1. Untersuchungsausschuss

Zeuge aus Berliner LKA nimmt seine Behörde in Schutz

Eine Zeugin sitzt zu Beginn der öffentlichen Zeugenvernehmung im Amri-Untersuchungsausschuss gegenüber von Armin Schuster (rechts, CDU/CSU), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses.

Ein leitender Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamts (LKA) hat vor dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz des Abgeordneten Armin Schuster (CDU/CSU) die Kritik an seiner Behörde nach dem radikalislamischen Anschlag im Dezember 2016 zurückgewiesen. Er habe damals mit „hoch engagierten Kollegen und Kolleginnen“ zusammengearbeitet, deren „Leistungsstärke“ und „Professionalität“ er schätze, sagte der Zeuge Axel B. am Donnerstag, 14. Februar 2019. Umso mehr schmerze ihn eine Berichterstattung, die ein „Gesamtbild des Dilettantismus“ vermittelt habe. Über das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz seien er und seine Kollegen „tief erschüttert“ gewesen. Dass es damals nicht gelungen sei, die Bevölkerung zu schützen, dafür empfinde er auch eine „persönliche moralische Verantwortung“, betonte der Zeuge.

Sondergruppe wertete insgesamt 177 Hinweise aus

Der heute 52-jährige Leitende Kriminaldirektor stand von Juni 2011 bis April 2017 an der Spitze des Dezernats LKA 5/4, zuständig für die Bekämpfung des radikalen Islamismus. Im Zusammenhang mit einer Terrorermittlung sei seine Behörde erstmals im Spätherbst 2015 mit Personen aus dem Umfeld des späteren Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri in Berührung gekommen, berichtete der Zeuge. 

Im Nachgang zu den Terrorattacken in Paris an 13. November habe damals eine Sondergruppe insgesamt 177 Hinweise ausgewertet. Am 26. November 2015 sei hier aus dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) der deutschen Sicherheitsbehörden eine Information über einen angeblich geplanten Anschlag in Dortmund eingegangen.

Anis Amri war im Berliner LKA noch kein Begriff

Als Urheber seien Bilal ben Ammar, eine enger Freund Anis Amris, sowie Kamel A., in dessen Berliner Wohnung Amri vor dem Breitscheidplatz-Attentat nächtigte, genannt worden. Im Zuge der Ermittlungen habe die Polizei drei Personen festgenommen und fünf Immobilien durchsucht, allerdings keinen Sprengstoff entdeckt. Bei Bilal ben Ammar sei ein Busfahrschein gefunden worden. Er habe angegeben, er wolle nach Düsseldorf, um dort „seinen Freund Anis zu treffen“. Dessen Name sei im Berliner LKA zu jenem Zeitpunkt allerdings noch überhaupt kein Begriff gewesen.

Das änderte sich im Februar 2016, als aus dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt der Hinweis kam, Amri sei mit dem Bus nach Berlin unterwegs, verbunden mit der Bitte, ihn dort im Auge zu behalten. Beim LKA sei allerdings zunächst keine Observationsgruppe verfügbar gewesen. Immerhin habe man Amri am Zentralen Omnibusbahnhof abgepasst, seine Personalien überprüft und ein gestohlenes Mobiltelefon sichergestellt. Nachdem am selben Nachmittag festgestellt worden sei, dass Amris erster Weg in Berlin zur Moabiter Fussilet-Moschee führte, sei dort am folgenden Tag eine Überwachungskamera installiert worden. Diese sei bis zum Februar 2017 in Betrieb gewesen, als der Moscheeverein verboten und das Gotteshaus geschlossen wurde.

Nicht genug Personal für Observationsmaßnahmen

Amri ständig im Auge zu behalten, sei kaum machbar gewesen, weil es „massiv an Personal gefehlt“ habe, betonte der Zeuge. Die für Observationsmaßnahmen verfügbaren Ressourcen seien „schon vor 2016 nie auskömmlich“ gewesen. Das LKA habe auch über keinen Informanten verfügt, der gezielt auf Amri angesetzt gewesen wäre.

 Zwar habe es drei V-Leute in der Berliner Drogenszene und im radikalislamischen Milieu gegeben, die mit Amri von ferne zu tun hatten. Dies habe sich aber erst nach dem Breitscheidplatz-Anschlag herausgestellt habe. Im Januar 2017 habe er erfahren, dass einer der Infornanten Amri einmal in einem Internet-Café getroffen habe und ein anderer einen Vertrauten Amris über dessen Attentatsplan habe reden hören, sagte der Zeuge. 

Staatsanwälte berichten über Amri

Im Zuge der weiteren Vernehmungen haben zwei Staatsanwälte aus Nordrhein-Westfalen und Berlin dem 1. Untersuchungsausschuss über Ermittlungsverfahren berichtet, die sie wegen Bagatelldelikten gegen den späteren Attentäter Anis Amri geführt haben. In beiden Fällen habe sich allerdings kein hinreichender Tatverdacht ergeben, betonten die Zeugen Wolfgang Kowalzik und Jan Hendrik Schumpich. Der Arnsberger Staatsanwalt Kowalzik hatte im Herbst 2015 gegen Amri wegen Fahrraddiebstahls ermittelt, der Berliner Schumpich Anfang 2016 wegen „mittelbarer Falschbeurkundung“.

Ausgangspunkt der Ermittlungen Kowalziks war, wie dieser nach Aktenlage referierte, am 31. Juli 2015 das Verschwinden eines Fahrrads, das am Bahnhof der südwestfälischen Ortschaft Westönnen abgestellt und dort angeschlossen war. Der Besitzer erstattete umgehend Anzeige bei der Polizei, die das Fahrrad zur Fahndung ausschrieb. Am selben Abend gegen 22.30 Uhr beobachtete ein Wachmann der Flüchtlingsunterkunft im rund 40 Kilometer entfernten Rüthen, wie ein unter dem Namen „Mohammed Hassan“ bekannter Heimbewohner versuchte, ein Fahrrad, das er an der Lenkstange führte, auf das Gelände zu bringen. Die herbeigerufene Polizei verzichtete darauf, das Rad zu beschlagnahmen, weil sie zu diesem Zeitpunkt vom Diebstahl in Westönnen nichts wusste.

Zweifel an der Identität des mutmaßlichen Fahrraddiebes

Am 19. August stellte die Polizei fest, dass der verdächtige Mohammed Hassan am Vortag von Rüthen nach Emmerich verlegt worden war. Im polizeilichen Abschlussbericht von 16. September war die Rede von Zweifeln an der Identität des mutmaßlichen Fahrraddiebes. Es sei nicht klar, ob dieser „Mohammed Hassan“ oder „Hassan Mohammd“ heiße. „Mohammed“ sei der weltweit häufigste Vorname und der vierthäufgste Nachname in der arabischen Welt, stelle Kowalzik fest. „Hassan“ stehe an 17. Stelle unter den im arabischen Raum am häufigsten vorkommenden Nachnamen. Allein deshalb habe er ohne Kenntnis von Geburtsdatum und -ort keine Chance gesehen, den Mann dingfest zu machen, als am 21. Oktober 2015 der Vorgang auf seinem Schreibtisch gelandet sei, sagte der Zeuge.

Er hätte zudem nicht beweisen können, dass Mohammed Hassan alias Amri das Fahrrad tatsächlich gestohlen hatte, weil ihn niemand dabei beobachtet habe. Auch als Hehler hätte er den Mann mangels eindeutiger Anhaltspunkte nicht belangen können. Ebensowenig sei nachweisbar gewesen, dass sich Amri einer „strafbaren Gebrauchsanmaßung“ schuldig gemacht habe. Dies hätte vorausgesetzt, dass er auf dem Fahrrad gesessen und „die Tretkurbel bewegt“ hätte. Er habe das Rad aber geschoben, als er beobachtet wurde. Kowalzik stellte angesichts dieser Erwägungen das Verfahren ein.

Amri stellt sich mit falschem Namen vor

Sein Berliner Kollege Schumpich bekam mit Amri zu tun, nachdem dieser sich am 11. Dezember 2015 der Behörde als „Ahmad Zarzour“ vorgestellt hatte, woraufhin festgestellt wurde, dass er bereits seit Juli unter dem Namen „Anis Amir“ registriert war.

 Allein durch die Angabe eines Aliasnamens sah Schumpich den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung allerdings nicht erfüllt, da er nicht erkennen konnte, dass dadurch die „erhöhte Beweiskraft“ einer öffentlichen Urkunde in erheblichen Maß gemindert wurde. Für diese Einschätzung berief sich Schumpich auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts in Bamberg. Am 25. Februar 2016 stellte auch er das Verfahren gegen Amri ein. (wid/14.02.2019)

Liste der geladenen Zeugen

  • Dr. Wolfgang Kowalzik, Staatsanwaltschaft Arnsberg
  • Jan Hendrik Schumpich, Staatsanwaltschaft Berlin
  • Axel B., Landeskriminalamt Berlin

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