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Hegelich erwartet keine große Gefahr durch Social Bots im Wahl­kampf

Soll die Politik den zunehmenden Einsatz von Meinungsrobotern im Bundestagswahlkampf ernst nehmen oder handelt es sich um eine maßlos überschätzte Erscheinung? Das Phänomen der Social Bots stand im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „W-Forum“ am Montag, 17. Juli 2017, der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Die Thematik der Meinungsmanipulation durch künstliche Intelligenz stand in der laufenden Wahlperiode mehrfach auf der Agenda von Ausschusssitzungen des Bundestages. Den Social Bots komme vermutlich auch deshalb eine so große Aufmerksamkeit zu, weil die von diesen Programmen ausgehenden Gefahren noch kaum abschätzbar seien, sagte Prof. Dr. Simon Hegelich.

Der Politikwissenschaftler und Datenanalytiker von der Hochschule für Politik der Technischen Universität München vermittelte in seinem gut einstündigen Vortrag und der folgenden Diskussion im W-Forum einen Eindruck davon, welche Bedeutung die Bots, die sich wie menschliche Nutzer in Debatten der Sozialen Netzwerke einschalten, heute haben und welche Wirkungen von ihnen jetzt und in Zukunft ausgehen können.

Hegelich: Wir erleben einen Strukturwandel der Öffentlichkeit

Es war Hegelich ein Anliegen, das Auftreten der Bots in den größeren Zusammenhang einer rasanten technologischen Entwicklung zu stellen. „Wir erleben gerade eine neue digitale Revolution“, für die der Begriff der Digitalisierung schon nicht mehr ausreiche, da er lediglich die technologische Seite des Geschehens beschreibe. Ausgestattet mit neuen technischen Infrastrukturen und Möglichkeiten vollziehe sich aber nun ein tiefgreifender, „nie dagewesener Wandel gesellschaftlicher Praktiken, ein Strukturwandel der Öffentlichkeit.“

Eine unüberschaubare Fülle neuer Akteure trete an die Stelle der traditionellen Medien, deren Geschäftsmodell ausgedient habe. Zu der Vielzahl an „Sendern“ komme der „Echtzeit-Effekt“, mit der Nachrichten heute gepostet und kommentiert werden könnten. Und darüber, welche Inhalte als relevant zu erachten seinen, entschieden kaum durchschaubare Algorithmen.

Zu dem Bild des umfassenden gesellschaftlichen Umbruchs gehöre die internationale Dimension der Digitalisierung. So wüchsen die globalen Datenströme weitaus stärker als etwa die Finanzströme oder der Warenverkehr, die gemeinhin als Synonym für die Globalisierung gelten. Und Jugendliche verbrächten heute im Schnitt vier Stunden pro Tag mit dem Konsum von Onlineangeboten.

Veränderung der Demokratie

Wie aber Öffentlichkeit gemacht werde, und sich verändere, sei von fundamentalem Interesse für die Demokratie. Und mit den digital getriebenen gesellschaftlichen Veränderungen gehe auch eine Veränderung der Demokratie einher. „Diese Veränderung der Demokratie erleben wir jetzt“, stellte Hegelich fest.

Die Politik nehme sich offenbar jetzt des Themas an, und fühle sich regulatorisch zuständig. Die traditionellen Institutionen müssten gegenüber der digitalen Medienumgebung allerdings noch an Geschwindigkeit gewinnen, und sich besser daran anpassen, mahnte Hegelich. Eine Flucht aus der Onlinewelt sei der falsche Weg. Es gehe darum, den neu entstandenen digitalen Raum mitzugestalten und die reale Welt im Internet zu spiegeln. „Digitalisierung und Demokratie stehen nicht im Widerspruch zueinander.“ So sei es demokratiefördernd, dass die Bürger mehr Gelegenheit bekämen mit Abgeordneten zu diskutieren.

Geschäftsmodelle der Internetfirmen

Die Geschäftsmodelle der großen Internetfirmen, von Google bis Facebook oder Twitter basierten dabei darauf, eine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die darauf ziele, Inhalte zu finden und zu präsentieren. Der Content selbst komme ja von den Usern. Hegelich rief dabei in Erinnerung, wie ungeplant Facebook gewachsen sei, und von einem Dienst für das Teilen privater Eindrücke immer mehr an Bedeutung gewonnen habe und schließlich, auch getrieben von den Nutzern, in das Politische hineingewachsen sei. Geteilte Inhalte würden heute zu Nachrichten. 

Zwar hätten das massive Wachstum der Sozialen Netzwerke und die Spuren, die die Nutzer dort hinterließen, dem Microtargeting Tor und Tür geöffnet. So könnten die Parteien wie Unternehmen die Facebook-Aktivitäten ihrer potenziellen Wähler auswerten und für sich nutzen. Es sei aber schwer, und von Fall zu Fall zu entscheiden, ob daraus abgeleitete gezielte, auf den individuellen Nutzer zugeschnittene Informationen eine gute Sache seien oder auf das Feld der Manipulation führten. Ebenso schwer seien die realen Auswirkungen von, möglicherweise durch Social Bots verbreiteten, Fake News messbar.

Gesellschaftliches und politisches Risiko

Hegelich betonte, das gesellschaftliche und politische Risiko bei den Bots bestehe in der möglichen Skalierung. Durch das Vorgeben einer falschen Größenordnung komme es zu einer Verzerrung von Trends. So habe das größte bislang bekannte Bot-Netz 350.00 Fake Accounts, die vorgeben menschliche Nutzer zu sein, umfasst. Sämtliche Sozialen Netzwerke sind anfällig, betonte Hegelich, vor allem aber der Kurznachrichtendienst Twitter. Man gehe davon aus, dass in den USA  neun bis 15 Prozent der Twitter-Accounts, und in Deutschland auch mindestens zehn Prozent maschinengesteuert seien. Damit werde versucht Desinformationskampagnen zu führen, Geschichten zu spinnen.

Dabei sei es jedoch wie mit dem Unwesen von Spam: „Die meisten Bots sind schlicht Werbe-Schleudern.“ Damit würden keine politischen Ziele verfolgt. „Daraus kann man schwerlich eine Beeinflussung der politischen Meinung ableiten“, sagte Hegelich.

Kompetenz der Nutzer ist entscheidend

Der Nachrichtenmarkt sei heute größer als je zuvor. Es hänge letztlich stark von der Kompetenz der Nutzer ab, ob Falschmeldungen auf fruchtbaren Boden fielen. Auch in der dem Vortrag folgenden Diskussion wurde dafür plädiert, neben den Produzenten von Inhalten die Nutzer stärker in den Blick zu nehmen: Kommen sie mit der Fülle an Nachrichten zurecht? Profitieren sie von der Meinungsvielfalt des Internet oder richten sie sich in ihrem eigenen Resonanzraum ein? Die Teilnehmer der Runde waren sich einig, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, den kompetenten Umgang mit den Medien zu vermitteln.

Als Fazit konnte Hegelich zunächst Entwarnung geben. „Kurzfristig ist aus dem Bereich der Social Media-Manipulation keine große Gefahr für die Wahl zu erwarten.“ Begründung: Es sei sehr schwer, Nutzer zu manipulieren, man dürfe die Menschen nicht unterschätzen. Die meisten User hätten ein eher geringes Vertrauen in die Sozialen Netzwerke, und man könne durchaus Lerneffekte beobachten, beispielsweise im Umgang mit den Amokläufen in München und Berlin. So sei die Internet Community im Berliner Fall viel behutsamer mit möglichen Falschmeldungen umgegangen.

Die Rolle der Sozialen Medien in den USA

Zu dem häufigen Verweis auf die USA und die Rolle der Sozialen Medien dort bemerkte der Daten-Experte, man dürfe die Lage in den Vereinigten Staaten keinesfalls mit der hierzulande gleichsetzen. Die amerikanische, sehr polarisierte Gesellschaft, sei komplett anders gestrickt als die hiesige, nutze auch das Netz auf ihre Weise. Und als weiteren beruhigenden Aspekt führte er an: „Social Media sind nicht die Gesellschaft.“ Die sei als Korrektiv des Meinungsmarktes immer noch stark genug.

Durch Social Bots etwa auf Twitter in Deutschland eine Wahl zu entscheiden, sei – zumindest momentan – äußerst gering. Das liege auch daran, dass Twitter – anders als in den USA – hierzulande kein Massenphänomen darstelle, sondern vor allem professionell und von Personen des öffentlichen Interesses genutzt werde.

Entstehung einer rationalen globalen Wissensgesellschaft

Langfristig aber trieben die großen Internet-Unternehmen die Entwicklung der technischen Möglichkeiten und die gesellschaftlichen Veränderungen voran. Demgegenüber stünden als machtvolle Instanzen bislang einzig die Staaten. Es sei jedoch falsch, wenn man von staatlicher Seite zu stark auf Überwachung setze. Das würde ja bedeuten Unsicherheit zu schaffen in einer Struktur, von der immer mehr Menschen abhängen.

Und Hegelich warb dafür, bei allen Problemen nicht die äußerst positiven Errungenschaften des Internets zu vergessen, von denen auch die traditionellen Strukturen, Staaten und Gesellschaften, ja jeder Einzelne, profitierten: Das Web fördere das Entstehen einer rationalen globalen Wissensgesellschaft. (ll/18.07.2017)

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