Was hat der NSA-Ausschuss gebracht? Obleute ziehen Bilanz
Er hat Furore gemacht, nicht zuletzt in Deutschland. In diesem Sommer ist es vier Jahre her, dass Edward Snowden mit Enthüllungen über das weltweite Überwachungsnetz der National Security Agency (NSA) die Öffentlichkeit suchte. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat sich mittlerweile damit befasst, genau 581 Stunden und 21 Minuten lang nach der unüberbietbar präzisen Statistik der Parlamentsverwaltung – doch mit welchem Ertrag? Das ist die große offene Frage.
CDU/CSU: Snowdens Enthüllungen großteils widerlegt
Für CDU/CSU-Obfrau Nina Warken zählt zu den wesentlichen Leistungen des Ausschusses, Snowdens Enthüllungen, jedenfalls soweit sie Deutschland betreffen, in großen Teilen „klar widerlegt“ zu haben. So habe es eine „massenhafte, anlasslose Ausspähung deutscher Bürger nicht gegeben“.
Deutsche Dienste seien auch nicht Teil eines „weltumspannenden Spionagenetzwerkes“ gewesen: „Es gab viele Vorwürfe, von denen keiner sich nachweisen lassen konnte.“
Grüne: Rechtswidriges Verhalten von Behörden aufgedeckt
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Dr. Konstantin von Notz als Obmann den Ausschuss betreut, und sein Fazit lautet, dass dort „jahrelang rechtswidriges Verhalten deutscher Behörden“ ans Licht gekommen sei. Exemplarisch sei aus den Erkenntnissen über die Kooperation der NSA mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) deutlich geworden, mit welchen Methoden die Amerikaner weltweit Informationen fischen.
Das lockende Angebot laute „Technik gegen Daten“. Die deutsche Seite werde mit überlegener Spionagesoftware aus den USA aufgerüstet. Im Gegenzug erhalte die NSA Gelegenheit, auf Glasfaserknotenpunkte und Fernmeldekabel in Deutschland zuzugreifen.
„Für niemanden im Netz gibt es Rechtssicherheit“
Das Leitmotiv der fast dreijährigen Ermittlungstätigkeit des Ausschusses, das Generalthema – für die Christdemokratin Warken ist es das Verhältnis der Werte „Freiheit“ und „Sicherheit“ und die Frage, wie sie in „Einklang“ zu bringen seien. Für den Grünen von Notz ist es die Zukunft der Demokratie im digitalen Zeitalter: „Die Dienste agieren im Netz nach dem Motto: Das ist ein grundrechtsfreier Raum.“
Wenn der nach Artikel 10 des Grundgesetzes normierte Schutz des Fernmeldegeheimnisses in der digitalen Welt seine Wirkung verliere, bedeute das: „Für niemanden im Netz gibt es Rechtssicherheit“, warnt von Notz. Das Vertrauen in die Errungenschaften der „digitalen Revolution“ gehe so verloren: „Artikel 10 ist die Bedingung, dass wir ein freies Land sind.“
Linke: Jede einzelne Grundrechtsverletzung wiegt
Den Rechtsstaat in Gefahr sieht auch Martina Renner, Obfrau der Linken im Ausschuss. Sie hebt als eines der wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen hervor, dass der BND nicht in der Lage sei, aus der Flut im Ausland erfasster Kommunikation die Daten deutscher „Grundrechtsträger“ zuverlässig auszufiltern.
Dass dies nicht „zu 100 Prozent“ gelinge, haben Zeugen in den Vernehmungen selbst eingeräumt. Renner hält auch eine Erfolgsquote von 99 Prozent für „realitätsfern“. Doch selbst wenn es 99,8 Prozent wären – das Fernmeldegeheimnis sei ein Individualrecht: „Jede einzelne Grundrechtsverletzung wiegt. Das Grundgesetz kennt kein Quorum.“
„Ich habe nicht den Eindruck, dass sich was bewegt“
Den Einwand, der von mehreren BND-Zeugen zu hören war, nicht die versehentliche Erfassung der Daten deutscher Grundrechtsträger, allein die Auswertung der so gewonnenen Informationen wäre ein Rechtsverstoß, lässt Renner nicht gelten. Sie verweist auf das einschlägige Gesetz, das den Umgang mit Daten insgesamt regele – Erhebung, Speicherung, Weiterverarbeitung, Löschung. Der Versuch des BND, sich „herauszureden“, sei „definitiv jenseits jeder Rechtsrealität“.
Als Konsequenz aus den Erkenntnissen des Ausschusses würde sich Renner wünschen, dass das Kanzleramt die Rechts- und Fachaufsicht über die Geheimdienste künftig aktiver wahrnimmt. Sich über jede einzelne Operation unterrichten lässt, was bisher nicht der Fall ist. „Nicht wartet, dass es informiert wird“, sondern selber ermittelt. Im BND selbst würde Renner dem Prinzip der Schriftlichkeit gerne mehr Geltung verschaffen: „Die haben zu dokumentieren, was sie tun.“ Indes: „Ich habe nicht den Eindruck, dass sich was bewegt.“
SPD: Es war kein NSA-, sondern ein BND-Ausschuss
„Es war am Ende kein NSA-Ausschuss, es war ein BND-Ausschuss“, sagt SPD-Obmann Christian Flisek und betont, die „intensive Arbeit“ habe sich gelohnt: „Wir haben alle was gelernt.“ Nie zuvor hätten Parlamentarier so tiefe Einblicke in den operativen Alltag und in die Praxis der Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten gewonnen. Manches sei freilich, weil vom Untersuchungsauftrag nicht erfasst, auch im Dunkeln geblieben.
Der Ausschuss habe sich mit Kooperationsverhältnissen befasst, die jeweils den BND und einen westlichen Nachrichtendienst betreffen. Notgedrungen unbeachtet seien dabei Hinweise geblieben, dass gelegentlich Geheimdienste dritter Staaten eingebunden sind: „Auch jenseits des Untersuchungsauftrages hätte es Dinge gegeben, die interessant gewesen wären.“
„Zwischen den Partnern Standards entwickeln“
Problematisch findet Flisek die Klausel in bestehenden Kooperationsvereinbarungen, Inhalte der Zusammenarbeit vor „Dritten“ geheim zu halten. Mit diesem Hinweis hatte die Bundesregierung dem Ausschuss den Einblick in die Liste der NSA-Selektoren verwehrt und vom Bundesverfassungsgericht recht bekommen: „Wir müssen sehen, wenn die internationale Kooperation der Dienste immer wichtiger wird, dass wir zwischen den Partnern Standards entwickeln.“ Nach Fliseks Vorstellung sollte dazu das Informationsrecht der Parlamente gehören, sonst werde „eigenmächtig jede Kontrolle weggezeichnet“.
Dass der BND Daten deutscher Bürger massenhaft und unkontrolliert an die NSA weitergeleitet habe, haben Zeugen in öffentlichen Vernehmungen stets bestritten. In ihren Sondervotum geht die Opposition dennoch davon aus. Von Notz beruft sich auf „Erkenntnisse, die wesentlich über das hinausgehen, was in öffentlichen Sitzungen gesagt wurde“. Renner sieht es als eine der größten Erfolge des Ausschusses, dass es durch beharrliches Bohren gelungen sei, die massenhaft Datenausleitung festzustellen: „Es hat ewig gedauert, bis wir über große Zahlen gesprochen haben.“
„Anstoß zur größten Reform der BND-Geschichte gegeben“
Die Opposition habe „ergebnisorientiert“ gearbeitet, meint dagegen der SPD-Mann Flisek, nur dass „die Ergebnisse schon vorher feststanden“. Dass hinter verschlossenen Türen fundamental andere Erkenntnissen gewonnen worden wären, kann Flisek aus eigenem Erleben nicht bestätigen: „Die Opposition hat ihr Geschäft betrieben, das Geschäft der permanenten Skandalisierung.“
Festzuhalten ist aus Fliseks Sicht hingegen, dass der Ausschuss den Anstoß zur „größten Reform der BND-Geschichte“ gegeben und die SPD-Fraktion dazu bereits im Sommer 2015 die Vorlage geliefert habe. Die im Herbst 2016 verabschiedete BND-Gesetznovelle hebt auch die CDU-Kollegin als Verdienst des Ausschusses hervor: „Für die Zukunft müssen wir sehen, wie Dinge, die wir umgesetzt haben als Reform, ankommen, ob das ausreicht, ob wir noch was machen müssen.“ (wid/07.08.2017)