Plenum erörtert sinkende Wachstumsprognose der Regierung für 2019
Der Bundestag hat am Donnerstag, 31. Januar 2019, erstmalig über den Jahreswirtschaftsbericht 2019 (19/7440) debattiert, den die Bundesregierung am Mittwoch beschlossen hatte und der eine konjunkturelle Eintrübung für das Jahr 2019 prognostiziert. Mitberaten wurde auch das Jahresgutachten 2018/2019 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (19/5800). Beide Vorlagen wurden im Anschluss an die Debatte zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie überwiesen.
Anreize schaffen für stärkeres Wachstum
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) appellierte in seiner Rede an die britische Politik, es nicht zu einem ungeregelten Brexit kommen zu lassen. Allein in Deutschland wären davon 70.000 Unternehmen betroffen. Der Brexit und dazu die Risiken bei den internationalen Handelsbeziehungen sorgten für ein „schwierigeres internationales Umfeld“, das Einfluss auf das Wachstum in Deutschland habe.
Auch wenn das Wachstum schwächer geworden sei, würden „viele in der Welt Deutschland immer noch beneiden“, meinte Altmaier. Mit Blick auf die SPD stellte er fest, Debatten über Steuererhöhungen seien „nicht besonders hilfreich“. Davon stehe auch nichts im Koalitionsvertrag. Es gehe darum, durch die Förderung ausgewählter Infrastrukturprojekte „neue Anreize zu setzen und das Wachstum zu verstärken“. Der Minister gab sich „überzeugt, dass der Aufschwung weitergeht und dass er schon in wenigen Monaten an Fahrt gewinnen wird“.
Leif-Erik Holm (AfD) hielt der jetzigen und früheren Regierungen unter selber Ägide falsche Wirtschaftspolitik vor: „Sie haben aus unserem Land eine Lachnummer gemacht.“ Auf die „Bremsspuren“ beim Wachstum sei die Koalition „nicht im geringsten vorbereitet“. Er machte „sehr wenig Spielraum für schlechtere Zeiten“ aus.
Der Solidaritätszuschlag müsse „endlich abgeschafft“ werden, um mittlere Einkommen zu entlasten, forderte Holm. Dafür sei es „jetzt an der Zeit“. Zunehmende Eingriffe des Staates von der „völlig kontraproduktiven Mietpreisbremse“ bis zum „überhasteten Kohleausstieg“ bescherten Bürgern und Unternehmen eine „Wiederauferstehung der Planwirtschaft“.
SPD fordert Stärkung der Tarifbindung
Sören Bartol (SPD) sagte, angesichts von Brexit und Zollstreitigkeiten komme es darauf an, die „Binnennachfrage als wichtigen Teil des Wachstums zu stützen“. Tatsächlich könnten sich die Bürger von den steigenden Löhnen auch mehr kaufen. Sorge bereite ihm, dass viele Unternehmen nicht mehr nach Tarif bezahlten. Die Tarifbindung müsse „wieder gestärkt“ werden.
Er sprach sich gegen Steuersenkungen für Unternehmen aus. Die verdienten „immer noch gutes Geld“ und sollten jetzt in Innovationen investieren. Der Koalition bescheinigte der Abgeordnete „solide Finanzpolitik, bei der wir Maß und Mitte halten“. Wer den Bürgern Entlastungen verspreche, stelle „ungedeckte Schecks“ aus.
Thomas L. Kemmerich (FDP) merkte an, die deutsche Wirtschaft sei erfolgreich – „trotz Politik“. Er forderte die Bundesregierung auf: „Gehen Sie aktiv mit dem Handelsstreit um.“ Beim Brexit handele sie nicht, sondern warte „immer mit diesen Worthülsen“ auf. Er warnte vor den Plänen zur Reform der Grundsteuer. Sie bedeuteten eine „gigantische Steuererhöhung“.
Der FDP-Politiker sprach den Fachkräftemangel an und forderte BAföG auch für Ausbildungsberufe: „Wir brauchen mehr Meister statt Master.“ Er verwies auf nötige Investitionen wie bei der Digitalisierung: „Legen Sie einen Gang zu und kommen Sie raus aus dem Leerlauf.“
Klaus Ernst (Die Linke) stellte fest: „So schlecht ist die Lage nicht.“ Das sei der Inlandsnachfrage dank der steigenden Löhne zu verdanken. Warnungen, dass Lohnerhöhungen zu steigenden Preisen und Gefährdung des Exports führen würden, hätten sich nicht bewahrheitet. Er ermunterte die SPD, sich mit der Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro in der Koalition durchzusetzen. Im unteren Bereich seien die Löhne zu niedrig.
Der Abgeordnete beklagte den immer noch hohen Handelsüberschuss: „Haben Sie darüber mal mit Herrn Trump geredet?“ Die Regierung ignoriere einfach das Ungleichgewicht zwischen Export und Import und gefährde damit das Wachstum in Deutschland und Europa.
Grüne: Zukunft durch Klimaschutz und Ökologie
Kerstin Andreae (Bündnis 90/Die Grünen) lobte das Ergebnis der Kohlekommission. Es sei aber nur ein „erster Schritt“. Sie forderte Bundeswirtschaftsminister Altmaier auf: „Machen Sie Deutschland wieder zum Spitzenreiter bei Erneuerbaren Energien“. Das sei auch „ökonomisch sinnvoll“. Klimaschutz und Ökologie gehöre die Zukunft. Sie müssten zum „Standortvorteil für Deutschand“ werden. Für sie ist klar, dass man „Wohlstand erhalten kann mit CO2-armer Wirtschaft“. Sie beklagte, dass eine „industriepolitische Strategie fehlt“ – beispielsweise für den „Wandel der alten Industrie“ im Automobilbereich. Die Regierung müsse „endlich aufwachen“: „Wenn der Alarm angeht, dann nützt es nichts, die Brandmelder abzustellen.“
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) strich heraus, dass es im zehnten Jahr in Folge beim Wachstum geblieben sei. Dies zeige, dass in der Politik „die Richtung stimmt“. Motor des Wachstums sei der Arbeitsmarkt. Über 45 Millionen Menschen seien in Lohn und Brot – fast acht Millionen mehr als 2005. Die Folge seien ein erhöhtes Steueraufkommen und mehr Einzahlungen in die Sozialkassen. Er nannte dies eine „erfolgreiche Glücksspirale“.
Der Aufschwung komme bei den Menschen an. Sie hätten „mehr in der Tasche“. Einem staatlich festgesetzten Mindestlohn erteilte er eine Absage. Das müsse Aufgabe der Tarifpartner bleiben. Seit 2014 seien Schulden abgebaut statt aufgebaut worden: „Das schafft Spielraum.“
Regierung erwartet Wachstum von einem Prozent
Nach ihrem Jahreswirtschaftsbericht erwartet die Bundesregierung für das Jahr 2019 ein Wachstum des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts um ein Prozent. Der Arbeitsmarkt werde sich weiterhin positiv entwickeln, die Arbeitslosenquote voraussichtlich auf 4,9 Prozent sinken, die Zahl der Beschäftigten weiter auf 45,2 Millionen steigen.
In der Folge würden auch die privaten Einkommen weiter spürbar zunehmen, heißt es weiter. Die Nettolöhne und -gehälter der Arbeitnehmer stiegen 2019 um 4,8 Prozent, wozu auch die Entlastungen bei Steuern und Abgaben beitrügen. Angesichts steigender Löhne und Beschäftigung sowie der Investitionen der Unternehmen bleibe die Binnenwirtschaft eine wichtige Stütze der Konjunktur. Dabei setze das niedrige Zinsumfeld spürbare Impulse vor allem in der Bauwirtschaft.
Die expansiv ausgerichtete Fiskalpolitik rege die Konjunktur zusätzlich an, schreibt die Regierung. Insgesamt bleibe die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland aufwärts gerichtet, sie sei aber in unruhigeres Fahrwasser geraten. Die Risiken vornehmlich aus dem außenwirtschaftlichen Umfeld hätten sich erhöht. Dies sei ein Grund dafür, dass sich das Wachstumstempo 2019 im Vergleich zum Vorjahr reduziert.
Sachverständige erwarten abgeschwächtes Wachstum
In seinem Jahresgutachten 2018/2019 empfiehlt der Sachverständigenrat der Bundesregierung, den anhaltenden Aufschwung für Reformen zu nutzen. Um den Wohlstand langfristig zu sichern, solle die Wirtschaftspolitik die Rahmenbedingungen der deutschen Volkswirtschaft verbessern und Handlungsspielräume zur Bewältigung neuer Herausforderungen schaffen, so das Gremium. „Von einer lenkenden Industriepolitik sollte sie Abstand nehmen“, heißt es zugleich.
Konkret raten die Sachverständigen zu Modernisierungen im Arbeitszeitgesetz, um auf den Engpass bei Fachkräften zu reagieren. Niedrigere Arbeitsmarkthürden, ein flexibler Renteneintritt und Maßnahmen für mehr Frauen in der Erwerbstätigkeit könnten dazu beitragen, das inländische Arbeitskräftepotenzial zu erhöhen. Ein Fachkräftezuwanderungsgesetz könnte die notwendige qualifizierte Zuwanderung steigern. Diese „dürfte für die Sicherung des Wohlstands in Deutschland unverzichtbar sein“, schreiben die Sachverständigen.
Vorgeschlagen werden darüber hinaus Reformen, um das Wohnungsangebot in Ballungsräumen zu vergrößern. Die Vorschläge reichen von einer Erhöhung des Wohngelds bis hin zu Anreizen, damit sich Menschen häufiger für Wohneigentum entscheiden. Außerdem solle das gesetzliche Renteneintrittsalter allmählich erhöht werden. Für 2018 erwarten die Sachverständigen im Rückblick ein abgeschwächtes Wachstum von 1,6 Prozent, für 2019 rechnen sie mit 1,5 Prozent. Ungünstigere außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen, zeitweilige Produktionsprobleme und Kapazitätsengpässe dämpften das Expansionstempo, begründet das Gremium seine Erwartung. (fla/sas/31.01.2019)