Die Bundeswehr beteiligt sich weiterhin an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo (KFOR), wird ihren Personaleinsatz aber erneut reduzieren. Vorgesehen ist nunmehr die Entsendung von bis zu 800 Bundeswehrsoldaten und damit 550 weniger als im letzten Mandatszeitraum, heißt es in einem Antrag der Bundesregierung (18/12298), der am Donnerstag, 22. Juni 2017, mit breiter Mehrheit beschlossen wurde. 513 Abgeordnete votierten in namentlicher Abstimmung für die Fortsetzung des Einsatzes, 55 dagegen, es gab fünf Enthaltungen. Dazu lagen eine Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses (18/12694) und ein Bericht des Haushaltsausschusses nach Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages (18/12695) vor.
Mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen wurde ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/12819) abgelehnt, in dem die Bundesregierung unter anderem aufgefordert worden war, sich für einen neuen Ansatz in der Westbalkanpolitik zu engagieren, der die Gefahren der bestehenden Spannungen, Blockaden und Krisen ernst nimmt und zu überwinden sucht.
SPD: Tor zu einer positiven Europaperspektive aufgestoßen
Dr. h.c. Gernot Erler (SPD) machte deutlich, dass der KFOR-Einsatz mit Blick auf die Lage im gesamten Westbalkan immer noch gebraucht werde. Im Kosovo gebe es immer noch „Eskalationspotenzial“. Hinzu komme, dass korrupte Eliten das Land fortwährend ausbeuten würden und sich „Stabilitätsversprechen teuer bezahlen“ ließen. „Europa konnte die blutige Balkankriege der 1990er-Jahre nicht verhindern“, sagte Erler.
Die EU habe aber gelernt und zunächst mit einem Stabilitätspakt und dann mit den EU-Beitrittsaussichten das „Tor zu einer positiven Europaperspektive aufgestoßen“. Es bedürfe im Rahmen des „Berlin-Prozesses“ aber eines neuen Impulses und neuer Mittel für die Region, in der nicht zuletzt geopolitische „Player“ eine zunehmend „offensive Einflusspolitik alter Schule“ betreiben würden, sagte Erler.
Linke: Kosovo ein islamistisches Terrorzentrum
Sevim Dağdelen (Die Linke) lenkte den Blick auf die vorgezogene Neuwahl im Kosovo, bei der Extremisten die Oberhand gewonnen hätten. Der Wahlsieger Ramush Haradinaj, ein früherer UCK-Kämpfer, sei nur deshalb nicht vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt worden, weil neun von zehn Zeugen während des Prozesses ermordet worden oder ums Leben gekommen seien.
Mit KFOR werde somit ein „Gebilde gestützt“, an dessen Spitze bald ein Mann stehen könnte, der die Region mit dem „völkischen Albtraum“ eines Großalbanien in Brand setzen könnte. Hinzu komme, dass sich das Kosovo zu einem „islamistischen Terrorzentrum“ entwickelt habe, sagte Dağdelen. Die Bundesregierung verfahre jedoch „wie die drei Affen: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“.
CDU/CSU: KFOR bleibt eine Rückversicherung
Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) erinnerte daran, dass ohne ein Eingreifen der Nato 1999 keine Rückkehr zu Frieden und Stabilität in der Region möglich gewesen wäre. Heute seien die kosovarische Polizei und Armee in der Lage, für Sicherheit zu sorgen, KFOR bleibe eine „Rückversicherung“.
Es gelte weiterhin, die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo zu unterstützen. Es brauche aber einen „neuen Impuls“ für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption im Kosovo. „Eine Forderung nach einem Großalbanien ist das Gegenteil“ vom Ziel eines stabilen, multiethnischen Staates, sagte Jung.
Grüne: Damoklesschwert ethnisch homogener Phantasien
Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) warnte davor, dass es im gesamten Westbalkan „mehr Brisanz und Sprengstoff“ gebe als hierzulande wahrgenommen werde. Serbien stelle sich als stabil dar, seine innere Verfassung passe aber nicht zum Wertekanon der EU. Mazedonien sei im „Würgegriff einer Clanstruktur“, Bosnien und Herzegowina wiederum leide an einem „dysfunktionalen Staatsaufbau“ und einer „besorgniserregenden Agonie“.
Über allem schwebe das „Damoklesschwert ethnisch homogener Phantasien“, die die Region in Flammen setzen könnten. Hinzu komme, dass Russland „als Player“ offensiv mitmische. Es gebe auf dem Balkan wieder „tektonische Verhältnisse“ wie zu Beginn des Ersten Weltkrieges, sagte Beck.
Antrag der Bundesregierung
Die Bundesregierung hatte in ihrem Antrag auf Nato-Beschlüsse zur Anpassung „des militärischen Kräftedispositivs“ verwiesen. Die bisherigen Anpassungsschritte zielten vor allem auf eine Schwerpunktverschiebung von Eingreifkräften zu Aufklärungs- und Beratungsfähigkeiten. „Die neue Personalobergrenze ermöglicht weiterhin eine substanzielle deutsche Beteiligung an KFOR sowie die Reaktion auf signifikante Lageverschlechterungen.“
Die Lage im Kosovo sei überwiegend ruhig und stabil, allerdings verbleibe nach wie vor ein Konflikt- und Eskalationspotenzial, insbesondere im Norden. „Auch für die Zukunft kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein unerwarteter Zwischenfall zu einer Anspannung der Lage führen könnte.“ Die kosovarischen Sicherheitskräfte seien zunehmend besser in der Lage, mit sicherheitsrelevanten Situationen umzugehen. „So werden Großdemonstrationen von der kosovarischen Polizei professionell begleitet und gewaltsame Ausschreitungen mit polizeilichen Mitteln eingedämmt.“
Kosten von 41,9 Millionen Euro
Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehören laut Antrag neben der Unterstützung der „Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multiethnischen und friedlichen Kosovo“ die Unterstützung des Aufbaus der Kosovo Security Force beziehungsweise der Kosovo Armed Forces (KAF) „und anderer Akteure im Rahmen der Sicherheitssektorreform (SSR) unter Vorbereitung der weiteren Einbindung in euro-atlantische Strukturen“.
Deutschland stehe zum Selbstbestimmungsrecht Kosovos und werde den Prozess der Weiterentwicklung der kosovarischen Sicherheitskräfte „in Richtung defensiv ausgerichteter regulärer Streitkräfte im Rahmen eines langfristigen Zeitplans, einer engen Einbindung der kosovarisch-serbischen Minderheit sowie einer Normalisierung der nachbarschaftlichen Beziehungen zu Serbien auch weiterhin eng bilateral begleiten“. Die Kosten für die einsatzbedingten Zusatzausgaben der Bundeswehr beziffert die Bundesregierung für weitere zwölf Monate auf insgesamt rund 41,9 Millionen Euro. (ahe/hau/22.06.2017)