Parlament

Proeuropäisch trotz Spar­kurs: Abgeordnete aus Portugal im Bundestag

Vier Frauen und vier Männer stehen in einem Raum und blicken in die Kamera.

Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn (Mitte) mit den Abgeordneten aus Portugal; links neben ihr Pedro Delgado Alves, Leiter der portugiesischen Delegation. (DBT/Melde)

„Portugal ist gerade dabei, sich wieder aufzurappeln“, sagt Christian Lange, Vorsitzender der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz. Vom 25. bis 28. April 2017 war eine Delegation portugiesischer Parlamentsabgeordneter mit Pedro Delgado Alves, Vorsitzender der Portugiesisch-Deutschen Parlamentarischen Freundschaftsgruppe, an der Spitze zum Arbeitsbesuch nach Deutschland gekommen.

Wie Spanien, Griechenland oder Irland war Portugal in den Strudel der Finanz- und Schuldenkrise geraten. Die Wirtschaftsleistung brach ein, die Staatsverschuldung stieg an. 2011 bis 2014 erhielt das Land Kredite von EU und IWF und leitete umfassende Reformen ein. Mittlerweile finanziert sich Portugal wieder vollständig am Kapitalmarkt. Das sogenannte Troika-Programm, das einen strikten Sparkurs und umfassende strukturelle Reformen vorsah, wurde erfolgreich beendet. Damit konnte die Wettbewerbsfähigkeit erhöht und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden.

Zahlen, die Anlass zur Hoffnung geben

Lange nennt einige Zahlen, die Anlass zur Hoffnung geben: So ist die Wirtschaft in den vergangenen drei Jahren wieder gewachsen, im Schnitt um knapp 1,3 Prozent pro Jahr. Die Arbeitslosigkeit sank von über 16 Prozent 2013 auf unter elf Prozent 2016. Und 2016 hat die Regierung nach eigenen Angaben mit einem Haushaltsdefizit von weniger als 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung abgeschlossen – also im Rahmen der Euro-Stabilitätskriterien.

Privatisierung von Staatseigentum, Steuerreform, Liberalisierung des Arbeitsrechts sowie Kürzungen öffentlicher Gehälter und von Gesundheits-, Renten- und Sozialleistungen – der harte Sparkurs ging vielen Portugiesen schließlich zu weit. Die Wahlen Ende 2015 führten zu einem Regierungswechsel.

Regierung Costa hält an Konsolidierung fest

Die konservative Regierung habe bei den Sparbemühungen die Schrauben wohl etwas zu hart angezogen – und sei dafür abgestraft worden, sagt Lange. Lissabon habe aber keinen völligen Kurswechsel vollzogen, interpretiert er die Politik der neuen Regierung, sondern knüpfe mit eigenen Akzenten an die Reformbemühungen der Vorgängerregierung an.

Die seit eineinhalb Jahren amtierende und von Linksblock und Kommunisten unterstützte sozialdemokratische Minderheitsregierung des Partido Socialista von Premierminister António Costa setze den finanziellen Konsolidierungskurs ihrer Vorgänger in abgemilderter Form fort. Dabei fahre man einige Maßnahmen wieder zurück, erhöhe beispielsweise die Renten und den Mindestlohn leicht, um die Kaufkraft zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Delegation portugiesischer Parlamentarier, der Abgeordnete aller im Lissabonner Parlament vertretenen Fraktionen angehörten, habe bei ihrem Besuch in Berlin unterstrichen, dass Portugal den Konsolidierungskurs fortsetzen werde.

Enge wirtschaftliche Kooperation mit Deutschland

Deutschland brächten die Portugiesen dabei große Dankbarkeit entgegen, berichtet Lange. Den Portugiesen sei bewusst, dass ein Großteil ihres Wohlstands auf der Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik und dem Engagement deutscher Unternehmen beruhe. Nach Spanien sei Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner Portugals. Deutsche Firmen stünden unter den ausländischen Investoren an erster Stelle, unterhielten zahlreiche eigene Produktionsstandorte in Portugal, und hätten dort eine Vielzahl hochwertiger Arbeitsplätze geschaffen. Hervorstechendes Beispiel sei dabei Volkswagen. Der Wolfsburger Autokonzern stehe allein für einen Prozentpunkt des portugiesischen Bruttoinlandsprodukts.

Die wirtschaftliche Erholung Portugals erstrecke sich über die Automobilindustrie hinaus auf fast alle Branchen der portugiesischen Volkswirtschaft, von der Industrie über den Tourismus und die Landwirtschaft bis hin zu ganz neuen Branchen. Die Regierung in Lissabon wolle verstärkt in innovative Bereiche und in die Forschung investieren und die Qualität der beruflichen Ausbildung verbessern. Die in Deutschland so erfolgreich praktizierte duale Berufsausbildung werde mittlerweile auch in Portugal in Industrie und Dienstleistungssektor gut angenommen.

Beziehungen fußen auf breitem Fundament

Lange unterstreicht, auf welch breiter Basis die deutsch-portugiesischen Beziehungen fußen. So hätten Berlin und Lissabon nicht erst seit der Bewältigung der Finanzkrise sehr gut zusammengearbeitet. Seit 2013 findet nun jährlich ein Deutsch-Portugiesisches Forum hochrangiger Vertreter beider Länder aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft statt. Innerhalb der EU stimme man sich seit jeher eng ab. Deutschland habe den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft 1986 maßgeblich gefördert.

Der Abgeordnete erinnert daran, dass Deutschland in den 1970er-Jahren einen erheblichen Anteil an der Überwindung der Diktatur und am Aufbau demokratischer und parlamentarischer Strukturen in Portugal gehabt habe. Bereits damals hätten die Bundesregierung und die politischen Stiftungen Portugal unterstützt. Die heute in Lissabon regierende sozialdemokratische Partei (Partido Socialista) sei 1973 in Bad Münstereifel bei Bonn mit Hilfe der SPD und der Friedrich-Ebert-Stiftung gegründet worden.

Ob Politik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Kultur – der bilaterale Austausch, wie ihn auch die parlamentarischen Beziehungen spiegelten, sei sehr intensiv. Der breite gemeinsame Nenner, auch was die europäische Integration betreffe, erleichtere es, gemeinsam Probleme zu bewältigen.

Gespräche mit Bundestagsabgeordneten 

Im Bundestag trafen die portugiesischen Abgeordneten ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen, sprachen mit Mitgliedern des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, des Ausschusses für Arbeit und Soziales sowie des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und trafen die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Dr. h.c. Edelgard Bulmahn. Sie führten außerdem Gespräche im Auswärtigen Amt, im Bundesministerium der Justiz sowie im Bundesministerium der Finanzen.

Der Bundestagsabgeordnete weist darauf hin, dass die etwa 20 Mitglieder der Parlamentariergruppe auch jenseits der Delegationsbesuche, die einmal pro Wahlperiode stattfinden, die Beziehungen zwischen beiden Ländern pflegten. Kontakte bestünden zudem auf Regierungsebene und innerhalb der jeweiligen Parteienfamilien.

„Europafragen sind in Portugal keine Streitfragen“

Es sei sehr ermutigend, was für ein proeuropäisches Land Portugal sei. Es herrsche ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, welch hohe Bedeutung die europäische Integration für das Land von Beginn an gehabt habe und wie wertvoll die EU-Mitgliedschaft sei. „Europafragen sind in Portugal keine Streitfragen“, erklärt Lange. Das portugiesische Parlament sei eine in europäischen Angelegenheiten sehr homogene europäische Volksvertretung.

Und das nicht allein wegen der finanziellen Hilfen, die aus dem EU-Haushalt in das Land fließen. Die Portugiesen fühlten sich schlicht zugehörig zu Europa, ja zum Zentrum der Union. Diese Positionsbestimmung habe sich mit dem Austrittsgesuch der Briten noch verstärkt. Regierung und Parlament in Lissabon arbeiteten nun darauf hin, mit den anderen Mitgliedsländern des Kontinents die Union zu stärken und auszubauen. „Es liegt in Portugals Interesse, die EU zu erhalten“, sagt Portugal-Kenner Lange.

Steigende Nachfrage nach Deutschunterricht

Dazu wollten die Portugiesen eng mit Deutschland zusammenarbeiten. Das große Interesse an der Bundesrepublik, auch die Deutschland-Kenntnisse vieler Portugiesen, seien Ausdruck dieses Willens. Die deutschen Auslandsschulen und zwei Goethe-Institute in Portugal sowie eine Vielzahl von Hochschulkooperationen erführen großen Zulauf. Deutschunterricht erfreue sich einer steigenden Nachfrage. Viele Portugiesen hätten zudem während der Finanzkrise Interesse daran gezeigt, in Deutschland zu arbeiten, so Lange.

Umgekehrt liege es im Interesse Deutschlands, die Beziehungen zu Portugal zu pflegen. Das Land am Atlantik sei gegenüber Deutschland sehr aufgeschlossen, über die EU-Mitgliedschaft hinaus zudem Mitglied in der Eurozone. Man habe mit Portugal einen Partner, mit dem man gemeinsam die EU stabilisieren und ausbauen könne. Die internationalen Hilfen an Lissabon seien absolut gerechtfertigt. Damit trage man zum Erhalt der gegenüber Europa positiven Stimmung bei.

Angesichts zahlreicher globaler Herausforderungen, der Krisen im Umfeld der EU und der Konflikte auch innerhalb der Gemeinschaft wünschten sich die deutschen Abgeordneten und ihre portugiesischen Kolleginnen und Kollegen, dass beide Länder sowie weitere pro-europäische Staaten künftig noch enger zusammenrücken und eine bedeutendere Rolle in der EU übernehmen, um gemeinsam die Union zu stärken. (ll/05.05.2017)

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