Parlament

Fragestunde: Kai Geh­ring fragt nach dem Urhe­ber­recht in der Wis­sen­schaft

In der Fragestunde des Bundestages am Mittwoch, 21. Juni 2017, hat die Bundesregierung Fragen von Abgeordneten (18/12749) beantwortet, unter anderem von Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung von Bündnis 90/Die Grünen. Sein Thema war das Urheberrecht in der Wissenschaft, das reformiert werden soll: Hochschulen, Bibliotheken und wissenschaftliche Einrichtungen sollen künftig leichter urheberrechtlich geschützte Werke in Lehre und Forschung nutzen können, ohne dafür die Genehmigung von Verlagen einholen zu müssen. Eine solche sogenannte Bildungs-und Wissenschaftsschranke ist das Ziel eines Gesetzentwurfs (18/12329), den die Bundesregierung Mitte April in den Bundestag eingebracht hat. Doch nach einer ersten Lesung im Plenum und einer Anhörung im Rechtsausschuss im Mai scheint das umstrittene Gesetzesvorhaben auf der Kippe zu stehen. Für Gehring wäre ein Scheitern ein „innovationspolitisches Armutszeugnis“. In der Fragestunde wollte er von der Bundesregierung erfahren, ob sie weiterhin eine Verabschiedung in der kommenden Sitzungswoche anstrebt, damit das Gesetz wie geplant Ende Juni in Kraft treten kann. Im Interview dringt der Essener Abgeordnete auf einen raschen Abschluss: „Stillstand und Rechtsunsicherheit können wir uns einfach nicht leisten. Die Schrankenregelungen müssen jetzt ins Gesetzblatt – es ist Eile statt Verzögerungstaktik geboten.“ Das Interview im Wortlaut:


Herr Gehring, die die Reform des Wissenschaftsurheberrechts schien auf einem guten Weg zu sein. Doch nun wachsen die Zweifel, ob das Gesetz vor der Bundestagswahl noch kommt. Was genau ist das Problem?

Die Koalition hat es jahrelang nicht geschafft, sich auf ein Gesetz zur Reform des Wissenschaftsurheberrechts zu einigen, obwohl dies 2013 im Koalitionsvertrag so vereinbart wurde. Nun liegt endlich ein Entwurf vor – aber die Union steht auf der Bremse. Zwar unterstützen ihn die Wissenschaftsexperten in der Fraktion, doch die Rechtspolitiker wollen weiterreichende Änderungen zugunsten der Verlage. Die Verlage hatten zuvor auch mit den Ländern lange um die Nutzung und Vergütung wissenschaftlicher Literatur gestritten. Die Konsequenz von so viel Zwist: An den Hochschulen herrscht große Rechtsunsicherheit, welche Nutzungen erlaubt sind.

Der Gesetzentwurf zielt auf die Schaffung einer Bildungs-und Wissenschaftsschranke. Eine solche allgemeine Ausnahmeregelung haben auch Sie und Ihre Fraktion in der Vergangenheit gefordert. Warum sind die geltenden Regelungen reformbedürftig?

Das Urheberrecht entspricht nicht den Bedürfnissen unserer Wissensgesellschaft. Insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung können nicht ausgeschöpft werden. Wir haben deshalb eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke beantragt, um das Urheberrecht für Forschen, Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter fit zu machen. Der Regierungsentwurf enthält allerdings statt einer solchen umfassenden Lösung gleich mehrere einzelne Schrankenregelungen. Er ist ein Kompromiss – der durchaus einen Schritt in die richtige Richtung geht, aber auf keinen Fall weiter verwässert werden darf.

Insbesondere die Verlage laufen aber Sturm: Sie fürchten finanzielle Nachteile und kritisieren, wie etwa in der Expertenanhörung im Rechtsausschuss, dass der Gesetzentwurf grundgesetz- und europarechtswidrig sei. Inwiefern sind solche Vorwürfe gerechtfertigt?

Der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ist starker Tobak. Schließlich geht es um eine Güterabwägung, mit dem Ziel, eine faire Lösung für alle Beteiligten zu finden. Die Argumentation einzelner Sachverständiger, die dies bei der Anhörung ignorierten, fand ich nicht nachvollziehbar und übertrieben. Immerhin hat sich die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, ein Zusammenschluss der bedeutendsten Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland, für den Gesetzentwurf ausgesprochen. Die Verlagsbranche hingegen hat es in der Vergangenheit versäumt, ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell für die Digitalisierung zu entwickeln. Einen besseren Vorschlag als die Wissenschaftsschranke gibt es nicht – und die Verlage haben selbst auch keinen vorgelegt.

Wird es denn zur Abstimmung über den Gesetzentwurf kommen, wenn sich die Rechtsexperten in der Union mit ihrer Forderung nach weiteren Änderungen zugunsten der Verlage durchsetzen?

Die Koalition muss sich als Ganzes einigen. Gelingt das nicht, wäre der Gesetzentwurf gescheitert – und das wäre ein Desaster! Eine jahrelange Diskussion bliebe folgenlos. Doch ein Rückzug von angekündigten Reformen ist bei dieser Koalition leider an der Tagesordnung – wie etwa die steuerliche Forschungsförderung beweist, die nun offenbar auch nicht mehr kommt.

Was würde ein Scheitern für Wissenschaft und Forschung bedeuten?

Ein Scheitern wäre ein innovationspolitisches Armutszeugnis: Der komplette Beratungsprozess müsste in der nächsten Legislaturperiode von vorne beginnen. Lehrende und Lernende, aber auch die Urheber wären die Verlierer. So viel Stillstand und Rechtsunsicherheit können wir uns einfach nicht leisten. Die Schrankenregelungen müssen jetzt ins Gesetzblatt – es ist Eile statt Verzögerungstaktik geboten.

(sas/21.06.2016)

Marginalspalte