Familie

Das Dilemma von Freiwilligen­dienst und Erwerbsarbeit

Spielfiguren aus Holz

Die Themen, die den Unterausschuss von 2013 bis 2017 beschäftigten, standen im Mittelpunkt der Sitzung. (picture-alliance/imageBroker)

Etwa 30 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland freiwillig und unentgeltlich für gesellschaftliche Belange. Die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern, gehört zu den Aufgaben des Unterausschusses „Bür­ger­schaftliches En­gage­ment. „Es ist dem Thema angemessen, es über Legislaturperioden hinweg voranzubringen“, sagte der Vorsitzende Alexander Hoffmann (CDU/CSU), in der öffentlichen Sitzung des Gremiums am Mittwoch, 16. Januar 2019

Unterausschuss zum fünften Mal in Folge eingesetzt

Der Unterausschuss war vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der ersten Jahreshälfte 2018 eingesetzt worden. Es ist die fünfte Wahlperiode hintereinander, in der es diesen Unterausschuss gibt. Für das Gremium ein Anlass, auf seine Arbeit in der zurückliegenden Wahlperiode von 2013 bis 2017 zurückzublicken. Dabei ging es in dem Fachgespräch auch darum, welche Themen in dieser Wahlperiode erneut aufgegriffen werden sollten. 

Grundlage für die Beratungen waren ein Bericht über die Arbeit des Unterausschusses in der vergangenen Wahlperiode  sowie der „Zweite Engagementbericht der Bundesregierung – Demografischer Wandel und bürgerschaftliches Engagement: Der Beitrag des Engagements zur lokalen Entwicklung und Stellungnahme der Bundesregierung“ (18/11800).

„Die Stimme der Engagierten in der Republik“

„Der Unterausschuss ist die Stimme der Engagierten in der Republik“, lobte Willi Brase, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Gremiums in der vergangenen Wahlperiode, die erneute Einsetzung des Unterausschusses. Diese Stellung müssten die Mitglieder mit der richtigen Themensetzung verteidigen. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die repräsentative Demokratie nicht mehr alle Menschen erreiche und es immer neue Formen gebe, sich einzubringen.

Dazu gehöre, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Zahl der Bürger, die sich ehrenamtlich einbringen, weiter erhöht. Man müsse diese Form des Einsatzes allen jungen Menschen ermöglichen, mehr Angebote für wirtschaftlich schwächergestellte Menschen machen und auch die Teilhabe von Behinderten verbessern, so der ehemalige SPD-Abgeordnete.

Über die Bemühungen hinaus, die rechtlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern, müssten die Abgeordneten auch die Frage einer angemessenen Risikoversicherung für ehrenamtlich Tätige angehen, einen haushaltsrechtlichen Ausweg aus der kurzatmigen Budgetierung hin zu einer längerfristigen Finanzierung aufzeigen sowie eine echte Kultur der Anerkennung für ehrenamtliche Leistungen schaffen.

„Ehrenamt für neue Zielgruppen öffnen“

Das Ehrenamt für neue Zielgruppen zu öffnen, dafür sprach sich auch Dr. Karamba Diaby (SPD) aus. Durch ein größeres Angebot an niederschwelligen Angeboten könne man mehr Menschen einen Zugang zum Ehrenamt ermöglichen, sagte Sylvia Pantel (CDU/CSU)

Nicole Höchst (AfD) fragte, wie man die Teilhabe von Abgehängten und Frustrierten sicherstellen kann. Mehr Anerkennung für Freiwillige ließe sich auch dadurch zum Ausdruck bringe, dass Zeiten ehrenamtlichen Engagements bei der Wartezeit auf Studienplätze angerechnet werde, schlug Aggelidis Grigorios (FDP) vor.

Mehr spontanere Engagements von kürzerer Dauer

Als ein „Wesensmerkmal unserer Wirtschaftsordnung“, das höchste Aufmerksamkeit und Förderung verdient, bezeichnete Prof. Dr. Michael Hüther, stellvertretender Vorsitzender der Sachverständigenkommission zum Zweiten Engagementbericht der Bundesregierung, das ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement.

Er wies darauf hin, dass das Ehrenamt in den letzten zehn Jahren eine äußerst dynamische Entwicklung genommen habe. Immer mehr Menschen engagierten sich in der ein oder anderen Form ehrenamtlich. Dabei gebe es zusätzlich zu der klassischen Bindung an Vereine zunehmend spontanere Engagements von kürzerer Dauer.

„Engagementlandschaft vergrößern“

Um die „Engagementlandschaft“ in Deutschland zu erhalten und zu vergrößern, seien aber weitere Anstrengungen nötig. Themen, denen sich der Unterausschuss zuwenden müsse, seien die finanzielle Ertüchtigung der Städte und Gemeinden, um ehrenamtliches Engagement zu fördern, spiele sich doch freiwilliger Einsatz überwiegend in der Nachbarschaft ab.

Gerade in strukturschwachen Regionen sei bürgerschaftliches Engagement wichtig, sagte Dr. Anne Christmann (Bündnis 90/Die Grünen). Oft würden dadurch sogar Städte und Gemeinden überhaupt erst in die Lage versetzt, ihrer kommunalen Daseinsvorsorge nachzukommen. Man komme dann an den Punkt, einmal grundsätzlich zu diskutieren und zu definieren, was eigentlich kommunale Aufgaben und was freiwillige sind, gab Katrin Werner (Die Linke) zu bedenken.

Abgrenzung zur Erwerbsarbeit nicht trennscharf

Auch die Frage der Abgrenzung zur Erwerbsarbeit bedürfe der weiteren Aufmerksamkeit der Politik, so Hüther. Ehrenamt und Arbeitswelt dürften nicht in einer ungesunden Konkurrenz zueinander stehen. So sehr man sich aber auch bemühe, dass sich beide Welten bei monetären Fragen nicht berührten, meinte Hüther doch: „Das ist nicht trennscharf.“

Dass unter dem Dach des Technischen Hilfswerks sowohl Hauptamtliche als auch Ehrenamtliche nebeneinander tätig seien, dass Menschen freiwillig einem unentgeltlichen Gemeinschaftsdienst nachgingen, der auch von regulären Angestellten erledigt und für den doch eine Aufwandsentschädigung gezahlt werden könnte, bleibe ein Dilemma.

Veranstaltungsreihe des Familienministeriums

Dr. Christoph Steegmans, Unterabteilungsleiter für Engagementpolitik im  Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, kündigte eine von seinem Ministerium geförderte Veranstaltungsreihe an und gab damit einen Hinweis darauf, welche Schwerpunkte das Ministerium in der Engagementpolitik setzt.

An den vier Terminen, die noch nicht feststünden, werde es um die Themen Engagement und Zivilgesellschaft, monetäre Fragen, die Selbstorganisation von Migranten sowie um die finanzielle Ausstattung der Kommunen gehen. Ein dritter Engagementbericht sei zudem in Arbeit und werde im Laufe der Wahlperiode dem Parlament vorgelegt.

Problem der Arbeitsmarktneutralität des Freiwilligendienstes

Steegmans sprach ebenfalls das Problem der Arbeitsmarktneutralität des Freiwilligendienstes an und verwies auf das Urteil eines Arbeitsgerichts, das die Auffassung „Wenn wir eine Professionalisierung der Freiwilligendienste wollen, dann müssen die das auch dürfen“, stärke. Dem Dilemma, dass dies zu Überschneidungen mit dem Arbeitsmarkt führe, könne man nicht entkommen.

Eigentlich müsste man das Taschengeld für Freiwillige existenzsichernd machen, um mehr Menschen eine solche Tätigkeit zu ermöglichen, sagte Steegmans. Eine Existenzsicherung wäre dann jedoch „nah dran an einem Arbeitsverdienst – was wir aber nicht wollen“. Das führe zu unerwünschter Substitution regulärer Beschäftigung und stehe dem Charakter des Ehrenamts entgegen.

Für eine „diskriminierungsfreie Aufwandsentschädigung“

Unterhalb der Schwelle der Gefährdung der Arbeitsmarktneutralität sprach sich Martin Patzelt (CDU/CSU) für eine „diskriminierungsfreie Aufwandsentschädigung“ für alle Ehrenamtlichen aus. „Eine Kommune die klug ist, koordiniert ehrenamtliches Engagement in ihrem Einzugsbereich und finanziert das“, sagte der Abgeordnete aus Brandenburg. 

Über alle anderen positiven Seiten und wünschenswerten Effekte bürgerschaftlichen Engagements hinaus würden die Verantwortlichen schnell sehen, dass sich das für die Städte und Gemeinden rechnet. (ll/17.01.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Willi Brase, Unterausschuss-Vorsitzender in der 18. Wahlperiode
  • Prof. Dr. Michael Hüther, stellvertretender Vorsitzender der Sachverständigenkommission zum Zweiten Engagementbericht der Bundesregierung
  • Dr. Christoph Steegmans, Unterabteilungsleiter, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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