnt an einem Geländer vor dem Reichstagsgebäude

Hasmik Muradyan aus Armenien nimmt am IPS-Programm des Bundestages teil (© DBT/photothek)

Manches im Leben entsteht eher zufällig. So auch das Interesse an der deutschen Sprache bei Hasmik Muradyan. „In meiner Schule wurde Deutsch als Fremdsprache angeboten, nicht Englisch, wie in Armenien eigentlich üblich“, erzählt die 28-Jährige. Damals sorgte dies für skeptisches Stirnrunzeln bei ihren Eltern, die nicht so recht wussten, was die Tochter mit dieser Sprache anfangen soll. Heute weiß Hasmik Muradyan: „Dadurch haben sich mir viele Möglichkeiten eröffnet.“ Eine davon ist die Teilnahme am fünfmonatigen Programm des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) des Deutschen Bundestages - derzeit absolviert die junge Armenierin ein Praktikum im Büro der Abgeordneten Karin Binder (Die Linke).

Die studierte Islamwissenschaftlerin ist nicht zum ersten Mal in Deutschland. „Vor drei Jahren habe ich an einem Programm der Robert Bosch Stiftung teilgenommen“, sagt sie. Ein Programm, das sich an ausländische Regierungsbeamte richtete. Eine solche war Hasmik Muradyan seinerzeit – befasst mit Pass- und Visa-Angelegenheiten. Inzwischen hat sie ihr berufliches Spektrum verändert. Die junge Armenierin arbeitet als Journalistin in der internationalen News-Abteilung einer privaten unabhängigen Presseagentur. Perspektivisch kann sie sich aber einen Seitenwechsel vorstellen. Als Mitarbeiterin eines Abgeordneten oder auch in einem Ministerium – wenngleich nicht unbedingt befasst mit Pass- und Visa-Fragen. „In einer außenpolitisch oder europapolitisch orientierten Abteilung könnte ich mir vorstellen zu arbeiten. Schließlich habe ich viele Erfahrungen mit Europa gemacht“, sagt sie.

Blick der Armenier auf Europa

Wie aber ist der Blick der Armenier auf Europa? Eindeutig positiv, sagt sie. „Europa wird in Armenien als heller Punkt wahrgenommen.“ Und das, obwohl die Verbindungen – vor allem auf wirtschaftlicher aber auch politischer Ebene – nach Russland sehr eng seien. Gerade die junge Generation, die gut ausgebildet sei, könne sich – eher als die Älteren - Armenien durchaus mit einer weniger prorussischen Regierungspolitik vorstellen, sagt sie. Vergleichbar mit der Situation in der Ukraine, wo das Land im hin- und Her zwischen Russland und Europa zu zerbrechen droht, ist die Lage in Armenien aber nicht. „Es gibt bei uns keine nennenswerte russischstämmige Minderheit“, sagt sie. 98 Prozent der Bevölkerung seien Armenier.

Ihr Heimatland ist Mitglied im EU Programm „Östliche Partnerschaft“. Gleichzeitig ist man aber mit Russland, Weißrussland, Kirgisistan und Kasachstan in einer Zollunion. Ein Widerspruch? Nicht aus Sicht von Hasmik Muradyan. „Es gibt keinen Wettkampf zwischen der EU und Russland. Wir sind froh, dass die Türen in beide Richtungen offenstehen“, sagt die junge Armenierin, die in der Hauptstadt Eriwan lebt.

Armeniens brisante Nachbarschaft

Dort geht es deutlich ruhiger und familiärer zu als in Berlin, findet die 28-Jährige. „Anfangs hatte ich schon das Gefühl, in Berlin ein bisschen verloren zu sein“, sagt sie und hat sich dennoch gut eingelegt in der deutschen Hauptstadt. In der sie – anders als in der Heimat – auch Kontakt mit Menschen aus Aserbaidschan haben kann. Dem Nachbarland, mit dem es seit vielen Jahren teils auch militärische Auseinandersetzungen um die Region Berg Karabach gibt.

Seit mehr als 20 Jahren wird nun schon über den völkerrechtlichen Status des Landes im Rahmen der „Minsk-Gruppe“ der OSZE verhandelt. Die Konfliktparteien berufen sich dabei auf unterschiedliche völkerrechtliche Prinzipien, schreibt das Auswärtige Amt zu dem Thema: Einerseits auf das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung, das die ethnischen Armenier in Berg Karabach für sich reklamieren; andererseits auf das Prinzip der territorialen Integrität, das von Aserbaidschan geltend gemacht wird. „Die Situation kann nur durch Verhandlungen in vertrauensvoller Atmosphäre gelöst werden“, sagt sie. Aber eine solche Atmosphäre gebe es derzeit nicht.

Und da kommt sie auf eine der großen Stärken des IPS zu sprechen: „Man kommt in Kontakt mit Menschen aus Ländern, mit denen man im Streit ist“. Zum ersten Mal sei sie etwa in Kontakt mit einem Aserbaidschaner gekommen. „Wir haben gesehen, dass der jeweils andere auch ein ganz normaler Mensch ist“, sagt sie. So müsste es wohl laufen: Die Menschen sollten sich kennenlernen und so besser verstehen. Aber auf politischer Ebene sei derzeit die militärische  Rhetorik sehr stark geworden. „Ich glaube nicht, dass in nächster Zeit eine Lösung des Problems zu erwarten ist – vielleicht braucht es dafür eine Generation“, sagt Hasmik Muradyan.

Kleine Schritte zur Normalität

Ähnlich problematisch wie das Verhältnis zu Aserbaidschan ist auch das zur Türkei. Stichwort Genozid vor mehr als hundert Jahren. Warum ist es für die Armenier so wichtig, dass dieses Verbrechen als Völkermord bezeichnet wird? Hasmik Muradyan verweist auf die Situation in Deutschland. Hier gebe es eine Erinnerungskultur. „Die Deutsche sagen, wir sind verantwortlich für den Holocaust. So etwas darf nie wieder passieren.“ Das sei es, was die Armenier von der Türkei hören wollen. „Sie sollen sagen, ja es war ein Völkermord und wird nie wieder passieren.“ Lehne man dies ab, bedeute es: „Sie könnten es wieder tun und sagen, es war doch nicht so schlimm.“

Ähnlich wie im Falle Aserbaidschans kann die junge Armenierin die Zeit in Berlin auch nutzen, um mit den türkischen IPS-Teilnehmern in Kontakt zu kommen. Das tue sie, bestätigt Hasmik Muradyan. Wird dann auch über so brisante Themen wie Berg Karabach oder den Genozid gesprochen? Nein, sagt sie bislang noch nicht. „Wir wollen uns einfach kennenlernen und reden über alles Mögliche“, erzählt sie. Kleine Schritte zur Normalität sind das. Aber auch wichtige Schritte zum besseren gegenseitigen Verständnis – ermöglicht durch das IPS. (hau/02.05.2017)

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