Geschichte

Vor 100 Jahren: Reichswahlgesetz führt das Frauenwahlrecht ein

Plakat aus der Weimarer Republik, Januar 1919

Aufruf an Mädchen und Frauen vom Januar 1919, an der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung teilzunehmen. (Bundesarchiv)

Seit 100 Jahren haben Frauen in Deutschland das Recht zu wählen und gewählt zu werden. Jahrzehnte hatten Frauen wie Louise Otto und Hedwig Dohm gegen erbitterten gesellschaftlichen Widerstand, Vorurteile und viele ihrer bürgerlichen Geschlechtsgenossinnen vergeblich für das Frauenstimmrecht gekämpft.

Einführung des Frauenwahlrechts in der Weimarer Republik

Mit der Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz) vom 30. November 1918 erfüllte sich endlich ihre Forderung. Die gesetzliche Grundlage für das aktive und passive Wahlrecht für Frauen wurde geschaffen. Dort heißt es in Paragraf 2: „Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben.“ Und in Paragraf 5: „Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die am Wahltag seit mindestens einem Jahre Deutsche sind.“

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches und der Ausrufung der Weimarer Republik hatte der Rat der Volksbeauftragten am 12. November 1918 in einem „Aufruf an das deutsche Volk“ sein Regierungsprogramm vorgestellt, und das neue Wahlrecht angekündigt: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“  

Vereins- und Versammlungsverbote für Frauen 

Bis dahin war das Wahlrecht in Deutschland mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 sowie auch der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 auf männliche Deutsche begrenzt, die mindestens 25 Jahre alt waren, in einem deutschen Bundesstaat ihren Wohnsitz besaßen, nicht aktiv im Heer und der Marine dienten, nicht unter Vormundschaft oder Kuratel standen und keine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln bezogen. Wählbar zum Reichstagsabgeordneten war jeder männliche Deutsche, der die Voraussetzungen des aktiven Wahlrechts erfüllte. Militärpersonen waren wählbar, aber nicht wahlberechtigt.

Frauen war durch politische Vereins- und Versammlungsverbote die Möglichkeit der Mitarbeit in politischen Parteien in der Mehrzahl der deutschen Bundesstaaten lange Zeit erschwert oder unmöglich. So war ihnen nach dem Preußischen Vereinsrecht bis 1908 die Mitgliedschaft in politischen Parteien und Organisationen, die politische Themen beraten, ganz verboten. Erst mit seiner Aufhebung am 15. Mai 1908 durften Frauen in politische Vereinigungen und Parteien eintreten und politische Vereine gründen. Etwas anderes galt in Hamburg. Hier konnten Anita Augsburg und Lida Gustava Heymann bereits 1902 den „Verein für Frauenstimmrecht“ gründen.

Forderungen der Frauenstimmrechtsvereine

Nach der Aufhebung des Vereinsverbotes organisierten sich in Deutschland zahlreiche Frauenvereine. Zum ersten Internationalen Frauentag am 19. März 1911 demonstrierten in Berlin mehr als eine halbe Million Frauen für dieses Recht. 1916 schlossen sich die Frauenstimmrechtsvereine unter dem Vorsitz der langjährigen Vorsitzenden des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF), Marie Stritt, zum Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht zusammen. Im Dezember 1917 reichten die Frauenvereine eine gemeinsame „Erklärung zur Wahlrechtsfrage“ beim Reichsparlament und allen Länderparlamenten ein. Doch alle Forderungen blieben unerfüllt.

Als erste und einzige Partei im Deutschen Reich hatte bereits 1891 die SPD auf ihrem Erfurter Parteitag mit dem „Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts“ das Frauenwahlrecht als Forderung in ihr Parteiprogramm aufgenommen und 1895 mit einem entsprechenden Antrag im Deutschen Reichstag eingebracht. Nach der Aufhebung des Vereinsverbots 1908 forderten nach und nach auch andere Parteien wie die Freisinnige Vereinigung oder die Fortschrittliche Volkspartei die grundsätzliche Anerkennung der politischen Gleichberechtigung von Frauen.

Wahl zur Weimarer Nationalversammlung

Nach dem neuen demokratischen Wahlrecht reichsweit wählen und gewählt werden konnten die Frauen zum ersten Mal bei der Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Weimarer Nationalversammlung) am 19. Januar 1919. Das neue Wahlgesetz ermöglichte durch die Herabsetzung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre nicht nur Frauen, sondern auch vielen männlichen Erstwählern die Stimmabgabe. 

Etwa 82 Prozent der Wahlberechtigten Frauen und Männer gingen zur Wahl. 37 Frauen zogen ins Parlament ein. Insgesamt waren 310 Frauen als Kandidatinnen auf den Listen aller Parteien aufgestellt worden. Da die Frauen meist jedoch nur auf den hinteren Listenplätzen platziert worden waren, errangen lediglich 37 von ihnen ein Abgeordnetenmandat. Der Frauenanteil lag bei 8,7 Prozent. Bis zum Ende der Legislaturperiode der Nationalversammlung rückten noch weitere vier Frauen nach, sodass sich am Ende unter den insgesamt 423 Abgeordneten 41 Parlamentarierinnen befanden.

Erste Rede einer Abgeordneten

Als erste Frau sprach am 19. Februar 1919 die Abgeordnete Marie Juchacz (SPD) in einem deutschen Parlament: „Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf.“ 

Und sie stellte klar: „Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten  worden  ist.“

Die ersten Parlamentarierinnen 

Die ersten Parlamentarierinnen waren: für die Mehrheits-SPD: Anna Blos, Minna Bollmann, Wilhelmine Eichler, Frieda Hauke, Else Höfs, Marie Juchacz, Wilhelmine Kähler, Gertrud Lodahl, Frida Lührs, Ernestine Lutze, Antonie Pfülf, Johanne Reitze,  Elfriede Ryneck, Elisabeth Röhl, Minna Schilling, Louise Schroeder, Clara Schuch, Anna Simon und Johanna Tesch;

für das Zentrum: Hedwig Dransfeld, Agnes Neuhaus, Maria Schmitz, Christine Teusch, Helene Weber und Marie Zettler;

für die Deutsche Demokratische Partei (DDP): Marie Baum, Gertrud Bäumer, Elisabeth Brönner, Elise Ekke, und Katharina Kloss;

für die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP): Margarete Behm, Anna von Gierke, Käthe Schirmacher;

für die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD): Lore Agnes, Anna Hübler und Luise Zietz;

für die Deutsche Volkspartei (DVP): Clara Mende. (klz/23.11.2018)

Marginalspalte