Konzept der Linken für erfolgreiche Integration heftig umstritten
Wie gut ist der deutsche Sozialstaat für die Herausforderungen der Flüchtlingskrise gerüstet? Über diese Fragen haben am Donnerstag, 16. Februar 2017, die Fraktionen des Deutschen Bundestages heftig gestritten. Anlass der Auseinandersetzung war ein Antrag der Linksfraktion (18/9190), in dem die Abgeordneten „eine soziale Offensive für alle“ fordern, um so eine erfolgreiche Integration zu gewährleisten, und der im Bundestag erstmals beraten und zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen wurde.
Linke: Wiederherstellung des Sozialstaats ist nötig
In ihrer Rede zeichnete die Linke-Innenpolitikerin Sevim Dağdelen ein eher schwarzes Bild von Deutschland: Viele Kinder im Land lebten in Armut, viele Menschen seien „von Zukunftsängsten geplagt“, es gebe einen Investitionsstau in Milliardenhöhe, explodierende Mieten und eine sich verschlechternde Infrastruktur - all dies sei die Folge eines jahrzehntelangen „Kaputtsparens“. Alle Parteien außer der Linken hätten sich der Zerstörung des Sozialstaates schuldig gemacht.
Daher habe der Zuzug von Flüchtlingen ausgereicht, um „die politische Stimmung kippen“ zu lassen. Ihre Fraktion, so Dağdelen, fordere eine „Wiederherstellung des Sozialstaats“. Mit ihrem Handeln schüre die Koalition Ressentiments und befördere die Spaltung der Gesellschaft, wenn sie etwa Flüchtlinge als Lohndrücker zu einem verminderten Mindestlohn einsetzen wolle und die Kosten für Sprachkurse aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung und damit zulasten der Beitragszahler zahle. Ihre Fraktion fordere daher eine „soziale Offensive“, um denen den Nährboden zu entziehen, die von der Spaltung der Gesellschaft profitierten.
CDU/CSU: Deutschland ist in gutem Zustand
Heftigen Widerspruch formulierte daraufhin Astrid Freudenstein für die CDU/CSU: Es sei unredlich, die Flüchtlingsthematik für „durchsichtige Wahlkampfspielereien“ zu nutzen. Die Linke wolle weismachen, die Flüchtlingskrise habe die Krise des Sozialstaats deutlich gemacht. „Das Gegenteil“ sei der Fall: Deutschland habe wie kein anderes Land der Erde geholfen und so Stärke bewiesen. Rechts- und Linkspopulisten hätten Gefallen daran gefunden, den Sozialstaat „als marodes Gebilde“ dazustellen.
Diesem Populismus müsse man Fakten entgegenstellen: So sei die Arbeitslosenquote seit 2005 von elf auf 6,1 Prozent gesunken, während sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 26 auf 32 Millionen und das Durchschnittseinkommen sich von 29.000 auf 36.000 Euro erhöht habe. 92 Prozent der Bürger seien Umfragen zufolge „sehr oder ziemlich zufrieden“ mit dem Leben im Land. Was die Linke fordere - etwa eine Erhöhung des Mindestlohns, das Ende von Hartz IV, die Rückkehr zur Rente mit 65 und eine höhere Grundsicherung für alle - würde den „Staat frontal gegen die Wand“ fahren lassen und „ruinieren“.
SPD: Antrag enthält „Nebelkerzen“
Auch von der SPD gab es harsche Kritik am Antrag der Linken. So sagte Daniela Kolbe, zwar sei der Tenor des Antrags richtig, dass es Sorgen mache, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergehe, dass es Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung gebe. Aber insgesamt sei der Befund des Antrags „hochgradig peinlich und albern“: Die Koalition habe die Leiharbeit eingedämmt, den Mindestlohn eingeführt, die Tarifbindung gestärkt, die Situation vieler Alleinerziehender verbessert.
Die Vorwürfe der Linken nannte Kolbe „Nebelkerzen“ und „Blödsinn“: So wolle niemand den Mindestlohn für Flüchtlinge abschaffen, und die Finanzierung der Sprachkurse falle zum größten Teil in den Bereich des Zweiten Sozialgesetzbuches. Eine clevere Integrationspolitik sei eine, die allen nütze - und so komme die Erhöhung der Mittel für den Wohnungsbau, die Entlastung der Kommunen und eine Erhöhung des Personals in den Jobcentern allen zugute.
Grüne gegen Ausspielen von Geflüchteten und Einheimischen
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betonte Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, die Zuwanderung sei eine Chance für Deutschland, es brauche „Vielfalt statt Einfalt“. Es sei ein Fehler der Bundesregierung, eine Drei-Klassen-Integration durchzuführen und Menschen mit besserer Bleibeperspektive mehr Hilfen zu gewähren als Menschen mit schlechterer. Es dürfe nicht die Frage sein, woher ein Mensch kommen, sondern wo er hinwolle.
Die Regierung habe noch immer kein Konzept für die Integration, sondern setze auf Abschottung und Abschiebung. Es dürfe allerdings kein Ausspielen von Geflüchteten und Einheimischen geben. Grundsätzlich gelte: Deutschland sei ein reiches Land, es könne die Herausforderungen bewältigen.
Antrag der Linken
Laut Vorlage soll die Bundesregierung ein 25-Milliarden-Euro-Sofortprogramm für diese Offensive auflegen. Die Mittel sollen für mehr gemeinnützigen, sozialen und barrierefreien Wohnungsbau, für mehr inklusive und diskriminierungsfreie Bildung, für die Stärkung des öffentlichen Dienstes, für öffentliche und inklusive Beschäftigungsmaßnahmen und für zusätzliche Investitionen genutzt werden.
Zur Anschubfinanzierung sei „ein Abschied vom Dogma der ‚schwarzen Null’ erforderlich“, so Die Linke. Außerdem müssten Vermögende und Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden. (suk/16.02.2017)