Mit breiter Mehrheit hat der Bundestag am Freitag, 30. November 2018, den Gesetzentwurf (19/4948, 19/5419, 19/5647 Nr. 17) der Bundesregierung für ein Qualifizierungschancengesetz in geänderter Fassung auf Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (19/6146) und eines Berichts des Haushaltsausschusses zur Finanzierbarkeit gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung (19/6147) angenommen. Für den Entwurf stimmten neben den Koalitionsfraktionen auch die FDP-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen – jedoch nicht aus purer Begeisterung, sondern als Anerkennung der Politik des ersten Schrittes. Die AfD-Fraktion und Die Linke enthielten sich der Stimme.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Ausdehnung der Weiterbildungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit vor, um Beschäftigte schon während ihrer Tätigkeit auf den digitalen Strukturwandel vorzubereiten und Arbeitslosigkeit so bereits im Vorfeld zu verhindern. Auch für Engpassberufe soll die Förderung gelten, die durch die Arbeitgeber kofinanziert werden soll. Darüber hinaus wird die Rahmenfrist in der Arbeitslosenversicherung, innerhalb derer man Ansprüche erwerben muss, auf 30 Monate erweitert. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt 2019 auf 2,5 Prozent des Bruttolohns. Außerdem wird die bisherige Befristung der 70-Tage-Regelung für kurzzeitige Beschäftigung aufgehoben.
Für Ärger bei den Oppositionsfraktionen, nicht wegen des Inhalts, aber wegen des formalen Ablaufs, sorgte die Tatsache, dass durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen der Gesetzentwurf zu einem sogenannten Omnibusgesetz erweitert worden ist: So ist an den Ursprungsentwurf nun noch eine Änderung des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte, eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes und eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes angehängt worden.
Die Alterssicherung der Landwirte musste nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Hofabgabeklausel neu justiert werden. Und mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes will die Koalition erreichen, dass auch Beschäftigte im Flugbetrieb der Luftfahrtunternehmen (Kabinenpersonal) einen Betriebsrat gründen können. Diese Änderung fand über die Koalitionsfraktionen hinaus eine breite Unterstützung auch in den anderen Fraktionen. Deutliche Kritik gab es in punkto Tarifeinheitsgesetz. Es könne nicht sein, dass die Änderung eines so komplexen Gesetzes an das Qualifizierungschancengesetz angehängt werde, lautete die Kritik der Oppositionsfraktionen.
Minister: Die Arbeit geht uns nicht aus
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, rechnete vor, dass bis 2025 rund 1,3 Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung und technologischen Wandel verloren gehen werden. Gleichzeitig würden aber in dieser Zeit zwei Millionen neue Jobs entstehen.
„Deutschland geht die Arbeit nicht aus“, aber die Menschen müssten auf diese neuen Jobs gut vorbereitet sein, betonte der Minister.
AfD: Das Gesetz erzeugt Mitnahme-Effekte
Jörg Schneider (AfD) bezeichnete es als „grobe Missachtung“ des Bundestages, dass die am 26. November zu einer Anhörung geladenen Sachverständigen offenbar eher über den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen informiert wurden als das Parlament.
Er warf der Regierung vor, durch den Gesetzentwurf neue Mitnahmeeffekte zu erzeugen, die auch dadurch nicht verhindert würden, dass innerbetriebliche Weiterbildung von der Förderung ausgeschlossen bleibe.
CDU/CSU: Sozialpartnerschaft gilt für alle
Peter Weiß (CDU/CSU) verteidigte das Vorgehen der Koalitionsfraktionen hinsichtlich des Änderungsantrags. Dies sei kein „Überraschungsangriff“ gewesen, sondern zeuge vielmehr von der „Treue“ gegenüber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die man damit umsetze.
Eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes sei dringend nötig gewesen, denn „wir erwarten Sozialpartnerschaft in allen Betrieben, die in Deutschland arbeiten“, betonte Weiß.
FDP: Es fehlt der Mut
Johannes Vogel (FDP) kritisierte das Verfahren ebenfalls. Ein Verfassungsgerichtsurteil, in dem es um Grundrechte gehe, auf diese Weise umzusetzen, sei „unparlamentarisch“. Vogel betonte außerdem, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag stärker, nämlich um 0,6 Prozentpunkte, hätte gesenkt wären können, denn so sei es keine „echte Entlastung“.
Außerdem werde der Entwurf einer nationalen Weiterbildungsstrategie nicht gerecht. Diese müsste über eine Fixierung auf die Bundesagentur für Arbeit und Beschäftigte in Angestelltenverhältnissen hinausgehen, so Vogel.
Linke: Erwerbslose stehen weiter im Regen
Aus Sicht von Sabine Zimmermann (Die Linke) geht der Entwurf am eigentlichen Problem vorbei, da er sich nur auf die Beschäftigten konzentriere, während Arbeitslose von Weiterbildung zu oft ausgeschlossen würden.
„Wir können es uns aber nicht leisten, drei Millionen erwerbslose Menschen einfach aufs Abstellgleis zu schicken. Geben Sie den erwerbslosen Menschen endlich eine echte Chance“, forderte sie. Die Verlängerung der Rahmenfrist auf 36 Monate greife zu kurz und werde die Schutzlücke in der Arbeitslosenversicherung nicht sichtbar schließen, sagte Zimmermann.
Grüne: Gesetz der verpassten Chancen
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) stellte ebenfalls fest, dass die Regierung so mit dem Parlament nicht umgehen könne, wie in Bezug auf den Änderungsantrag geschehen. Das Gesetz bezeichnete er als „Verpasste-Chancen-Gesetz“.
Angesichts dessen, was vor uns liege, sei viel mehr nötig und auch möglich gewesen. So reiche ein Recht auf Weiterbildungsberatung bei Weitem nicht. „Wir brauchen ein Recht auf Weiterbildung, verknüpft mit einer sozialen Absicherung, damit die Menschen sich das auch leisten können“, betonte Strengmann-Kuhn.
SPD: Die Risiken des Wandels minimieren
Katja Mast (SPD) verteidigte das Gesetz: Es sorge dafür, durch kluges Handeln die Risiken des künftigen Strukturwandels zu minimieren. „Es ist ein gewaltiger Schritt auf diesem Weg, es bietet Schutz und Chancen in diesem Wandel.“
Sie betonte, ihre Fraktion wolle mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung. „Denn werden die Menschen dennoch arbeitslos, muss dieser Schutz ausgebaut werden. Wir wollen weitere Erleichterungen beim Zugang zur Arbeitslosenversicherung und wer sich qualifiziert, soll dieses länger beziehen“, sagte Mast.
Oppositionsinitiativen abgelehnt
Abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/6162) bei Enthaltung der Linksfraktion, der unter anderem einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und Qualifizierung eingefordert hatte.
Ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag der FDP-Fraktion (19/4213), der die Entfristung der sogenannten 70-Tage-Regelung bei kurzfristiger Beschäftigung forderte. Lediglich die AfD unterstützte die Vorlage der Liberalen.
Auch keine Mehrheit fand ein Antrag der Fraktion Die Linke (19/5524) bei Enthaltung der Grünen, in dem eine Ausweitung der Qualifizierung und eine Stärkung der Arbeitslosenversicherung gefordert wurde.
FDP: Kurzfristige Beschäftigung weiterhin 70 statt 50 Tage
Die FDP-Fraktion nahm in ihrem Antrag Bezug auf die Ende 2018 auslaufende Sonderregel, nach der eine kurzfristige Beschäftigung statt 50 Tage 70 Tage dauern darf. Aus Sicht der Liberalen hat die Lockerung der zeitlichen Begrenzung nicht zu einer Zunahme der kurzfristigen Beschäftigung geführt und sich in den vergangenen Jahren bewährt.
Die Dauer von 70 Arbeitstagen oder drei Monaten entspreche zum Beispiel genau dem Zeitraum, in dem insbesondere landwirtschaftliche Betriebe auf saisonale Erntehelfer angewiesen seien, heißt es in dem Antrag.
Linke: Leistungszugang für Arbeitslosengeld-II-Bezieher verbessern
Die Linksfraktion forderte die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Zugang zu aktiven Leistungen der Arbeitsmarktpolitik auch für jene Erwerbslose verbessert, die bereits Arbeitslosengeld II beziehen. Außerdem soll ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung verankert werden. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Bezug von Arbeitslosengeld II, die sich in Weiterbildung befinden, sollen einen Zuschuss erhalten, der nicht auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts anrechenbar sein soll.
Darüber hinaus sollen Beschäftigte im Fall einer drohenden Arbeitslosigkeit einen Freistellungsanspruch für Berufs- und Weiterbildungsberatung erhalten.
Verzicht auf Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages
Auf die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages solle verzichtet werden, um damit Armut vermeidende Leistungsverbesserungen durchzusetzen, heißt es in dem Antrag. Unter anderem soll die Rahmenfrist, innerhalb derer man Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben muss, von zwei auf drei Jahre verlängert werden.
Ferner soll ein Anspruch auf zwei Monate Arbeitslosengeld bereits ab vier Monaten Beschäftigung eingeführt werden. Zeiten der Qualifizierung und Weiterbildung bis zu einer Dauer von 24 Monaten sollen die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldbezuges nicht mindern, forderte die Linksfraktion.
Gesetzentwurf der FDP zur Beitragssenkung
Der Bundestag hat darüber hinaus einen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung (19/434) abgelehnt. Nach dem Willen der Fraktion sollte der Beitragssatz durch Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) von drei auf 2,5 Prozent des Bruttolohns gesenkt werden.
Die Vorlage fand keine Mehrheit und wurde mit dem Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Grüne gegen die Stimmen der Fraktionen der AfD und FDP abgelehnt. Zur Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (19/877) vor.
Antrag der Linken zum Streikrecht bei Ryanair
Schließlich wurde mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Stimmenthaltung der Fraktionen AfD und Grüne einen Antrag der Fraktion Die Linke (19/5055) abgelehnt, in dem gefordert wurde, ein Streikrecht bei der Luftfahrtgesellschaft Ryanair durchzusetzen und generell die Mitbestimmungsrechte bei Luftfahrtunternehmen zu stärken. Die Linke kritisierte, dass die Gründung eines Betriebsrates in Luftfahrtunternehmen für im Flugbetrieb Beschäftigte nur per Tarifvertrag möglich sei. Weil sich Ryanair dem mit allen Mitteln widersetze, laufe das Mitbestimmungsrecht vollends ins Leere. Die Strategie von Ryanair, sich so weiterhin Wettbewerbsvorteile auf dem Rücken der Beschäftigten und auf Kosten der Flugsicherheit zu sichern, dürfe aber nicht zum Erfolg führen, heißt es in dem Antrag.
Die Linke forderte deshalb die Streichung des Paragrafen 117 des Betriebsverfassungsgesetzes, damit die in Deutschland stationierten Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen uneingeschränkte betriebliche Mitbestimmungsrechte erhalten. Außerdem sollten jene Unternehmen, die sich nicht an die ILO-Kernarbeitsnormen (ILO: Internationale Arbeitsorganisation) halten, insbesondere an die zur Vereinsfreiheit und zum Recht auf Kollektivhandlungen, die Start- und Landerechte in Deutschland entzogen werden. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (19/6134) zugrunde.
Änderungsantrag der Linken zum Gesetzentwurf
Ein Änderungsantrag der Linken (19/6208) wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD sowie der FDP bei Enthaltung der AfD und Unterstützung der Grünen abgelehnt. Ziel war es zu verhindern, dass die Beschäftigten von Ryanair und anderen Verkehrsfluggesellschaften ohne Not weitere vier Monate ohne den Schutz eines Betriebsrats bleiben.
Die dazu erforderliche Änderung des Paragrafen 117 des Betriebsverfassungsgesetzes sollte nach dem Willen der Linken zum 1. Januar 2019 in Kraft treten.
Antrag der Grünen zur Hofabgabeklausel
Schließlich stimmte der Bundestag auch über einen gemeinsamen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (19/4856) und Die Linke ab, die sogenannte Hofabgabeklausel endgültig abzuschaffen. Die Vorlage wurde mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen AfD, FDP, Die Linke und Grüne abgelehnt. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (19/5139) zugrunde.
Die Grünen forderten in dem Antrag einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Pflicht zur Hofabgabe als Voraussetzung für einen Rentenanspruch nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (sogenannte Hofabgabeklausel) endgültig und in vollem Umfang streicht. (che/hau/vom/30.11.2018)