Aktuelle Stunde

Fraktionen schätzen Arbeitsmarktlage unterschiedlich ein

Die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist so gut wie selten zuvor. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD sehen Deutschland auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Die Opposition widerspricht dieser Einschätzung, denn ihr zufolge wird die hohe Beschäftigungsquote auf Kosten eines viel zu großen Niedriglohnsektors erkauft. In einer am Mittwoch, 6. Juni 2018, auf Verlangen der Koalitionsfraktionen beantragten Aktuellen Stunde zur „besten Arbeitsmarktlage seit der Wiedervereinigung und Herausforderungen für die Zukunft“ schenkten sich beide Lager nichts.

Minister wirbt für sozialen Arbeitsmarkt

Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse sei in den vergangenen Jahren auf über 32 Millionen gestiegen und die Arbeitslosenquote wurde auf 5,1 Prozent halbiert, bilanzierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die „gute Wirtschaftslage und guten politischen Rahmenbedingungen“. Doch der Erfolg komme nicht bei allen in Deutschland an.

Zwar sei die Massenarbeitslosigkeit überwunden, aber die Langzeitarbeitslosigkeit noch nicht im Griff. „Arbeit ist mehr als Broterwerb, sondern Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“, sagte Heil, der für die Vorzüge eines staatlich finanzierten sozialen Arbeitsmarktes warb. In diesem Sinne verteidigte der Minister die angehäufte hohe Rücklage von über 20 Milliarden Euro der Agentur für Arbeit. Das Geld soll dazu dienen, zu viele Unwägbarkeiten der Zukunft abzufedern, zum Beispiel in der Folge möglicher Handelssanktionen und deren Folgen für die Unternehmen.

Außerdem dürfe sich nicht auf den Erfolgen ausgeruht werden, denn der technologische Wandel werde Auswirkungen auf die Beschäftigung in der Zukunft haben. Wohl jeder vierte Arbeitsplatz werde von der Automatisierung berührt. „Viele Tätigkeiten werden sich verändern, deshalb muss auf Qualifizierung und Weiterbildung gesetzt werden.“ Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollen dabei unterstützt werden, kündigte Heil an.

AfD kritisiert größer werdenden Niedriglohnsektor

Die Koalition schätzt die Lage nicht realistisch ein. Uwe Witt (AfD) kritisierte die SPD, die im Wahlkampf zwar mehr soziale Gerechtigkeit versprochen habe. In Wirklichkeit seien viele Familien aber auf zwei Einkommen angewiesen, um ihren Unterhalt überhaupt bestreiten zu können. Der immer größer werdende Niedriglohnsektor sei nur das Ergebnis einer fortlaufenden Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die Vorgängerregierungen.

Witt monierte, dass die Koalitionsfraktionen von Vollbeschäftigung reden, obwohl viele Arbeitnehmer gezwungen seien, ihre niedrigen Gehälter mithilfe von Sozialleistungen aufzustocken. „Schaffen Sie einen tragfähigen Rahmen für kleine und mittlere Unternehmen, damit diese in der Lage sind, Mitarbeiter zu ordentlichen Löhnen einzustellen“, forderte der Abgeordnete in Richtung Regierungsbank.

CDU/CSU: Wirklicher, echter, nachhaltiger Aufschwung

„Wir haben einen wirklichen, echten und nachhaltigen Aufschwung am Arbeitsmarkt“, sagte Peter Weiß (CDU/CSU). Dass sich der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren fortsetzen werde, davon gab sich der Unionsabgeordnete überzeugt. Als Erklärung dafür führte er an, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit am Arbeitsmarkt gefunden habe. Die hohe Qualität und Präzision der Produkte würden den übrigen Erfolg ausmachen.

Nun gelte es jenen zu helfen, die Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Weiß sprach sich für Lohnkostenzuschüsse aus, die beim Einstieg von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt helfen sollen.

FDP erkennt keine Strategie der Regierung

Die Liberalen schätzen die Lage am Arbeitsmarkt als erfreulich ein. Doch Johannes Vogel (FDP) bezeichnete die Arbeits- und Sozialpolitik der Koalition als zu kurzsichtig. Er begründete dies mit den Plänen zur Rentenpolitik, die die jüngeren Generationen belasten würden, aber auch mit der in der vergangenen Wahlperiode „über Gebühr regulierten Zeitarbeit“. Wenn auch noch die Rahmenbedingungen zur Befristung neu geregelt werden sollten, werde die gelobte Flexibilität zum Schaden des deutschen Arbeitsmarktes „zurückgeschraubt“.

Der Abgeordnete warf der Bundesregierung vor, dass bisher „keine echte Strategie vorgelegt wurde, die sich der digitalen Weiterbildung widmet“. Dabei lägen zum Beispiel Vorschläge zur Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes auf dem Tisch, die die Bundesregierung nur zur Kenntnis nehmen müsse.

Linke: Qualität der Beschäftigung ist entscheidend

„Eine ehrliche Arbeitslosenstatistik“ forderte Jessica Tatti (Die Linke). Zwar gebe es offiziell den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit sei dem Jahr 1990, doch sei das „schöngerechnet“. Kranke, Arbeitslose in Weiterbildungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobber und über 57-Jährige ohne Arbeit würden nicht mitgezählt. Statt bei 2,3 Millionen Arbeitslosen liege die Zahl in Wirklichkeit bei über 3,3 Millionen.

Infolge der Einschnitte durch die Agenda 2010 und das daraus resultierende Hartz IV seien viele in „mies“ bezahlte Jobs getrieben worden. Das als beste Arbeitsmarktlage zu bezeichnen, sei „der blanke Hohn und Spott“. Die Vollbeschäftigung sage nichts über die Qualität der Beschäftigung aus, denn in den letzten zehn Jahren habe sich die Anzahl der Menschen, die trotz Arbeit arm seien, verdoppelt. Tatti fordert eine Verbesserung der Bedingungen, indem der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben wird und von den jährlich rund 1,7 Milliarden geleisteten Überstunden nicht rund eine Milliarde unbezahlt bleibt.

Grüne halten am Konzept Bürgerversicherung fest

„Wir haben deutlich über drei Millionen Arbeitslose in Deutschland“, kritisierte auch Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen), der Deutschland weit von der Vollbeschäftigung entfernt sah. Zudem hat der Aufschwung seiner Ansicht nach mit den guten ökonomischen Rahmenbedingungen zu tun, aber nicht mit dem Handeln der Regierung. „Denn Deutschland steht in Europa an der Spitze der Langzeitarbeitslosigkeit.“ Ebenfalls Spitze sei Deutschland bei der Armutsquote unter den Arbeitslosen. „Wir brauchen eine vernünftige Grundsicherung“, stellte der Grüne fest.

Auch seien immer mehr Erwerbstätige zunehmend von Armut betroffen. Jede Menge prekäre Beschäftigung, die vor allem Frauen, aber auch Männer betreffe, verschärfe das Problem. „Das ist keine gute, sondern eine schlechte Arbeitsmarktlage“, resümierte Strengmann-Kuhn, der für eine grundsätzliche Reform der sozialen Versicherungen warb. Die Bürgerversicherung müsse für die Arbeit, die Rente und Pflege gelten. Alle sollen einbezogen werden, um Hartz IV überwinden zu können. Es gelte jetzt, die gute ökonomische Situation für einen Umbau des Sozialsystems zu nutzen.

SPD will Rückkehr in Vollzeit erleichtern

Kerstin Tack (SPD) entgegnete den Kritikern der Koalition, dass keine einzige konkrete Maßnahme von der Opposition vorgebracht worden sei, um die angeblich schlechte Lage zu verbessern. „Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist gut“, sagte sie. Und die Herausforderungen seien vielfältig, stellte Tack im Hinblick auf den prognostizierten Fachkräftemangel fest. Dem Mangel könne aber durch die europäische Freizügigkeit, die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes und durch ungenutztes Potenzial auf dem Arbeitsmarkt begegnet werden.

Tack hob hervor, dass viele Frauen mehr arbeiten möchten, als sie derzeit können oder dürfen. Die Sozialdemokratin bemängelte, dass insbesondere Frauen oft von Arbeitszeitreduzierungen betroffen seien aufgrund familiärer Verpflichtungen infolge der Kindererziehung oder Pflege von Familienangehörigen. Für die betroffenen Arbeitnehmerinnen sei es schwer, im Anschluss in den Beruf voll einzusteigen, „denn es gibt keinen Anspruch, aus der Teilzeit in die Vollzeit zurückzukehren“. Das gelte es zu ändern. (eis/06.06.2018)

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