Die Absicht der Bundesregierung, Asylberechtigte künftig zur Mitwirkung in Verfahren zu verpflichten, die die Aufhebung ihres Flüchtlingsstatus zur Folge haben können, findet überwiegend die Zustimmung der Praktiker in Justiz und Verwaltung. Kritik äußerten dagegen am Montag, 5. November 2018, in einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU) die Vertreter der Anwaltschaft.
Generell haben die Behörden drei Jahre nach einem positiven Asylbescheid zu überprüfen, ob die Voraussetzungen dafür noch vorliegen. Bisher können sie die Betroffenen nicht verpflichten, sie dabei durch eigene Angaben zu unterstützen. Mit einer Änderung des Asylgesetzes (19/4456, 189/4548) will die Bundesregierung hier nun Abhilfe schaffen.
„Bamf muss 773.000 Asylbescheide überprüfen“
Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Dr. Hans-Eckhard Sommer, wies in der Anhörung darauf hin, dass seine Behörde bis Ende 2020 nicht weniger als 773.000 Asylbescheide zu überprüfen habe. Dies sei eine „bis dato einmalige“ Herausforderung, von der zu befürchten sei, dass sich in diesem Zeitraum sämtliche Ressourcen auf Widerrufsverfahren konzentrieren könnten.
In dieser Lage sei die geplante Einführung einer Mitwirkungspflicht der Betroffenen ein „wichtiger und zielführender Beitrag“ von „außerordentlicher Bedeutung“ für die Arbeit des Bamf. Die Behörde hätte damit etwa die Möglichkeit, ärztliche Atteste direkt von den Asylberechtigten anzufordern, um Klarheit über mögliche Abschiebehindernisse zu gewinnen.
„Sehr, sehr gutes Gesetz“
Von einem „sehr, sehr guten Gesetz“, von dem er sich viel erhoffe, sprach auch der Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Engelhard Mazanke. Er wies darauf hin, dass Asylberechtigte nach drei Jahren einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis stellen können, die ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht garantiert. Die zuständigen Ausländerbehörden könnten über solche Anträge aber erst entscheiden, wenn das Bamf ihnen bestätige, dass sich an den Gründen für die Asylberechtigung der Betroffenen nichts geändert habe.
Derzeit sei die Nürnberger Behörde aber regelmäßig außerstande, eine solche Überprüfung innerhalb der gebotenen Frist vorzunehmen. Wenn die Einführung einer Mitwirkungspflicht der Betroffenen dazu helfe, die Widerrufsverfahren zu beschleunigen, sei dies zu begrüßen.
„Widerruf von Asylentscheidungen eingehend prüfen“
Der Leiter der Rechtsabteilung der Berliner Vertretung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Dr. Roland Bank, machte geltend, dass aus völkerrechtlicher Sicht der Rücknahme fehlerhafter Asylentscheidungen oder dem Widerruf eines Flüchtlingsstatus nach Wegfall der Voraussetzungen nichts im Wege stehe. Die Genfer Flüchtlingskonvention diene schließlich nicht dem Zweck, „Personen Schutz zu gewähren, die dieses Schutzes gar nicht bedürfen“.
Die Mitgliedstaaten der EU seien europarechtlich sogar verpflichtet, Asylberechtigten den Schutz zu entziehen, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr gegeben seien. Allerdings sei jeder Widerruf unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit eingehend zu prüfen. Eine solche Maßnahme dürfe auch nicht anlasslos, sondern nur bei „konkreten Anhaltspunkten für den Wegfall des Schutzbedarfs“ erfolgen.
„Fakten und Tatsachen korrekt benennen“
Für den Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein wandte sich Berenice Böhlo gegen die Annahme, es habe in den Krisenjahren 2015 und 2016 zahlreiche fehlerhafte Asylbewilligungen gegeben, die nun um der „Befriedung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ willen dringend zu korrigieren seien. Böhlo sprach von einer Scheindebatte. Dass damals Asylbewerber eine überforderte Behörde massenhaft getäuscht hätten, treffe nicht zu. Der Anteil der tatsächlich belegbaren Fälle dieser Art liege im unteren einstelligen Prozentbereich. Der gesellschaftlichen Befriedung sei mehr gedient, wenn „Fakten und Tatsachen“ korrekt benannt würden, mahnte Böhlo.
Als „weder notwendig noch geeignet“ kritisierte auch Thomas Oberhäuser vom Deutschen Anwaltverein den Entwurf. Er sei nicht mehr als ein „monströser Beschäftigungsapparat für das Bundesamt, die Anwaltschaft und die Verwaltungsgerichte“.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Vorgesehen ist, dass schutzberechtigte Ausländer künftig zur Mitwirkung bei Widerrufs- und Rücknahmeverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verpflichtet werden. Neben der bereits bestehenden Mitwirkungspflicht für Asylbewerber im Asylantragsverfahren soll nun auch eine Mitwirkungspflicht des Schutzberechtigten in Widerrufs- und Rücknahmeverfahren gesetzlich festgeschrieben werden.
Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht soll das Bamf „den Schutzberechtigten mit den Mitteln des Verwaltungszwangs zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten anhalten sowie, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen, nach Aktenlage über den Widerruf oder die Rücknahme entscheiden“ können. Eine ausbleibende oder unvollständige Mitwirkung des Betroffenen soll von der Behörde zu seinen Lasten berücksichtigt werden können.
Bamf muss alle Umstände berücksichtigen
Eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist laut Vorlage unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dabei ist den Angaben zufolge spätestens drei Jahre nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf beziehungsweise eine Rücknahme vorliegen.
Um diese Prüfung sachgerecht ausüben zu können, habe das Bamf bei der Überprüfung der Asylbescheide alle Umstände zu berücksichtigen. Eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen könne hierbei für das Bundesamt „neben den eigenen sowie den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden, der Sozialbehörden sowie der Ausländerbehörden zusätzliche Erkenntnisse begründen“.
„Angaben nicht immer hinreichend überprüft“
Wie die Bundesregierung ferner ausführt, hat das Bamf während des Migrationsgeschehens in den Jahren 2015 und 2016 zur Beschleunigung der Verfahren in vielen Fällen die Asylanträge ohne die sonst obligatorische Anhörung im rein schriftlichen Verfahren entschieden. „Angaben zu Identität, Staatsangehörigkeit sowie zum Fluchtgeschehen konnten demnach nicht immer hinreichend überprüft und gewürdigt werden“, heißt es in der Vorlage weiter.
Den Widerrufs- beziehungsweise Rücknahmeverfahren komme gerade in diesen Fällen eine besondere Bedeutung zu. Mit der Festschreibung der Mitwirkungspflichten im Asylgesetz solle dafür Sorge getragen werden, „dass im wohlverstandenen Interesse der tatsächlich Schutzbedürftigen diejenigen Entscheidungen aufgehoben werden, bei denen zu Unrecht der Schutzstatus zuerkannt wurde beziehungsweise bei denen die Gründe für die Schutzgewährung zwischenzeitlich entfallen sind“.
Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates
Die Bundesregierung trägt das Anliegen des Bundesrates mit, „dass alle Personen, die zum Zeitpunkt eines Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens über 14 Jahre alt sind, sich erkennungsdienstlich behandeln lassen sollen, sofern sie zum Zeitpunkt der Asylantragstellung noch nicht 14 Jahre alt waren“. Dies geht aus der Gegenäußerung der Bundesregierung auf die zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf hervor. (wid/sto/05.11.2018)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Berenice Böhlo, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., Berlin
- Engelhard Mazanke, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Berlin
- Thomas Oberhäuser, Rechtsanwalt, Deutscher Anwaltverein, Ulm
- Dr. Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, Berlin
- Dr. Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg
- Prof. Dr. Daniel Thym, LL.M. (London), Universität Konstanz
- Dr. Roland Bank, Leiter der UNHCR-Vertretung in Deutschland (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen), Berlin
- N.N.