Nick: Europarat sollte sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren
Eine „stärkere Konzentration der Parlamentarischen Versammlung und des Europarats als Ganzes auf die dringlicher gewordenen Kernaufgaben des Staatenbunds“ fordert Dr. Andreas Nick im Interview. Dabei gehe es um den „Schutz der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der pluralistischen Demokratie in allen 47 Mitgliedsländern“, so der CDU-Bundestagsabgeordnete. Zudem müsse die Arbeit der Europaratsabgeordneten effizienter werden. Über konkrete Schritte zum Erreichen dieser Ziele will die Versammlung bei ihrer Sitzung vom 8. bis 12. Oktober 2018 entscheiden. Nick leitet die Bundestagsdelegation in Straßburg. Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Nick, Sanktionen gegen Ex-Präsident Pedro Agramunt und mehrere Abgeordnete, zudem eine Verschärfung der Verhaltensregeln: Der Korruptionsskandal in der Parlamentarischen Versammlung scheint überwunden zu sein. Trotzdem wird über weitere Reformen diskutiert. Ist die Krise schwerer als gedacht?
Unsere Versammlung hat mit dem Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission und den folgenden Entscheidungen des Geschäftsordnungsausschusses zügig und sachgerecht ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Schwerwiegende Vorwürfe wurden weitgehend aufgeklärt, nachgewiesene Verfehlungen sanktioniert. Beim Bundestag dauert die Prüfung von möglichen Verstößen gegen die Verhaltensregeln im Fall einer betroffenen Abgeordneten noch an. Die nationalen Parlamente sind aufgefordert, Straßburg bis Ende des Jahres über ihre Entscheidungen und Maßnahmen zu informieren.
Welche Reformziele verfolgt die Ad-hoc-Kommission, die monatelang über „Rolle und Auftrag“ der Versammlung beraten hat?
Für die deutsche Delegation sind zwei Ziele von vorrangiger Bedeutung. Zum einen ist das die stärkere Konzentration der Versammlung und des Europarats als Ganzes auf die dringlicher gewordenen Kernaufgaben des Staatenbunds – auf den Schutz der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der pluralistischen Demokratie in allen 47 Mitgliedsländern. Zum anderen geht es um eine bessere Legitimation und Glaubwürdigkeit durch effizientere Prozesse und Abläufe unserer Arbeit in Straßburg.
Wie will man die ambitionierten Ziele erreichen?
Das Präsidium hat den Bericht des Ad-hoc-Komitees Ende Juni veröffentlicht und zwei Ausschüsse beauftragt, konkrete Vorschläge zu erarbeiten. Über Rolle und Auftrag unserer Versammlung berät der Politische Ausschuss, Schritte hin zu einer effizienteren Arbeit erörtert der Geschäftsordnungsausschuss. Über deren Vorschläge werden wir 2019 entscheiden.
Ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs soll die Rolle des Europarats als Garant der Einheit des Kontinents auf der Basis freiheitlich-rechtsstaatlicher Werte bekräftigen. Aber wäre eine solche Konferenz tatsächlich hilfreich?
Die Überlegungen zu einem Gipfel stehen im Zusammenhang mit dem 2019 anstehenden 70. Jahrestag der Gründung des Europarats. Dies wäre in der Tat eine gute Gelegenheit, das Bekenntnis zu den Grundwerten unseres Staatenbunds zu bekräftigen – gerade angesichts negativer Entwicklungen in einer wachsenden Zahl von Mitgliedsländern. Dies betrifft ja nicht nur Aserbaidschan, die Türkei oder Russland, sondern auch EU-Staaten wie Polen und Ungarn.
Der Entzug des Stimmrechts der Moskauer Delegierten wegen der Annexion der Krim sowie im Gegenzug der russische Boykott der Abgeordnetenkammer und der Stopp der Beitragszahlungen haben zu einem eisigen Verhältnis zwischen Straßburg und Moskau geführt. Nun haben in der Ad-hoc-Kommission auch russische Vertreter mitgearbeitet. Leitet dies eine Annäherung ein?
Was die Annexion der Krim, den Konflikt in der Ostukraine und die Menschenrechtslage in Russland betrifft, so hat sich die kritische Einschätzung in der Parlamentarischen Versammlung nicht wirklich verändert. Dies gilt auch für die Frage der Beitragszahlungen: Der Europarat ist nicht erpressbar. Andererseits wollen viele ein Ausscheiden Moskaus aus dem Staatenbund vermeiden. Auch in Russland tätige Menschenrechtsorganisationen fordern uns eindringlich auf, den Zugang zum Menschenrechtsgerichtshof für die Bürger Russlands unbedingt zu erhalten.
Als Bedingung für eine Rückkehr ins Europaratsparlament fordert Moskau, dass nationalen Delegationen das Stimmrecht nicht mehr aberkannt werden darf. In Straßburg wird überlegt, Sanktionen nicht mehr mit einfacher Mehrheit, sondern mit einer Zweidrittelmehrheit zu beschließen. Könnte das ein Kompromiss sein?
Die belgische Kollegin Petra de Sutter hat als Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses einen Bericht mit konkreten Vorschlägen erarbeitet, über den im Oktober entschieden werden soll. Dabei geht es auch darum, einen möglichen institutionellen Konflikt zwischen der Parlamentarischen Versammlung und dem Ministerkomitee des Europarats in dieser Frage zu vermeiden. Ob diesen Änderungen eine notwendige Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten zustimmt, bleibt abzuwarten. Persönlich würde ich es begrüßen, wenn die Versammlung – unabhängig vom Ausgang der Entscheidung über die Veränderung der Geschäftsordnung – in einer zusätzlichen Debatte oder Resolution klarstellt, dass sich ihre Haltung in den strittigen völkerrechtlichen Fragen nicht verändert hat.
(kos/01.08.2018)