Nadine Schön: Gesetzentwurf zu Hasskommentaren sorgfältig prüfen
Das von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgelegte Gesetz gegen Hasskommentare und Hetze im Internet muss nach Ansicht von Nadine Schön (CDU/CSU) in einigen Punkten nachgebessert werden. Die Frage, wer definiere, ob ein Inhalt strafbar ist oder nicht, beantworte der Entwurf nur ungenügend, sagte die für Digitales zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende in einem am Montag, 22. Mai 2017, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. „Wir wollen die Meinungsfreiheit schützen und nicht aushöhlen, schon deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein“, betont die Abgeordnete aus dem Saarland. Dem Justizministerium wirft sie vor, das Gesetz erst kurz vor der Sommerpause vorgelegt zu haben. Damit bleibe wenig Zeit für die parlamentarische Beratung. Sorgfalt gehe aber vor Schnelligkeit, sagt Schön. Das Interview im Wortlaut:
Frau Schön, Justizminister Heiko Maas (SPD) will gegen Hasskommentare, Drohungen und absichtliche Falschmeldungen („Fake News“) im Internet vorgehen. Welche Dimension hat das Thema inzwischen?
Die Hetze im Internet hat tatsächlich oder zumindest gefühlt zugenommen. Zwar gab es immer schon extremes Gedankengut, aber durch die sozialen Netzwerke werden Meinungen heute schneller verbreitet. Menschen, die radikale Meinungen vertreten, treffen leichter auf andere Menschen mit ähnlichen Ansichten – und leben dann irgendwann in ihrer eigenen Filterblase. Vor allem bleiben Drohungen oder beleidigende Äußerungen oft einfach im Netz stehen. Das müssen wir als wehrhafte Demokratie in den Griff bekommen.
Betreiber sozialer Netzwerke sind laut Telemediengesetz schon jetzt verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu entfernen. Warum braucht es ein neues Gesetz?
Weil es in der Praxis nicht funktioniert und die Opfer von Hasskommentaren selten zu ihrem Recht kommen. Versuche, das durchzusetzen, verlaufen meistens im Sande, weil es sehr mühsam ist, überhaupt einen Ansprechpartner bei internationalen Großkonzernen wie Facebook und Twitter zu finden. Mit dem Gesetz wollen wir der bisherigen Regelung mehr Geltung verschaffen. Die Betreiber sollen Strukturen schaffen, die es ermöglichen, strafbare Inhalte schneller zu entfernen. Tun sie es nicht, drohen Bußgelder.
Haben Sie persönlich schon schlechte Erfahrungen mit Beleidigungen oder gar Drohungen im Internet gemacht?
Auf meiner Facebook-Seite gibt es immer mal wieder Posts, die gegen meine Netiquette verstoßen. Gravierende oder sogar strafrechtlich relevante Äußerungen waren bisher nicht dabei. Meistens weise ich die Personen darauf hin, nur selten entferne ich Kommentare. Man muss auch immer genau unterscheiden: Was ist wirklich strafbar und was entspricht nur nicht dem guten Umgangston? Diese Frage berührt einen sehr sensiblen Punkt.
Kritiker des Gesetzes warnen davor, dass private Unternehmen darüber entscheiden sollen, wo die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Strafbarkeit verläuft. Wie wollen Sie verhindern, dass eine Form von Zensur etabliert wird?
Ich kann den Vorwurf, dass wir den privaten Unternehmen die Entscheidung übertragen, was Wahrheit oder Lüge ist, durchaus nachvollziehen. Zu regeln, wer was wann prüfen und gegebenenfalls löschen muss, kommt tatsächlich einer Gratwanderung gleich. Klar ist: Wir wollen die Meinungsfreiheit schützen und nicht aushöhlen, schon deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein. Es ist ungünstig, dass das Justizministerium das Gesetz erst jetzt, so kurz vor der Sommerpause, vorgelegt hat. Uns bleibt damit nicht viel Zeit für die parlamentarische Beratung. Wir müssen den Entwurf trotzdem gut prüfen und gegebenenfalls nachbessern. Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.
Was ist besonders strittig?
Eine zentrale Frage ist: Wer definiert, ob ein Inhalt strafbar ist oder nicht? Sie beantwortet der bisherige Entwurf nur ungenügend. Die Unionsfraktion hat bereits Anfang des Jahres in einem Positionspapier vorgeschlagen, ein Gremium zur Selbstkontrolle zu schaffen, eine Art „regulierte Selbstregulierung“. Solche Gremien gibt es bereits, etwa im Bereich des Jugendschutzes – denken Sie an die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). Übertragen auf die Internetplattformen würde das bedeuten, dass nicht die Plattformbetreiber entscheiden, was geht und was nicht, sondern eine vom Staat kontrollierte und von den Unternehmen finanzierte Instanz, die alle Sachverhalte nach klaren Kriterien prüft.
Nach den bisherigen Plänen sollen die Betreiber offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernen, weniger offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von sieben Tagen. Ist eine gründliche Prüfung in dieser Zeit überhaupt möglich?
Es muss auf jeden Fall machbare Fristen geben. Bei eindeutigen Fällen von Volksverhetzung oder Rufmord haben die Betroffenen ein berechtigtes Interesse, entsprechende Einträge schnell aus dem Netz entfernen zu lassen. Klar ist aber auch, dass Grenzfälle einer längeren Prüfung bedürfen. Wir müssen unbedingt verhindern, dass die Unternehmen aus Angst vor Bußgeldern Einträge voreilig löschen.
Im Entwurf ist die Rede von Bußgeldern in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro. Das sind saftige Beträge.
Bußgelder soll es nicht geben, wenn ein Betreiber einen Beitrag nicht innerhalb der Frist entfernt hat. Sie sollen nur verhängt werden, wenn ein Unternehmen sich grundsätzlich weigert, die im Gesetz geforderten Strukturen zu schaffen – wenn es also keinen vorladungsfähigen Ansprechpartner in Deutschland installiert und keine Beschwerdestelle einrichtet, die das Prüfverfahren einleitet. Facebook und Co. muss klar sein, dass uns die Einhaltung dieser Vorgaben wichtig ist. Deshalb die hohen Bußgelder.
Allein Facebook hat fast 30 Millionen Nutzer in Deutschland. Haben Plattformen mit solchen Dimensionen überhaupt die Ressourcen, um die Flut an Beiträgen zu überprüfen?
Sie müssen ja nicht proaktiv jeden neuen Eintrag prüfen, sondern nur die gemeldeten. Wobei das natürlich auch sehr viele sein werden. Aber darunter wird es viele geben, die ganz offensichtlich nicht strafrechtlich relevant sind und weitere, die ganz klar gegen Gesetze verstoßen. Spannend ist der Graubereich dazwischen. Hier wird die Prüfung sicher länger dauern.
Menschen, die ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen, sollen sich künftig direkt an die Netzwerke wenden und herausfinden können, von wem ein Kommentar stammt. Ist das nicht das Ende der Anonymität im Internet?
Das ist definitiv eine Gefahr. Deshalb wollen wir als Digitalpolitiker der Unionsfraktion im Gesetz unbedingt einen Richtervorbehalt verankern. Wir müssen verhindern, dass jeder X-Beliebige sich an Facebook wenden und verlangen kann: Gib mir mal die Daten von Nadine Schön.
Mal ehrlich: Hilft es im Kampf gegen Hass und Hetze im Internet, wenn ein einzelnes Land Regeln vorgibt? Wäre es nicht sinnvoller, wenn die Europäische Union hier Maßnahmen ergreift?
Zum einen werden die Betreiber sozialer Netzwerke mit dem Gesetz verpflichtet, in Deutschland aktiv zu werden, egal aus welchem Land ein Kommentar stammt. Zum anderen aber haben Sie Recht: Es wäre tatsächlich sinnvoller, die Probleme europäisch zu lösen. Wir sind dazu auch bereits im Gespräch mit unseren Kollegen in Europäischen Parlament. Noch haben wir allerdings Probleme mit dem nationalen Gesetz.
Welche?
Wir müssen es bei der EU noch notifizieren, um einen möglichen Verstoß gegen europäische Regeln auszuschließen. Die diesbezügliche Stillhaltefrist endet Ende Juni. National müssen wir unter anderem noch sehr genau festlegen, für wen das Gesetz eigentlich gilt. Derzeit ist unklar, wer davon alles erfasst wird. Natürlich geht es um die Branchengrößen wie Facebook, Twitter und Youtube. Messengerdienste wie WhatsApp sollten wir aber ausdrücklich ausschließen. Die private Kommunikation darf auf keinen Fall betroffen sein.
(pk/joh/22.05.2017)
Das Gespräch führten Claus Peter Kosfeld und Johanna Metz.