Auswärtiges

Handlungsbedarf bei der Trauma­bewälti­gung in Kri­sen- und Kon­flikt­ge­bie­ten

Ein Mann hält sich die Hände vor das Gesicht.

Die psychosoziale Betreuung und Traumabewältigung in Krisen- und Konfliktgebieten waren Gegenstand des Fachgesprächs. (picture-alliance/empics)

Der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ des Auswärtigen Ausschusses hat sich am Montag, 26. November 2018, in einem öffentlichen Fachgespräch mit der psychosozialen Betreuung und Traumabewältigung in Krisen- und Konfliktgebieten befasst. Unter dem Vorsitz von Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen) referierten drei Sachverständige. Zuvor erstattete die Bundesregierung zum Thema Bericht.

„Da haben wir noch richtig viel zu tun“

Obwohl die Bundesregierung den finanziellen Mitteleinsatz im Bereich der zivilen Krisenprävention insgesamt in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert habe, dürfe man sich mit dem Erreichten noch keinesfalls zufrieden geben, sagte Ottmar von Holtz. Traumatisierung und psychische Belastung von Menschen sei ein brennendes Thema in sämtlichen Krisen- und Konfliktgebieten der Welt: „Da haben wir noch richtig viel zu tun.“

Es gehe darum, das Geld gezielt einzusetzen, vor allem mit qualifizierten Partnern vor Ort. Die Fokussierung auf bestimmte Opfergruppen dürfe aber nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen, mahnte von Holtz. Ein stärkeres Augenmerk müsse die deutsche Außenpolitik zudem auf den Übergang von der kurzfristigen humanitären Hilfe in diesem Bereich hin zu einer längerfristig angelegten Entwicklungsarbeit legen.

„Finanzielle Aufwendungen verdreißigfacht“

Wie viele Menschen die Hilfsorganisationen in einem Konflikt behandeln müssen, um eine Gesellschaft in einer Konfliktsituation nachhaltig zu stabilisieren, und wie es finanziell, organisatorisch und fachlich gelingen könne, eine relevante Zahl an Fällen zu erreichen, diese Frage stellte Thorsten Frei (CDU/CSU) an die geladenen Referenten.

Frei nahm zudem das Engagement der Regierung auf dem Gebiet der zivilen Krisenprävention gegen die Kritik der Unterfinanzierung in Schutz und äußerte sich zufrieden über das bisher Erreichte. Seit der Verabschiedung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ 2004 hätten die folgenden Bundesregierungen die finanziellen Aufwendungen in diesem Bereich „verdreißigfacht“.

Eine wie schwierige Aufgabe die gesellschaftliche Reintegration von Gewaltopfern auch nach dem Ende von Konflikten darstellt, wenn Opfer ihren Tätern, möglicherweise in derselben Nachbarschaft, weiterhin begegnen, darauf wies Dr. Daniela de Ridder (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses, hin.

Psychische Belastung der eigenen Mitarbeiter

Renata Alt (FDP) interessierte, was die Arbeit der Helfer vor Ort am meisten erschwert: Personalmangel, Defizite bei der Gesetzgebung oder eine schlechte Sicherheitslage, und wie die Politik Abhilfe schaffen kann.

Sie fragte außerdem, wie die Hilfsorganisationen mit den psychischen Belastungen ihrer eigenen Mitarbeiter umgehen. Gibt es ein Frühwarnsystem, das anzeigt, wenn die Helfer Hilfe brauchen?

Kathrin Vogler (Die Linke) wollte von der Bundesregierung wissen, inwieweit das Gesundheitsministerium, einem echt ressortübergreifenden Ansatz folgend, bei der Traumabehandlung im außen- sicherheitspolitischen Bereich einbezogen wird.

„Gefahr der Rückkehr von Konflikten“

Tobias Bergner vom Auswärtigen Amt unterstrich die Bedeutung der Behandlung von Traumata für die erfolgreiche Krisenprävention und Konfliktbeilegung. „Traumabehandlung ist ein wesentlicher Baustein für Friedenssicherung, Stabilität und nachhaltige Entwicklung. Die Traumatisierung von Menschen hat Einfluss auf das gesellschaftliche Umfeld. Unaufgearbeitete psychische Belastungen bergen die erhebliche Gefahr der Rückkehr von Konflikten“, sagte Bergner.

Die Bundesregierung habe sich dabei verpflichtet, das Augenmerk besonders auf geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen richten. Erfahrungen sammle man gerade am Tschadsee im Norden Nigerias, wo man ein System zum Schutz von Kindern gegen die Übergriffe der dortigen Terrororganisation Boko Haram eingerichtet habe, oder in Jordanien, wo man Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien leiste.

Resolution zu „Frauen, Frieden, Sicherheit“ geplant

Deutschland werde seine zweijährige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von 2019 bis 2021 nutzen, um dort für das Thema zu werben. Die Vereinten Nationen, deren Kinderhilfswerk Unicef, die Weltgesundheitsorganisation WHO, aber auch Nichtregierungsorganisationen seien dabei wichtige Partner der Bundesregierung. Man wolle eine Resolution zur Thematik „Frauen, Frieden, Sicherheit“ zur erfolgreichen Verabschiedung bringen.

Deutschland sei als außenpolitischer Akteur in diesem Handlungsfeld gut aufgestellt. Die Bundesregierung habe gerade wieder die Mittel für die Krisenprävention und Konfliktnachsorge für den kommenden Haushalt deutlich erhöht. Das Auswärtige Amt habe für den Bereich der zivilen Krisenprävention vor drei Jahren eine eigene Abteilung geschaffen.

„Zivile Krisenprävention stärker in den Fokus nehmen“

Dr. Angelika Claußen von der Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung“ hat als praktizierende Ärztin jahrelang Erfahrungen in der Arbeit mit kriegstraumatisierten Flüchtlingen gesammelt. Sie unterstrich den engen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Krisenprävention und warb dafür, Traumabehandlung nicht allein als medizinische Leistung für Geschädigte zu begreifen, sondern von vornherein in die Konflikt-, Versöhnungs- und Menschenrechtsarbeit einzubetten.

Die deutsche Außenpolitik müsse insgesamt für die zivile Krisenprävention mehr Geld in die Hand nehmen und solle die im April beginnende zweijährige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nation nutzen, um die zivile Krisenprävention stärker in den Fokus zu nehmen.

Ziel müsse sein, aus dem reinen Nothilfe-Modus herauszukommen, und stattdessen „medical peacework“ als langfristiges Arbeitsfeld zu begreifen und dazu auch Weltgesundheitsorganisation mit ins Boot zu holen.

„Eklatanter Mangel an fachlicher Unterstützung vor Ort“

Karin Griese von der Organisation „medica mondiale“ illustrierte anhand ihrer Arbeit im Irak Traumabehandlung in Konfliktregionen. Die Organisation konzentriert sich auf die Unterstützung der besonders schutzbedürftigen Gruppe von Frauen und Mädchen, die in ihren Heimatländern keine ausreichenden medizinischen Angebote erhalten und danach nicht einmal gefahrlos über erlittenes Leid wie sexuelle Gewalt sprechen können.

„Es herrscht ein eklatanter Mangel an fachlicher Unterstützung vor Ort. Und es gibt auf lange Sicht keine Sicherheit für Frauen auch nach dem Ende von Konflikten. Die Täter laufen oft weiter auf der Straße herum“, sagte Griese.

Wichtigstes Ziel internationaler Hilfe müsse sein, Hilfsstrukturen vor Ort aufzubauen und vor allem „niedrigschwellige Unterstützungsangebote“ wie Anlaufstellen und Gesprächsangebote zu schaffen. So ließe sich am besten eine Verschlimmerung von Krankheitsbildern verhindern.

Counseling“ in Konfliktgesellschaften

Inge Missmahl, Psychoanalytikerin, Gründerin und Geschäftsführerin der „International Psychosocial Organisation“ (Ipso), bildet mit ihrer Organisation mit Schwerpunkt in Afghanistan Berater („Counselors“) aus, die Gewaltopfern durch Gespräche helfen. 300 000 Menschen hätten mehrere Hundert Mitarbeiter dort in Einzelgesprächen bereits erreicht.

Als Ausgangspunkt für soziale Veränderung und Multiplikator über Familie und Communities habe jeder Einzelne entscheidenden Einfluss auf Veränderungen in der Gesellschaft. Daher stehe das Individuum im Mittelpunkt des „Counseling“ ihrer Organisation in Konfliktgesellschaften.

Im analytischen Einzelgespräch, in dem man auf den einzelnen Fall eingehe, versuche man den Kreislauf von desillusionierten, verzweifelten Menschen, die in ihre Familien und in die Gesellschaft ihrer Heimatländer hineinwirken und sich schließlich bei Terrororganisationen verdingen, zu unterbrechen.

Ihr Ansatz bedeute auch, dass man Individuen ertüchtige, in ihrer Gesellschaft wieder ihren Beitrag zu leisten, statt diese Folgeschäden von Gewaltkonflikten durch eine falsche individuelle Diagnose dem Gesundheitssystem zuzuschieben.

„Lokale Kapazitäten personell ausbauen“

Erst wenn sich eine Alltagstauglichkeit im Counselor-Gespräch nicht mehr herstellen lässt, sei eine Überweisung in den medizinischen Bereich angezeigt. Die klassische Eingrenzung des Leidens greife meist zu kurz, die Diagnose laute allzu oft: posttraumatische Belastungsstörung oder schlicht Depression.

Um den Beitrag der psychosozialen Betreuung und Traumabewältigung in Krisen- und Konfliktgebieten auszubauen, riet sie der Politik, die lokalen Kapazitäten vor allem personell auszubauen. Für eine kontinuierliche, effiziente Arbeit wünschte sie sich außerdem eine Abkehr von lediglich jährlichen Finanzierungszusagen hin zu längerfristigen Förderperioden. (ll/28.11.2018)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Angelika Claußen, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung
  • Karin Griese, medica mondiale
  • Inge Missmahl, International Psychosocial Organisation (Ipso)

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