Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist mit einem Antrag zur Einführung der sogenannten Bürgerversicherung gescheitert. Union und SPD lehnten die Vorlage (18/12951) am Donnerstag, 29. Juni 2017, im Bundestag ab, obgleich auch die SPD eigentlich einen solchen Systemwechsel befürwortet. Die Linksfraktion, die ebenfalls für eine Bürgerversicherung eintritt, enthielt sich der Stimme, weil sie das Konzept der Grünen nicht in jedem Detail mitträgt. Ein weiterer Antrag der Grünen (18/10035) zur Entlastung von freiwillig versicherten Selbstständigen, der von den Linken unterstützt wird, fand ebenfalls keine Mehrheit im Parlament. Union und SPD votierten mit ihrer Mehrheit dagegen. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschuss für Arbeit und Soziales (18/12673) zugrunde.
Die Grünen plädieren für eine schrittweise Einführung einer Bürgerversicherung. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) beruhe derzeit fast ausschließlich aus Einkünften aus Beschäftigung und werde hauptsächlich von Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen getragen, hieß es in dem Antrag. Das sei unsolidarisch und gefährde die finanzielle Stabilität. Arbeitnehmer mit höherem Einkommen, Beamte, Minister, Abgeordnete und viele Selbstständige sorgten in der Privaten Krankenversicherung (PKV) nur für sich selbst vor. Viele wünschten sich im Alter bei sinkenden Einkommen und steigenden Prämien eine solidarische Absicherung.
Rosinenpickerei und Zwei-Klassen-Medizin
Das gespaltene Krankenversicherungssystem führe zu Rosinenpickerei und zu einer Zwei-Klassen-Medizin. Das System biete für viele ältere Versicherte, für kleine Handwerker oder Solo-Selbstständige mit geringem Einkommen keine bezahlbare soziale Absicherung. In die Bürgerversicherung müssten alle nach ihren finanziellen Möglichkeiten einzahlen. Auch andere Einkunftsarten wie Aktiengewinne würden in die Finanzierung einbezogen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber würden wieder jeweils zur Hälfte an den Beiträgen beteiligt. Die Zusatzbeiträge würden abgeschafft. Die Leistungen von Ärzten würden einheitlich vergütet und abgerechnet.
Zudem sollte dem Antrag zufolge die Wahlfreiheit ausgebaut werden. So könne die Bürgerversicherung auch von der PKV angeboten werden, die sich dann dem Wettbewerb mit den gesetzlichen Krankenkassen stellen müssten. Alle Bürger könnten somit frei zwischen gesetzlichen und privaten Kassen wählen.
Grüne: Beitrag zur Solidarität, Verlässlichkeit und Qualität
Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) sagte in der Aussprache, das Konzept sei ein Beitrag zur Solidarität, Verlässlichkeit, Qualität und Wahlfreiheit als Antwort auf die Herausforderungen des Gesundheitssystems.
Eine stabile und nachhaltige Finanzierung der Gesundheitskosten sei angesichts des demografischen Wandels unbedingt erforderlich. Es müsse jetzt gehandelt werden und nicht irgendwann. So seien die Zusatzbeiträge ungerecht und belasteten einseitig die Versicherten.
SPD fordert paritätische Finanzierung der GKV
Auch Dr. Edgar Franke (SPD) sprach sich dafür aus, zur vollständigen paritätischen Finanzierung der GKV zurückzukommen. Es könne nicht sein, dass der medizinische Fortschritt allein von den Arbeitnehmern gezahlt werde. Die SPD sei aber koalitionstreu und werde daher den „guten Antrag“ der Grünen nicht unterstützen. Franke betonte, die Bürgerversicherung sei der richtige Weg, wenn man sich auch über die Details streiten könne. Zunächst müsse es darum gehen, die Zusatzbeiträge abzuschaffen.
Zudem sei eine einheitliche Honorarordnung für Ärzte sinnvoll. Hingegen wolle die SPD Mieteinnahmen nicht beitragspflichtig machen. Im Gesundheitssystem sei auch weiter Wettbewerb nötig, um die besten Leistungen zu erreichen. Die Bürgerversicherung sei ein Modell der Zukunft.
CDU/CSU: Wir stehen zur Dualität des Systems
Thomas Stritzl (CDU/CSU) kritisierte hingegen, der Antrag sei „kaum mehr als alter Wein in neuen Schläuchen“. Die Grünen wollten die Axt an ein gutes Gesundheitssystem legen. Die wirtschaftlichen Folgen wären erheblich. So habe die Hans-Böckler-Stiftung hochgerechnet, dass bei einer Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung unmittelbar 51.000 Stellen in der Versicherungsbranche wegfallen würden. Tausende weitere Arbeitsplätze wären bedroht.
Stritzl betonte: „Wir stehen zur Dualität des Systems.“ Das duale Gesundheitssystem sichere den Fortschritt und müsse erhalten bleiben. Die GKV stehe im Übrigen mit 16,7 Milliarden Euro Rücklagen sehr gut da. Mit der Einführung einer Bürgerversicherung würde die Zahl der beitragsfrei Mitversicherten erheblich steigen. Die in dem Konzept der Opposition gemachten Versprechen könnten vermutlich nur gehalten werden, wenn zugleich das Leistungsniveau abgesenkt werde.
Linke: Viele Selbstständige mit Beiträgen überfordert
Sabine Zimmermann (Die Linke) sagte, Stritzl argumentiere wie ein Lobbyist der PKV. Auch ihre Fraktion streite für den Wechsel zu einer Bürgerversicherung. Es gebe auch viele Schnittpunkte mit dem Grünen-Konzept, allerdings sei die Linke dagegen, den Wettbewerb im Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten. Gesundheit und Pflege gehörten zur Daseinsvorsorge und dürften nicht zur Gewinnmaximierung genutzt werden.
Was die Selbstständigen angehe, sei eine Reform der Beitragsbemessung ebenfalls überfällig, fügte Zimmermann hinzu. Sie warf der Koalition vor, die Probleme insbesondere der schlecht verdienenden Solo-Selbstständigen nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Viele kleine Selbstständige lebten unter prekären Bedingungen, verdienten oft weniger als 1.000 Euro im Monat und seien mit ihren Beiträgen überfordert.
Union sieht keine verlässliche Datenbasis
Jana Schimke (CDU/CSU) warnte hingegen vor kurzfristigen gesetzlichen Änderungen ohne eine verlässliche Datenbasis. Zwar bezögen viele Solo-Selbstständige tatsächlich ein geringes Einkommen, viele arbeiteten aber auch nicht Vollzeit.
Zudem spreche einiges dafür, dass in diesen Haushalten noch ein Hauptverdiener vertreten sei. Es sei auch zu wenig darüber bekannt, wie diese Gruppe für das Alter vorsorge. Ausreichend valide Daten seien aber nötig, bevor Gesetze geändert würden. Die von der Opposition angeführten Beispiele rechtfertigten jedenfalls nicht, dass ein bestehendes System auf den Kopf gestellt werde. (kos/29.06.2017)