Kinderkommission

Wie Kinder bereits vor der Geburt medizi­nisch versorgt wer­den

Eine Frau im weißgepunkteten schwarzen Kleid sitzt auf einem Bürostuhl und hält sich den gewölbten Unterleib.

Die Versorgung von Schwangeren und ungeborenen Kindern war Thema des Fachgesprächs. (picture-alliance/empics)

Der Start ins Leben beginnt bereits vor der Geburt. Wie gut Kinder in der ersten, pränatalen Phase ihres Lebens in Deutschland medizinisch versorgt sind und welchen Schutz ihnen die hiesige Rechtsordnung bietet, war Thema des öffentlichen Expertengesprächs der Kinderkommission des Bundestages am Mittwoch, 20. Februar 2019, unter dem Vorsitz von Susann Rüthrich (SPD).

„Exzellente Versorgung der Schwangeren“

Prof. Dr. Frank Louwen, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Frankfurt am Main und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Frauengesundheit, bezeichnete die Situation werdender Mütter und des ungeborenen Lebens in Deutschland als privilegiert. Die medizinische Versorgung und Betreuung von Schwangeren sei exzellent. Das schlage sich in der niedrigsten Rate pränataler Mortalität und Müttersterblichkeit nicht nur europa-, sondern weltweit nieder. Das liege vor allem an der ausgezeichneten Vorsorgesituation in Deutschland. 

Frauen gingen hierzulande nicht erst zum Arzt, wenn Komplikationen aufträten, sondern würden die ihnen zustehenden gynäkologischen Untersuchungen wahrnehmen. Das System rechtlicher und institutioneller Rahmenbedingungen sowie ärztlicher Leistungen in Deutschland sei qualitativ hochwertig und engmaschig und funktioniere sehr gut.

Unterversorgung mit Hebammen

Ein großer Gewinn sei die Einbeziehung der Hebammen in die Vorsorge. Mit größter Sorge betrachte er den Mangel an Hebammen, der bereits dazu geführt habe, dass Kliniken ihre Geburtsabteilungen zeitweilig hätten schließen müssen. Der Berufsstand der Hebammen verdiene höchste Anerkennung. Der Einsatz der Geburtshelferinnen müsse angemessen bezahlt und es müsse ein praktikabler Betreuungsschlüssel gefunden werden, was die Zahl der Fälle pro Hebamme betreffe. 

Die Unterversorgung mit Hebammen sei mittlerweile ein Topthema. Das früher häufig anzutreffende Konkurrenzdenken zwischen Ärzten und Hebammen gehöre der Vergangenheit an. Heute strebe man zum Wohl von Müttern und Kindern eine optimale Vernetzung von Ärzten und Hebammen an.

Leistungsspektrum der Hebammen

Das Leistungsspektrum der Hebammen illustrierte Ursula Jahn-Zöhrens, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes und dort Beirätin für den freiberuflichen Bereich. Bereits in der geburtsvorbereitenden Phase unterstütze man die werdenden Mütter, indem man sie direkt in ihrem häuslichen Umfeld in Gesundheitsfragen in der Schwangerschaft berate und ihnen mit Rat und Tat auch bei der Wahl des Geburtsortes zur Seite stehe.

Die Angebote seitens der Hebammen stießen auf eine breite und positive Resonanz. „Die Bereitschaft der Frauen ist groß, sich beraten zu lassen und sich der Schwangerschaft entsprechend gesundheitsbewusst zu verhalten“, sagte Jahn-Zöhrens. Über die Geburtshilfe hinaus erfüllten die Hebammen eine wichtige Aufgabe bei Schwangerenberatung wie auch bei der Wochenbettbetreuung, indem sie werdenden und jungen Müttern lebenswichtiges Wissen vermittelten und auf ihren individuellen, sozialen Kontext eingingen. So entstehe in vielen Fällen ein Vertrauensverhältnis, werdende Mütter öffneten sich, und Probleme, beispielsweise Alkoholkonsum, könnten besser identifiziert werden.

Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls 

Was, wenn das Kindeswohl bereits während der Schwangerschaft in Gefahr ist, wenn beispielsweise die Mutter Alkohol oder andere  Drogen zu sich nimmt? Prof. Dr. Rüdiger Ernst, Vorsitzender Richter am Kammergericht Berlin für familiengerichtliche Verfahren und Mitglied der Kinderrechtekommission beim Deutschen Familiengerichtstag, erläuterte das System des gerichtlichen Kindesschutzes in Deutschland und dessen Übertragbarkeit auf das ungeborene Leben.

Jenseits der gesetzgeberischen Tätigkeit habe es in den letzten Jahren vor allem durch richterliche Auslegung der bestehenden Gesetze Fortschritte gegeben, um Schäden vom Kind abzuwenden. Dabei habe der 2008 vom Gesetzgeber in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) aufgenommene Katalog von „Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ (Paragraf 1666 BGB) die Rechtsprechung inhaltlich angeregt.

Ermahnungen und Hilfsangebote

Es sei heute herrschende Meinung, dass sich Paragraf 1666 BGB auch auf das ungeborene Leben beziehe. Besonderheiten im Unterschied zur Zeit nach der Geburt ergäben sich aus der Verbundenheit zwischen der Person der Mutter und dem Embryo („Zweiheit in Einheit“). Im Streitfall seien der Schutz des Ungeborenen und die Lebensgestaltung der Mutter gegeneinander abzuwägen.

Drohe Gefahr für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes und seien die Eltern nicht in der Lage, diese abzuwenden, sei also die die Familie nicht mehr Ort der maximalen Geborgenheit und des größten Schutzes, dann rufe dies den Staat auf den Plan und es komme zu einem Verfahren vor dem Amtsgericht.

Dieses beziehe sich auf die Gesundheit und Verantwortung der Frau und beinhalte   innerhalb eines gerichtlichen „Zwangskontextes“ Ermahnungen und Hilfsangebote. Als Grundlage für repressive Maßnahmen wie eine Zwangsmedikation oder Festlegung des Aufenthaltsortes der Mutter könne der Paragraf 1666 aber nicht dienen.

Gerichtlicher Zwangskontext als Ultima Ratio

Ein solcher gerichtlicher Zwangskontext, mit dessen Hilfe eine Unterstützung schon vor der Geburt gewährt würde, könne eine Lösung für einen Teil der Fälle sein, sei allerdings als Ultima Ratio zu sehen und betreffe nur ganz wenige Fälle, waren sich die drei Sachverständigen einig.

Einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers, etwa die Schaffung eines Paragrafen „1666b“ sah Rüdiger Ernst nicht als zwingend gegeben. Ein Mehr zum Schutz des Kindeswohls gehe damit nicht einher. „In der Praxis wäre es aber eine anregende Hilfe, wenn der Richter schwarz auf weiss im Gesetz lesen kann“, was zu tun sei. (ll 21.02.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Prof. Dr. Rüdiger Ernst, Vorsitzender Richter am Kammergericht Berlin, familiengerichtliche Verfahren; Mitglied der Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstages e. V.
  • Prof. Dr. Frank Louwen, Arbeitsgruppe für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V., Uniklinikum Frankfurt am Main, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Frauengesundheit
  • Ursula Jahn-Zöhrens, Deutscher Hebammenverband e. V., Präsidiumsmitglied und Beirätin für den freiberuflichen Bereich

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