Freitag: Parlamentarische Zusammenarbeit mit US-Kongress unverändert gut
Erstes deutsch-amerikanisches Parlamentariertreffen nach dem Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten: Abgeordnete der „Congressional Study Group on Germany“ waren vom 31. Mai bis 3. Juni 2017 zu Gast bei der Parlamentariergruppe USA des Deutschen Bundestages. Der Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump markiert einen Einschnitt für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Aber die Parlamentariertreffen haben eine jahrzehntelange Tradition. Bundestags- und Kongressabgeordnete pflegen entsprechend ihrer jeweiligen fachlichen Schwerpunkte intensive Beziehungen.
„Formal und atmosphärisch hat sich auf der Ebene der guten parlamentarischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA nach dem Regierungswechsel in Washington nichts verändert“, stellt Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende der Parlamentariergruppe USA im Deutschen Bundestag, fest.
Parlamentarische Gesprächskanäle werden intensiv genutzt
Die Programmüberschrift „34th Annual Congress-Bundestag Seminar“ klingt nach business as usual. Mehr denn je sei allerdings beiden Seiten bewusst, wie wertvoll der politisch breit angelegte Austausch zwischen den Abgeordneten jenseits der Regierungsbeziehungen ist. Es bestehe der beiderseitige Wunsch, die Gesprächskanäle auf parlamentarischer Ebene noch intensiver zu nutzen, berichtet Freitag.
Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA ausbauen, internationale Herausforderungen gemeinsam angehen – diesem Ziel dient seit Jahrzehnten die kontinuierliche Pflege der Beziehungen zwischen den Parlamenten beider Länder. Bundestags- und Kongressabgeordnete besuchen einander jährlich im Rahmen einer Delegationsreise – zusätzlich zu zahlreichen weiteren Kontakten einzelner Abgeordneter.
Empfang beim Bundestagspräsidenten
Zu den Stationen des Besuchs in diesem Jahr gehörten ein Treffen mit der 74 Mitglieder zählenden Parlamentariergruppe USA im Bundestag, Gespräche mit Mitgliedern verschiedener Fachausschüsse sowie ein Empfang durch Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert.
Die Amerikaner tauschten sich außerdem mit Vertretern des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes, der Bundesministerien des Innern, der Verteidigung sowie für Wirtschaft und Energie aus, wurden von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier empfangen und erhielten bei einem Abstecher nach Hamburg Einblicke in die föderale Ordnung der Bundesrepublik.
Terrorismusbekämpfung, Nato, Brexit
Wie sich der internationale Terrorismus noch effizienter bekämpfen lässt und welcher Stellenwert der Nato als gemeinsamem Verteidigungsbündnis in der Sicherheitspolitik der neuen US-Administration beigemessen wird, darüber diskutierten die Kongressabgeordneten unter anderem mit Generalleutnant Erhard Bühler, Abteilungsleiter Planung im Bundesministerium der Verteidigung.
Von dem außenpolitischen Berater von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Dr. Christoph Heusgen, wollten die Amerikaner wissen, was der Brexit aus deutscher Sicht für die EU und die USA bedeutet. Und im Gespräch mit Jürgen Hardt, Koordinator für die Transatlantischen Beziehungen im Auswärtigen Amt, diskutierten deutsche und amerikanische Abgeordnete über Migrations- und Integrationspolitik und den Umgang mit Rechtspopulismus im Superwahljahr 2017 in Europa.
„Noch kein klarer außenpolitischer Kurs erkennbar“
Den deutschen Abgeordneten brenne vor allem auf den Nägeln zu erfahren, wohin die neue US-Regierung in vielen Politikfeldern steuere – Fragen, auf die es zumeist noch keine abschließende Antwort gebe, sagt Dagmar Freitag. Nicht nur räume die Regierung Trump Positionen ihrer Vorgängerin, was bei einem Machtwechsel durchaus normal sei. Man erhalte zudem jedoch häufig sehr unklare und oft auch widersprüchliche Stellungnahmen zu einzelnen Themen, zeigt sich die SPD-Abgeordnete besorgt. „Wir können in vielen Bereichen nach wie vor keinen klaren außenpolitischen Kurs der Amerikaner erkennen.“
So interessiere die Bundestagsabgeordneten, inwieweit Trump seine protektionistischen Ankündigungen wahr machen werde. Dabei sei auch den allermeisten Kongressabgeordneten klar, dass es bei einer handelspolitischen Abschottung, wie sie Trump angedeutet hat, nur Verlierer geben würde. Über die Handelsbeziehungen zwischen Europa und den USA diskutierten die amerikanischen Parlamentarier mit Uwe Beckmeyer (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
„Friedenseinsätze bei Verteidigungsausgaben anrechnen“
Lange habe der US-Präsident seine Verbündeten auch darüber im Unklaren gelassen, wie er es mit der Nato-Beistandsklausel halte. Wie viel Verlass ist also noch darauf, dass einmal getroffene Zusagen, ja vertragliche Vereinbarungen, von der Supermacht weiterhin eingehalten werden? Dass die Amerikaner die Nato nicht einfach fallen lassen wollten, zeigt nach Aussage Freitags die Forderung der US-Regierung, die Mitgliedstaaten sollten ihre Verteidigungsbudgets nun endlich auf das schon lange angestrebte Zwei-Prozent-Ziel, gemessen an der Höhe ihres Bruttoinlandsprodukts, aufstocken, um Aufgaben innerhalb des Bündnisses besser wahrnehmen zu können.
Diesem auch gegenüber Deutschland immer wieder vorgetragenen Ansinnen, entgegnete Freitag ihren Partnern aus dem Kongress, dass aus ihrer Sicht ein hohes finanzielles Engagement für friedenserhaltende Einsätze, wie sie die Bundesrepublik unter Führung der Vereinten Nationen oder der Nato leiste, Teil der Berechnungen sein müsse.
Besuch in Hamburg
Bei einer Station in Hamburg trafen sich die Kongressabgeordneten mit Mitgliedern des Bundestages aus der Hansestadt und informierten sich darüber, wie der Stadtstaat mit den Herausforderungen von Flüchtlingskrise und Integration umgeht. Sie erhielten Einblick in die aktuelle Hamburger Regierungsarbeit durch Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Dabei interessierten sich die Amerikaner sehr für die politischen Abläufe in Deutschlands föderaler Verfassung und dafür, welchen Einfluss der Bundesrat als Länderkammer bei der Gesetzgebung auf Bundesebene hat, berichtet Freitag.
„Unsere Gäste waren schon erstaunt, wie anspruchsvoll und gelegentlich auch zeitraubend es ist, in dem föderalen Rahmen Deutschlands politische Vorhaben zur Gesetzesreife zu bringen und Gesetze zu verabschieden.“ Dabei seien der föderale Staatsaufbau und die konsequente Anwendung des Prinzips der Gewaltenteilung in der Bundesrepublik doch auch Vermächtnis und Frucht der Aufbauarbeit durch die USA nach Hitler-Diktatur und Zweitem Weltkrieg.
Sicherheit und Datenschutz im Internet
Weitere Themen in Berlin waren die Balance von Sicherheit und Datenschutz im Internet, über die Dr. Günter Krings (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern, mit den Gästen sprach. Ebenfalls thematisiert wurde die mögliche Vergabe der Olympischen Spiele 2024 nach Los Angeles durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Herbst dieses Jahres, bei der man sich mit der Frage auseinandersetzen müsse, wie die USA gegebenenfalls mit einem Einreiseverbot für Sportler aus muslimischen Ländern umgehen wollen.
Präsident Trump hatte kurz nach seinem Amtsantritt per Dekret einen Einreisestopp gegen Bürger aus sechs „mehrheitlich muslimischen Ländern“ verhängt. Darüber tobt seitdem eine juristische Auseinandersetzung in den USA.
Parlamentarische Beziehungen überdauern schwierige Zeiten
Im Rahmen der guten, freundschaftlichen Zusammenarbeit und ohne feste Regierungsagenda und Verhandlungsstrategie könnten die Abgeordneten sämtliche Themen offener und unmittelbarer ansprechen, als dies auf Regierungsebene und im diplomatischen Kontext der Fall sei, erklärt Dagmar Freitag. „Wir Parlamentarier verfolgen in der Regel kein konkretes Verhandlungsziel. Der offene Austausch ist vornehmlich das Ziel. Auch eine schwierige Situation zwischen den Regierungen wird an den sehr stabilen Beziehungen zwischen den Abgeordneten nichts ändern.“
Angesichts der Bedeutung der Parlamente in der Verfassung, sowohl in Deutschland wie auch in den USA, wirkten sich die Beziehungen zwischen Bundestag und US-Kongress immer auch auf die Regierungsebene und die zwischenstaatlichen Beziehungen insgesamt aus. Auch die gefürchteten Alleingänge Donald Trumps erführen im Kongress ihren Realitäts-Check und häufig genug eine Modifikation. In so mancher Streitfrage zwischen Weißem Haus und Kongress setze sich am Ende der Kongress durch. Auch die Republikaner, häufig langjährige Abgeordnete, ließen ihrem Parteifreund Trump nicht alles durchgehen. So habe sich der Leiter der US-Delegation und Republikaner Charles W. Dent bei der Abstimmung im Kongress über die Abschaffung der Krankenversicherung „Obama Care“ gegen seinen Parteifreund Trump gestellt.
Lammert wirbt für Parlamentarisches Patenschaftsprogramm
Wie vielfältig und breit die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind, wurde beim Empfang der amerikanischen Parlamentarier durch Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert deutlich. Mit dabei waren Teilnehmer des Parlamentarischen Patenschaftsprogramms (PPP/CBYX) von Bundestag und US-Kongress, das unter der Schirmherrschaft beider Parlamentspräsidenten steht. Der Bundestagspräsident warb bei den amerikanischen Abgeordneten eindringlich für den Fortbestand des in dieser Form weltweit einmaligen Jugendaustauschs, der jährlich 360 jungen Deutschen einen Aufenthalt in den USA ermöglicht; gleichzeitig kommen ebenso viele US-Amerikaner nach Deutschland.
Es gebe auf deutscher Seite die große Sorge, so Dagmar Freitag, dass US-Präsident Donald Trump die finanziellen Mittel für das seit 1983 bestehende Programm, dessen Finanzierung sich Bundestag und das US Department of State teilen, kürzt oder ganz streicht. „Wir Bundestagsabgeordneten legen großen Wert darauf, dass das PPP weitergeführt werden kann“, sagt die Politikerin.
Zahlreiche Abgeordnete stehen den Austauschschülern und jungen Berufstätigen während ihres Jahres im Partnerland als Paten zur Seite. Um die mit einem Stipendium verbundenen Plätze im Parlamentarischen Patenschaftsprogramm, das in den USA „Congress Bundestag Youth Exchange“ heißt, bewerben sich jährlich Tausende Deutsche und Amerikaner.
Die Teilnehmer lassen sich ein Jahr lang auf die Kultur des Gastlandes ein. Sie erhalten auf diese Weise einen individuellen Einblick in das Partnerland, vermitteln einen Eindruck ihrer Heimat und werden Teil eines wachsenden deutsch-amerikanischen Netzwerks jenseits der offiziellen zwischenstaatlichen Beziehungen. Als einen der wichtigsten Beiträge für die Freundschaft zwischen beiden Ländern würdigte Bundestagspräsident Lammert das Programm beim Abschlusstreffen des Jahrgangs 2016/17 kürzlich im Bundestag. (ll/16.06.2017)