Bundesregierung besorgt über die weltweite Aufrüstung
Die Bundesregierung betrachtet die weltweite Aufrüstung und die zunehmenden Verletzungen von Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträgen mit Sorge. „Nordkoreas aggressives Nuklearstreben, die Zukunft der Wiener Vereinbarung zum iranischen Nuklearprogramm, der Giftgasangriff von Khan Shaykhun in Syrien, Fragen der vollständigen Implementierung bestehender Verträge sowie vertrauensbildender Maßnahmen – das waren nur einige der düsteren Schlaglichter, die 2017 zu einem Jahr gewaltiger und zum Teil gewaltsamer Belastungsproben für Rüstungskontrolle und Abrüstung machten“, heißt es in dem als Unterrichtung vorliegenden Jahresabrüstungsbericht 2017 (19/1380), über den das Bundestagsplenum am Donnerstag, 19. April 2018, debattierte.
Minister setzt auf Sanktionsdruck und Dialog
Außenminister Heiko Maas (SPD) bedauerte, dass die „Zeichen in vielen Teilen der Welt auf Aufrüstung“ stehen und gleichzeitig die „regelbasierte, kooperative Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur“ erodiere. „Kaum eines der Abrüstungsregime funktioniert noch im vollen Umfang.“ Die Bundesregierung sähe ihre Aufgabe darin, „auf allen Ebenen für politische Lösungen zu kämpfen und Eskalationen entgegenzuwirken“.
Deutschland unterstütze deshalb den Doppelansatz von Sanktionsdruck und Dialog gegenüber Nordkorea wegen dessen atomarer Aufrüstung. Die neue Unsicherheit wegen des Atom-Abkommens mit dem Iran bezeichnete Maas als „alles andere als hilfreich“. Die Bundesregierung setzte sich „sehr intensiv“ gegenüber der USA dafür ein, dieses Abkommen zu erhalten.
AfD: Sanktionen gegenüber Russland beenden
Armin-Paulus Hampel (AfD) kritisierte, dass die Bundesregierung bei Konflikten mitreden und für Ausgleiche sorgen wolle, bei denen Deutschland keinerlei Gewicht habe. Der Aufruhr im Nahen Osten sei eine Folge des Irakkriegs der Amerikaner und zum anderen „postkolonialer Schrott“ von Franzosen und Briten, den Deutschland nicht aufzuräumen habe. Es müsse vielmehr darum gehen, erst einmal bei der Bundeswehr wieder Milliarden von Euro zu investieren, damit „andere Länder uns ernst nehmen“.
Hampel betonte zudem, dass die „Nuklearkomponente“ als Teil der Abschreckung für Frieden in Europa gesorgt habe und sorge. Er warb aber dafür, die Sanktionen gegenüber Russland zu beenden: „Nur Gespräche mit Moskau garantieren den europäischen Frieden.“
CDU/CSU: Iran-Abkommen ist ein Fortschritt
Jürgen Hardt (CDU/CSU) nannte das Iran-Abkommen einen „Fortschritt, weil er die Sicherheit des Staates Israel erhöht“. Es gebe berechtigte Fragen an den Iran, wegen dessen aggressiven Kurses gegenüber Israel. Wenn man aber mit israelischen Generälen und Politikern spreche, bekomme man zu hören, dass man sich dort zwar mehr wünsche, es aber nicht im Sinne der Sicherheit Israels sei, diesen Vertrag einfach über Bord zu werfen.
Hardt appellierte zudem an Russland, für Transparenz bei den jüngsten Chemiewaffeneinsätzen und -anschlägen – in Syrien wie im Falle des früheren russischen und späteren britischen Spions Sergei Skripal – zu sorgen. Es gebe ein strenges Regime zur Ächtung und zum Verbot chemischer Waffen. Dies sei aber nur durchsetzbar, wenn sich alle Partner an dieses Chemiewaffenübereinkommen und dessen Verifikationsregime halten.
FDP: Iran-Abkommen erhalten
Alexander Müller (FDP) hob hervor, dass es trotz aller Rückschläge gelungen sei, in den letzten drei Jahrzehnten die Zahl der nuklearen Sprengköpfe auf der Welt von 64.000 auf heute 15.000 zu reduzieren. Dieser Weg müsse weiter beschritten werden. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass das nicht „durch einseitigen Nuklearverzicht“ machbar sei.
Solange es Staaten gebe, die gegen Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und gegen selbst gegebene Sicherheitsgarantien wie das Budapester Memorandum verstoßen, solange „müssen wir uns durch Abschreckung verteidigen können“, sagte Müller mit Blick auf Russland. Er appellierte zudem an die Bundesregierung, „alle diplomatische Kanäle nutzen“, um das Iran-Abkommen zu erhalten.
Linke kritisiert Einseitigkeit der Vorwürfe gegen Russland
Dr. Gregor Gysi (Die Linke) kritisierte die Einseitigkeit der Vorwürfe gegenüber Russland: Es sei wahr, dass Russland den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) suspendiert habe, aber die Bundesregierung verschweige, das sämtliche Nato-Staaten dessen Ratifizierung zuvor abgelehnt hätten. Gysi erinnerte daran, dass die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ein negatives Vorbild mit der „von der Nato gewaltsam betriebenen“ Abtrennung des Kosovos von Serbien gehabt habe.
„Der Westen hat so sehr gegen Russland gesiegt, dass er meinte, das Völkerrecht nicht mehr zu benötigen.“ Es sei fatal, dass verschiedene Bundesregierungen geglaubt hätten, russische Kooperationsangebote ignorieren zu können und stattdessen den „Konfrontationskurs der USA ohne Sinn und Verstand mittragen“ zu müssen. Nun fordere US-Präsident Donald Trump, dass Deutschland massiv seine Rüstungsausgaben erhöhen müsse. „Sofort riefen Frau Merkel und Frau von der Leyen: Wir machen das. Man darf zu Herrn Trump aber auch Nein sagen.“
Grüne monieren deutsche Waffenexportpolitik
Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) bezweifelte den politischen Willen der Bundesregierung, für Abrüstung und neue Vertrauensbildung zu sorgen. So habe Außenminister Maas davor gewarnt „einseitig Deals mit der russischen Seite“ zu suchen. „Mit wem sonst wollen Sie Abrüstungsverträge denn schließen als mit Russland? Mit sich selbst?“
Keul verwies zudem auf das Schweigen der Bundesregierung zum Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und zum Atomwaffenverbotsvertrag der vereinten Nationen. Im scharfen Kontrast zur Sorge vor einer neuen Rüstungsspirale stehe zudem die deutsche Waffenexportpolitik. „Seit Jahren liefert die Bundesregierung mehr Waffen an Drittstaaten als an Bündnispartner, das widerspricht ihren eigene Grundsätzen und auch deutschen Sicherheitsinteressen.“
Anträge der Linken und Grünen
Der Jahresabrüstungsbericht wurde nach der Debatte vom Plenum in die Ausschüsse überwiesen. Keine Mehrheit fanden die abrüstungspolitischen Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen (19/1299, 19/976). Die Linke hatte die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, für den Erhalt des INF-Vertrages (Treaty on Intermedieate range Nuclear Forces) einzutreten, der Russland und die USA auf den Verzicht auf landgestützte Atomraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern verpflichtet. Der Auswärtige Ausschuss hat empfohlen, den Antrag abzulehnen (19/1733).
Die Grünen wiederum rufen die Bundesregierung dazu auf, dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beizutreten und daran mitzuwirken, dass das Verhältnis zum Atomwaffensperrvertrag (NVV) „konstruktiv und verstärkend ausgestaltet wird“. Gegen den Antrag der Linken stimmten CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der AfD und Grünen. Der Antrag der Grünen wurde von der Linksfraktion unterstützt. CDU/CSU, SPD und FDP stimmten gegen die Vorlage bei Enthaltung der AfD. Auch hier hat der Auswärtige Ausschuss empfohlen, den Antrag abzulehnen (19/1732). (ahe/19.04.2018)