Aus Sicht von Umweltverbänden führt an verpflichtenden Hardware-Nachrüstungen bei Dieselfahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen kein Weg vorbei. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses unter Vorsitz von Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) zu Anträgen der FDP-Fraktion (19/1695) sowie der Fraktion Die Linke (19/1360) am Montag, 25. Juni 2018, deutlich.
„Kosten müssten die Hersteller tragen“
Die durch das von der Bundesregierung favorisierte Software-Update zu erreichenden 25 bis 30 Prozent Verminderung der Stickoxidemissionen, die aber auch nur bei optimalen Witterungsbedingungen erreichbar seien, reichten nicht aus, sagte Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Schließlich würden die Grenzwertüberschreitungen in einigen Städten bei mehr als 100 Prozent liegen. Die Kosten für die benötigten Hardware-Updates müssten die Hersteller tragen, sagte der BUND-Vertreter.
Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sagte, bei Temperaturen von ein bis zwei Grad lägen die Emissionswerte mit Software-Updates sogar höher als ohne. „Software-Updates tragen nicht dazu bei, dass die Luftqualität entscheidend verbessert wird“, sagte sie. Daher würden technische Nachrüstungen benötigt, die durch die Hersteller finanziert und durchgeführt werden müssten, da nur so eine korrekte Ansteuerung des SCR-Katalysators durch die von den Herstellern programmierte Motorsteuerung sichergestellt werden könne. Es gebe verfügbare Hardware-Nachrüstungen, sagte Saar. Die DUH gehe von Kosten in Höhe von 1.500 Euro pro Fahrzeug aus.
„Software-Update mit schnellster Wirkung“
Widerspruch gab es dazu von Prof. Dr. sc. techn. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie, Mitautor einer Studie, wonach Hardware-Nachrüstungen technisch kompliziert und teuer seien. Eine feldfähige Hardware-Lösung existiere derzeit nicht, sagte Koch. Die schnellste Wirkung, um die Stickoxidemissionen zu reduzieren, werde mit einem Software-Update erreicht, sagte er. Nachrüstlösungen hätten hingegen zur Folge, dass mit ihnen möglicherweise ein Sachverhalt verbessert werde, aber mehrere neue Probleme auftauchten.
Prof. Dr. Georg Wachtmeister von der Technischen Universität München, der in einer weiteren Studie für die Bundesregierung SCR-Katalysatoren als System für die Nachrüstung empfohlen hatte, warnte davor zu denken, es gebe schnelle Nachrüstungen „aus der Schublade“. Es werde Fahrzeuge geben, bei denen es schwierig bis unmöglich sei, einen motornahen Platz für den Katalysator und den AdBlue-Tank zu finden. Daher könne er sich spezielle Software-Lösungen für Städte vorstellen, sagte Wachtmeister.
„Messdaten nach standardisierten Verfahren auswerten“
Prof. Dr. Matthias Klingner vom Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktur-Systeme kritisierte die gewählten Standorte für die Emissionsmessungen. So sei etwa das Neckartor in Stuttgart nicht repräsentativ für den Luftzustand der Stadt. Je näher die Messcontainer an der Fahrbahn stünden, desto höher lägen auch die ermittelten Werte, sagte Klingner. Im Interesse schutzwürdiger Personen sei es vielmehr, Messungen in angrenzenden Kindergärten, Altenheimen, Krankenhäusern sowie Park- und Wohnanlagen durchzuführen und die Messdaten nach einem standardisierten Verfahren auszuwerten.
ADAC-Vertreter Alexander Möller warnte davor, Mobilität und Gesundheit gegeneinander auszuspielen. Ziel müsse es sein, Grenzwerte einzuhalten und Fahrverbote zu vermeiden, sagte er. Ein generelles Fahrverbot, wie es mit einer Blauen Plakette verbunden sei, lehne der ADAC ab, betonte Möller. Das Bundesverwaltungsgericht habe ohnehin lediglich lokale Fahrverbote als letztes Mittel erlaubt. Aus Sicht des ADAC-Vertreters haben die Kommunen aber noch nicht sämtliche Möglichkeiten zur Emissionssenkung ausgeschöpft.
„Kommunen haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft“
Hilmar von Lojewski, Vertreter des Deutschen Städtetages, sah das anders. Die Kommunen hätten sehr wohl alle Möglichkeiten ausgeschöpft, „die sie mit eigenen Mitteln darstellen können“. Enttäuscht zeigte er sich von dem seitens der Bundesregierung aufgelegten „Sofortprogramm Saubere Luft“, von dem noch nicht ein Cent abgeflossen sei, weil sich die Abwicklung für die Kommunen als ausgesprochen sperrig gestalte. Der benötigte „Blanko-Scheck“ für die Kommunen sei das Programm nicht, sagte Lojewski.
Frank M. Schmid von dem Beratungsunternehmen Schmid Mobility Solutions GmbH warnte vor einer ausschließlichen Betrachtung der Stickoxidemissionen. Eine nur darauf gerichtete Minderungsstrategie könne die Erhöhung anderer Emissionen zur Folge haben, sagte er.
Antrag der FDP
Um drohende Fahrverbote zu verhindern, müssen aus Sicht der FDP-Fraktion „intelligente Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in deutschen Städten“ ergriffen werden. Die Bundesregierung wird in der Vorlage aufgefordert, einen realistischen Zeitplan zur Einführung der vorgesehenen Programme zur Nachrüstung von Dieselbussen und der Digitalisierung des Verkehrs entsprechend dem Sofortprogramm „Saubere Luft“ vorzulegen. Zudem müssten „im Sinne des Verursacherprinzips“ die Autohersteller, die Fahrzeuge mit Betrugssoftware ausgeliefert haben, ohne Einschränkung in die Pflicht genommen werden, die betroffenen Fahrzeuge auf eigene Kosten umzurüsten. Führt eine solche Umrüstung zu einem höheren Kraftstoffverbrauch, muss es nach Ansicht der FDP „einen Vertrauensschutz für die getäuschten Verbraucher bei der Kfz-Steuer“ geben.
Um die infrage kommenden Maßnahmen nicht nur nach Maßgabe ihrer Wirksamkeit, sondern auch ihrer Wirtschaftlichkeit umzusetzen, soll die Regierung „Luftreinhaltepläne auf Basis von Kosten-Wirksamkeits-Analysen entwickeln“. Außerdem wird die Regierung aufgefordert, den Ausbau der digitalen Infrastruktur zu beschleunigen, damit moderne Technologien wie das vernetzte Fahren schnell umgesetzt werden können und die innerstädtischen Verkehre weiter verflüssigt werden.
Die Abgeordneten verweisen zur Begründung ihrer Initiative auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018, wonach die Kommunen dazu verpflichtet seien, „durch geeignete Maßnahmen in ihren Luftreinhalteplänen den Zeitraum von Überschreitungen der geltenden Stickstoffoxid-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten“. Darüber hinaus hätten die Richter festgestellt, dass Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge in Ausnahmefällen eine geeignete Maßnahme darstellen könnten, diese aber nicht zwingend seien und vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden müsse, schreibt die FDP.
Antrag der Linken
Auch Die Linke will Autohersteller zur technischen Nachrüstung von Diesel-Pkw verpflichten, um Fahrverbote zu vermeiden. Die Fraktion fordert die Bundesregierung auf anzuordnen, dass die Dieselfahrzeughersteller „auf ihre Kosten“ innerhalb eines Jahres bei allen Diesel-Pkw mit den Schadstoffklassen Euro 4, 5 und 6 bis 6c, die in Deutschland zugelassen sind, Hardwarenachrüstungen vorzunehmen haben, so dass die im RDE-Verfahren (Real Driving Emissions) gemessenen Stickoxidemissionen den Wert von 200 Mikrogramm pro Kilometer nicht überschreiten. Im Falle von Diesel-Fahrzeugtypen ab Euro 4, bei denen sich eine Hardware-Nachrüstung bis Ende 2018 als technisch nicht möglich erweist oder unverhältnismäßig ist, müsse gewährleistet werden, dass die Besitzer finanziell entschädigt werden, verlangt die Linksfraktion.
Die Regierung wird ferner aufgefordert, alle Messergebnisse der Untersuchungskommission „Volkswagen“ unter Offenlegung der angewendeten Messverfahren zu veröffentlichen und alle noch nicht gemessenen Diesel-Pkw ab Emissionsklasse Euro 4 bis Euro 6c ebenfalls im RDE-Verfahren zu messen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Sollten sich trotz Hardwarenachrüstung örtliche Fahrverbote nicht vermeiden lassen, müsse eine bundeseinheitliche Regelung für Diesel-Pkw auf Basis der oben genannten Messergebnisse im realen Betrieb erlassen werden. Ziel sei es, den betroffenen Kommunen ein einheitliches rechtssicheres Instrument zur Verfügung zu stellen und unterschiedliche Regelungen in den Städten zu vermeiden, heißt es in dem Antrag.
Die Linke vertritt die Auffassung, dass die Bundesregierung „viel zu wenig gegen die Abgasmanipulationen der Autoindustrie unternimmt“. Seit Jahren ignoriere sie die Feststellungen von Verbraucher- und Umweltverbänden sowie der Fachöffentlichkeit, dass Dieselautos „auf der Straße erheblich höhere Emissionen haben als im Labor“. Wie die Abgeordneten schreiben, bildeten die Emissionen von Dieselfahrzeugen mit einem Anteil von 68 Prozent den Hauptgrund für die hohen Stickoxidwerte in den Innenstädten. Ein schlechtes Abgasverhalten zeigten fast alle Dieselfahrzeuge unterhalb der Schadstoffnorm Euro-6d-Temp, „unabhängig vom Vorhandensein illegaler Abschalteinrichtungen“. (hau/26.06.2018)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Jens Hilgenberg, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
- Prof. Dr. Matthias Klingner, Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktur-Systeme
- Prof. Dr. sc. techn. Thomas Koch, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
- Hilmar von Lojewski, Deutscher Städtetag
- Alexander Möller, ADAC e.V.
- Dorothee Saar, Deutsche Umwelthilfe e.V.
- Frank M. Schmid, Schmid Mobility Solutions GmbH
- Leif-Erik Schulte, TÜV NORD Mobilität GmbH & Co. KG
- Prof. Dr. Georg Wachtmeister, Technische Universität München