Parlament

Sonja Steffen: Im Ent­wick­lungs­etat gibt es defini­tiv noch Luft nach oben

Sonja Steffen (SPD)

Sonja Amalie Steffen (SPD), für Entwicklungspolitik zuständige Berichterstatterin im Haushaltsausschuss des Bundestages (DBT/Thomas Koehler)

Die für Entwicklungspolitik zuständige Berichterstatterin im Haushaltsausschuss des Bundestages, Sonja Amalie Steffen (SPD), hält die im Koalitionsvertrag vereinbarte Koppelung von Entwicklungs- und Verteidigungsausgaben im Eins-zu-eins-Verhältnis für „schwer realisierbar“. „Die Koalition will damit vor allem eine Botschaft aussenden: Wenn wir jeden Cent, den wir zusätzlich an Steuergeldern einnehmen, in die Verteidigung stecken, sollten wir uns bitte auch an unsere entwicklungspolitische Verantwortung in der Welt erinnern“, sagt die SPD-Abgeordneten aus Stralsund (Vorpommern) in einem am Montag, 26. November 2018, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Schon wegen der „Schwierigkeiten im Verteidigungsetat“ mache ein Eins-zu-eins-Automatismus jedoch wenig Sinn, betonte sie mit Verweis auf überschüssige Gelder und „möglicherweise unrechtmäßige Beraterverträge“ im Ressort von Bundesverteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU). Das Interview im Wortlaut:  


Frau Steffen, der Bundeshaushalt steigt 2019 um 13 Milliarden Euro, vor allem die Ressorts Verteidigung, Entwicklung und Soziales profitieren. Sind Sie mit diesem Ergebnis zufrieden?

Ja, denn wir haben einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen. Dem Parlament ist es gelungen, für einige Ressorts deutlich mehr Mittel rauszuholen und das ist besonders in den Bereichen Entwicklung und Auswärtiges außerordentlich positiv. Das zusätzliche Geld soll in Bereiche fließen, in denen es wirklich knirscht: So stocken wir die Beiträge an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) sowie den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria auf und geben mehr Geld für Krisenprävention und Wiederaufbau. Kritisch sehe ich allerdings die starken Zuwächse im Verteidigungsressort.

Der Etat wächst deutlich um 4,71 Milliarden Euro. Was spricht dagegen?

Im Verteidigungsministerium liegt seit Jahren einiges im Argen. Das Geld wird oft nicht ausgegeben, zum Ende des Haushaltsjahres liegt es immer noch auf Halde. Dazu kommt die Affäre um die millionenschweren und möglicherweise unrechtmäßigen Beraterverträge. Da müssen wir Haushälter genau hinsehen, Befragungen durchzuführen und manchmal auch den Bundesrechnungshof einschalten. Ich will nicht werten, an wem oder woran das liegt, aber so ist die Lage.

Dem enormen Aufwuchs im Wehretat steht die Tatsache entgegen, dass die als Investitionen verbuchten Mittel im Gesamthaushalt sinken und in den folgenden Jahren stagnieren. Dabei sprudeln die Steuereinnahmen und alle beklagen den Investitionsstau im Land. Das kann doch nicht im Sinne der SPD sein.

Ganz so negativ sehe ich das nicht. Wir haben in diesem Jahr viel in Familien, den Wohnungsbau und andere zutiefst sozialdemokratische Projekte investiert. Das werden und können wir mit dem Haushalt 2019 fortsetzen. Was die Jahre danach angeht, können wir in der Finanzplanung nicht heute schon größere Investitionen ausweisen. Wir wissen schließlich noch nicht, welche Spielräume wir haben werden. Insofern sollten wir das Thema Investitionen nicht schon jetzt schlechtreden.

In den Beratungen konnte das Parlament den Etat von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) um weitere 520 Millionen Euro aufstocken. Dabei stand das Ressort viele Jahre lang bei den Haushältern nicht hoch im Kurs. Wie kommt es, dass ausgerechnet Müller sich nun über den zweitgrößten Investitionshaushalt im Bund freuen kann?

Die Fachpolitiker der Fraktionen, aber auch der Minister selbst, haben in den Beratungen richtig Druck gemacht. Solange, bis die Einsicht da war, dass es ohne ein deutliches Plus nicht geht. Die Entwicklungspolitik läuft ja immer Gefahr, in Vergessenheit zu geraten, weil alle sich erstmal auf die Probleme im Land konzentrieren. Aber das hat sich mit der Flüchtlingskrise geändert. Allen ist seither klar, dass man in den Herkunfts- und Transitländern mehr tun muss. Das schlägt sich inzwischen auch in der sogenannten ODA-Quote nieder, die den Anteil der öffentlichen Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt beziffert. Sie führte jahrzehntelang ein Schattendasein. Seit 2015 ist sie stark gestiegen.

Sie liegt jetzt immerhin bei 0,51 Prozent und damit auf dem Niveau des Vorjahres. International zugesagt ist seit 1970 aber eine Zielmarke von 0,7 Prozent  – zu erreichen bis 2015. Warum bricht die Regierung wieder ihr Versprechen?

Zugegeben, damit bin ich auch nicht zufrieden. Hier gibt es definitiv noch Luft nach oben. Andererseits sind wir schon jetzt nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Geber weltweit, wir machen also nicht gerade wenig. Und in reinen Zahlen steigt der Entwicklungshaushalt Jahr für Jahr deutlich an, im kommenden Jahr liegt er erstmals bei mehr als zehn Milliarden Euro. Außerdem werden bei der Berechnung der ODA-Quote die Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen im Inland nicht mehr berücksichtigt. Das war seit 2016 zu Recht sehr umstritten und nur deswegen lag die Quote damals bei der Zielmarke von 0,7 Prozent. 

Der Streit um die Quote ist seit Jahren ein Dauerbrenner in sämtlichen Entwicklungsdebatten und das wird offensichtlich so bleiben. Glauben Sie der Bundesregierung eigentlich noch, dass sie das 0,7-Prozent-Ziel tatsächlich umsetzen will?

Sagen wir mal so: Ich hoffe wenigstens, dass wir mit diesem Haushalt ein klares Signal setzen konnten. Die ODA-Quote muss steigen und nicht sinken. Sollte es bei der bisherigen mittleren Finanzplanung bleiben, würde Letzteres ab 2020 aber passieren. Und das müssen wir verhindern.

Es gibt zu dem Thema auch eine bemerkenswerte Passage im Koalitionsvertrag. Danach sollen Entwicklungs-  und Verteidigungsausgaben bis 2021 im Verhältnis eins zu eins steigen – spannend, wenn man sich die massiven Aufwüchse im Wehrressort ansieht. Nun monieren Teile der Opposition aber, dass der Verteidigungsetat 2019 um 13 Prozent steigt, während die ODA-Quote auf dem Niveau von 2018 verharrt. Andere sehen die Vorgabe als erfüllt an. Wer hat denn nun recht?

Die Eins-zu-eins-Regelung ist in diesem Haushalt tatsächlich nicht zu hundert Prozent realisiert worden. Hier ist zugunsten der Verteidigung eine Schieflage entstanden. Ich halte den Passus aber ohnehin für schwer realisierbar. Er war gut gedacht, lässt sich aber praktisch kaum umsetzen.

Warum denn nicht, wenn die Mittel da sind?

Die Koalition wollte damit vor allem eine Botschaft aussenden: Wenn wir jeden Cent, den wir zusätzlich an Steuergeldern einnehmen, in die Verteidigung stecken, sollten wir uns bitte auch an unsere entwicklungspolitische Verantwortung in der Welt erinnern. Nur, das tatsächlich im Verhältnis eins zu eins aneinander zu koppeln, macht eben auch wegen der erwähnten Schwierigkeiten mit dem Verteidigungsetat wenig Sinn. Als Haushälter muss man sehr genau hinschauen, was mit den Mitteln passiert. Es reicht nicht zu sagen: Die Verteidigung bekommt mehr, okay, dann muss die Entwicklung genauso viel bekommen. Solche Automatismen sind nicht zielführend.

Dann ist der Absatz eine reine „Good-Will“-Erklärung?

Im Grunde schon. Aber zugleich eben auch eine Mahnung, eine Botschaft.

Kritiker beklagen, das Geld in der Entwicklungspolitik würde mit der Gießkanne ausgeschüttet. Gleichzeitig nehmen laut den Vereinten Nationen Hunger und Armut weltweit wieder zu. Setzt die Entwicklungspolitik überhaupt noch auf die richtigen Instrumente?

Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Als SPD-Fraktion wünschen wir uns deutlich mehr internationale Kooperation. Globale Fonds und Organisationen wie die Vereinten Nationen haben ganz andere Möglichkeiten, in Bildung und Gesundheit zu investieren, als einzelne Staaten. Und sie haben eine ganz andere Schlagkraft, wenn es darum geht, die Hilfen an Bedingungen wie Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte zu koppeln. Wir sollten unser multilaterales Engagement daher unbedingt verstärken. Außerdem sollten die Ministerien hierzulande besser kooperieren. Im Moment gibt es drei Konzepte von drei Ressorts für die Beziehungen mit Afrika. Besser wäre, es gäbe einen gemeinsamen Plan, an dem alle zusammenarbeiten würden.

(joh/26.11.2018)

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